Am Anfang des Erfolgs standen ein genialer Kopf und ein ungehorsamer Mann. Der geniale Kopf heisst Pierre-Alain Blum. Er war so etwas wie das Wirtschaftswunderkind der achtziger Jahre, das der zuvor eher unscheinbaren Marke Ebel zum internationalen Erfolg verhalf. Der ungehorsame Mann heisst Charles Vermot. Er war Leiter des Chronografen-Ateliers bei Zenith, und er widersetzte sich einem Befehl seiner Chefs. Und genau das war, wie sich Jahre später herausstellen sollte, eine äusserst verdienstvolle, fast historische Tat.
Katerstimmung hat sich damals, vor rund 30 Jahren, in der Branche breit gemacht. Tausende von Arbeitsplätzen werden gestrichen, fast täglich schliesst eine Uhrenfabrik ihre Türen. Die billige Quarzuhr aus Fernost, so scheint es, versetzt der soliden Schweizer Uhr den Todesstoss. Niemand glaubt mehr an die Zukunft der feinen mechanischen Werke.
1978 erhält der Uhrenmann Charles Vermot den Befehl, Rohwerke und Maschinenbestandteile der Zenith-Chronografen zu verschrotten und Konstruktions- sowie Fertigungszeichnungen ins Altpapier zu geben. Das Kapitel Mechanik, so die Begründung, gehöre definitiv der Vergangenheit an: veraltet, abgehakt, vorbei. Doch Vermots Liebe zur Mechnik ist grösser als die Loyalität zu seinen Chefs. Heimlich versteckt er die Teile fein säuberlich in Schuhschachteln und Kisten auf dem Dachboden der Manufaktur.
Die Episode hätte eine muntere Anekdote in der Schweizer Industriegeschichte bleiben können. Doch das eigenmächtige Vorgehen ist von Belang, weil Vermot damit eines der zehn wichtigsten Uhrenwerke rettete, die je in der Schweiz gebaut wurden. Es ist gemeinsam mit dem Kaliber 11 von Breitling und Heuer das erste automatische Chronografenwerk überhaupt. Es schwingt statt mit den üblichen 28 800 Halbschwingungen mit rasanten 36 000 Halbschwingungen pro Stunde, was die Uhr mechnisch sehr anspruchsvoll macht. Aber auch sehr präzis. Das El-Primero-Werk von Zenith gilt heute noch als technische Meisterleistung.
1981 erinnert sich Ebel-Chef Pierre-Alain Blum an das Werk. Er gehört zu den ganz wenigen Männern, die frühzeitig erkennen, dass die mechanische Uhr ein Revival feiern wird. Bei Charles Vermot findet er, was er sucht. Sein Entscheid, das El-Primero-Werk in Ebel-Sportuhren einzubauen, ist doppelt visionär: Nicht nur mechanische Uhren waren nämlich damals out, auch an den Erfolg von Chronografen glaubte keiner mehr. Stoppuhren galten als Spielzeug für Kinder.
Dass Zenith bald darauf das Werk wieder selber in ihre Uhren einbaut, sei nur am Rande erwähnt. Auch dass Rolex das leicht modifizierte Kaliber kurz darauf in die Daytona einschalt, muss nicht weiter interessieren. Wichtig ist, dass Pierre-Alain Blum mit seinem Riecher für bevorstehende Trends einen wichtigen Pflock für seine Erfolgsgeschichte mit Ebel einschlug. Die Sportuhr mit dem Zenith-Werk war die Vorgängerin des legendären Modells 1911 – ein Klassiker, der nach wie vor produziert wird.
Noch heute denkt man in La Chaux-deFonds gerne an die Zeit zurück, als der charismatische Jungunternehmer die Marke zum Höhenflug führte und so zum Liebkind von Wirtschafts- und People-Presse wurde. «Back to the roots» heisst die Devise des jungen Ebel-Chefs Thomas van der Kallen. Modellpflege und Markenphilosophie orientieren sich stark an der Ära Blum. Ebel, sagt Thomas van der Kallen, auf die Firmengeschichte nach Blum anspielend, habe viel an Glaubwürdigkeit verloren. Diese wolle man jetzt mit der Besinnung auf die Vergangenheit zurückgewinnen (siehe Nebenartikel «Thomas van der Kallen, CEO Ebel: Eine neue Kollektion und neue eigene Werke»).
Thomas van der Kallen sitzt in der Villa Turque in La Chaux-de-Fonds. Es ist ist ein bemerkenswertes Haus: der zweite Bau des Architekten Charles Edouard Jeanneret, besser bekannt unter dem Künstlernamen Le Corbusier. Passend zum Ebel-Slogan «Les architectes du temps» hat Pierre-Alain Blum seinerzeit die Villa gekauft; noch heute, so schwören die neuen Ebel-Besitzer, lassen sich die Uhren-Designer von der Villa inspirieren.
Stolz und fast ein bisschen andächtig hält Ebel-Chef Thomas van der Kallen eine Uhr in der klassischen Tonneau-Form in den Händen. Ebelissimo heisst das kostbare Stück, die Platinversion kostet im Fachgeschäft 37 500 Franken.
Mit der Ebelissimo haben sich die neuen Ebel-Besitzer definitiv im Uhrengeschäft zurückgemeldet und ein Stück Haute Horlogerie präsentiert, wie die Romands uhrmacherisch anspruchsvolle Werke nennen. Nach den turbulenten Jahren unter Pierre-Alain Blum dümpelte Ebel eine Zeit lang eher glücklos unter dem Dach der LVMH-Gruppe vor sich hin. Jetzt, in der Movado-Gruppe unter Efraim Grinberg, scheint der Turnaround zu gelingen. Grinberg ist notabene eine der interessantesten Figuren in der Branche: Mit nichts als einem Koffer ist er seinerzeit aus Kuba in die USA übergesiedelt, heute gebietet er über einen grossen Konzern.
Letztes Jahr konnte die Gruppe dank der Ebel-Übernahme einen Umsatzzuwachs um 27 Prozent auf 419 Millionen bekannt geben. Der Gewinn stieg um 15 Prozent auf 23 Millionen Dollar.
Das Besondere an der Ebelissimo mit dem Kaliber 139 ist die Anzeige der gemessenen Zeit. Statt mit Totalisatoren, also den runden Anzeigen, die meist bei drei und neun Uhr platziert sind, zeigt die Uhr die gestoppte Zeit mittels zweier Scheiben an: für die Minuten bei der Zwölf, für die Stunden bei der Sechs.
Mit solchen Stücken feiert eine Marke, die bald ihr 100-Jahr-Jubiläum begehen kann, ihr Comeback: Am 15. Juli 1911 gründete ein Ehepaar in La Chaux-de-Fonds die Uhrenmanufaktur Ebel. Ebel steht für die Anfangsbuchstaben der Namen: Eugène Blum et Lévy.
1929 stiess Sohn Charles-Eugène zum Unternehmen und führte eine rigorose Qualitätskontrolle ein. Ebel gewann damit wichtige Kunden, zum Beispiel die Edelmarke Vacheron Constantin. Den wirklichen Durchbruch aber schaffte dann Enkel Pierre-Alain Blum.
Der junge Blum hatte alles andere im Sinn, als ins väterliche Geschäft einzusteigen. Doch 1972 kam der damals 26-jährige Weltenbummler nach La Chaux-de- Fonds zurück, sein Vater hatte eben einen schweren Unfall erlitten.
Blum wandte für Ebel das an, was er in den fernen USA gelernt hatte: Er verpasste der Marke eine klare Positionierung, investierte in einem für die Branche bisher nie da gewesenen Ausmass ins Marketing und setzte voll auf Sponsoring. Man konnte den jungen Mann mit der schönen Isabelle Adjani am Arm flanieren sehen, überhaupt umgab er sich liebend gerne mit dem Jetset: Als Ambassadoren für Ebel gewann er Sportgrössen wie Andre Agassi, Stefan Edberg und Boris Becker, dazu Schauspieler wie Sharon Stone und John Malkovich – damals war Ebel eine von nur ganz wenigen Uhrenfirmen, die auf diese Form von Werbung setzten.
Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten. Innert weniger Jahre stieg der Umsatz von Ebel von 3 auf 250 Millionen. Ein grosser Coup gelang Pierre-Alain Blum mit Cartier, schaffte er es doch, einen Fabrikationsvertrag mit der Luxusmarke an Land zu ziehen.
Das unrühmliche Ende ist bekannt: Blum, vom Erfolg verwöhnt, verzettelte sich mit gewagten Engagements und extravaganten Ausgaben. Er stieg ins Film- und TV-Geschäft ein und wollte auch noch die Schweizer Ski-Industrie retten. 1996 musste er die Segel streichen.
Damit wurde es ruhig um die Marke. Erst 2005 meldete sich Ebel an der Uhrenmesse fulminant zurück. Die Crew um Thomas van der Kallen schaffte einen bemerkenswerten Auftritt.
Das dritte Leben von Ebel hat begonnen.