Saftiges Poulet, süsse Sojasauce, scharfe Chili: In Singapur kocht ein einfacher Garküchenbesitzer dies in höchster Perfektion. Sein Michelin-Stern-gekröntes Gericht ist billiger als eine Currywurst.
In einem Restaurant mit Michelin-Stern speisen, das zelebrieren die meisten Gäste. Lange vorher reservieren gehört oft dazu, man macht sich schick, man stellt sich neben dem kulinarischen Höhepunkt auf vollendete Präsentation, livrierte Kellner und am Ende eine fürstliche Rechnung ein. Nun, in Singapur ist alles anders.
Bei Chan Hong Meng stehen die Kunden an einer einfachen Garküche in Chinatown einfach Schlange, die meisten wegen der permanenten Schwüle in Flipflops und kurzen Hosen. Das Poulet mit Reis kommt auf einem Wegwerfteller und der Kunde zahlt zwei Singapur-Dollar (umgerechnet 1,40 Franken) für das Michelin-Stern-gekrönte Mahl. Und was für ein Erlebnis.
Eine Portion Reis, gekocht in fetter Hühnerbrühe. Dazu ein paar Scheiben saftige Pouletbrust, etwas geröstete Haut mit Fettrand, der sich löst wie Butter. Vom Poulet perlt süsse Sojasauce. Dazu gibt es Chilisauce, würzig und scharf wie ein Feuerwerk, aber nichts, was dem Geniesser die Tränen in die Augen treibt.
Begeisterte Testesser
Die strengen Tester des Michelin-Führers Singapur waren auf jeden Fall so begeistert, dass sie Koch Chan in diesem Sommer einen Michelin-Star zuerkannten.
Chicken Rice, das ist so etwas wie die Spaghetti Bolognese der asiatischen Köche. Gibt es überall, kann jeder, schmeckt immer irgendwie okay. Aber der 51-jährige Chan hat an seinem Stand «Liao Fan Hong Kong Soya Sauce Chicken Rice & Noodle» das besondere Etwas aus dem eigentlich einfachen Gericht gezaubert.
Sein Geheimnis? Er verrät es nicht. Nur so viel: «Das Rezept stammt von einem Koch aus Hongkong, er hat es mir 1989 gegeben. Seitdem habe ich nichts verändert.» Chan steht Tag für Tag in seiner Garküche in einem Hawker Center. Hawker, das heisst übersetzt: Strassenhändler, aber diese Center sind die singapurische Variante von typischen asiatischen Strassenständen.
Kein gediegenes Ambiente
Den Nahrungsmittelinspektoren des supersauberen Stadtstaats war die Garküchen-Kultur hygienisch nicht geheuer. So dürfen Hawker nur in diesen Zentren kochen. Dort gibt es gekachelte Küchenstände mit fliessend Wasser und Abfallentsorgung, oft kaum mehr als zwei mal zwei Meter gross und in der Mitte Tische und Stühle. Hawker Center sind überdacht, aber offen. Ventilatoren bewegen die schwüle Luft.
Im Fenster an Chans Stand hängen 20 gebratene Hühner in Reih und Glied. Auf einer grellen Neon-Leuchttafel sind die Handvoll Gerichte abgebildet, die er kocht. Neben dem berühmten Chicken Rice auch Poulet mit Nudeln, und grilliertes Schweinefleisch. Unter der Theke verstaut er Kanister mit Sojasauce und Container für Essensreste. Nicht gerade ein gediegenes Ambiente für ein Michelin-Stern-Essen.
Es gibt noch bessere
Der in Malaysia geborene Boss brutzelt, rührt, schmeckt ab und schneidet höchstpersönlich das Huhn in mundgerechte Scheiben. Drei Helfer füllen auf, rund 180 Hühner verbraucht er täglich. Neugierige Fragesteller sind dem bescheidenen Mann nur im Weg. Er ist stets konzentriert bei der Sache. Manchmal helfen seine Frau und seine zehnjährige Tochter aus.
«Er arbeitet unheimlich hart», sagt der Restaurantkritiker Leslie Tay. «Er liefert stets unglaubliche Qualität.» Überrascht, dass ein simpler Garküchenkoch einen Michelin-Stern bekommt, ist er nicht. «In Singapur gibt es so viele gute Garküchen», sagt Tay. «Hätte man die Singapurer vor der Stern-Vergabe gefragt, welches die besten Hawker sind, wäre er vielleicht nicht mal unter den besten 20 aufgetaucht.»
(sda/ccr)