Norwegen gibt sich gern als Vorreiter beim Klimaschutz. Ölheizungen sind schon ab dem kommenden Jahr verboten. Elektroautos werden massiv gefördert, haben jetzt schon einen Anteil von über 50 Prozent bei den Neuzulassungen. Und der Staatsfonds hat Anfang des Monats verkündet, alle Ölaktien aus seinem Portfolio zu verbannen.
Doch gleichzeitig verdient Norwegen prächtig an der Umweltzerstörung – die Ölförderung hat es zu einem der reichsten Länder der Welt gemacht. Die Wirtschaft floriert, und künftig gilt das noch viel mehr.
Denn vor zwei Wochen begann die Fördergesellschaft Equinor damit, eines der fünf grössten jemals entdeckten Ölfelder der Nordsee auszubeuten. Die Einnahmen der Staatskasse werden dadurch noch stärker sprudeln. Allerdings bringt sich das Land damit noch stärker in eine moralische Zwickmühle.
Staatsfonds investiert nur ökologisch
Seit den 50er-Jahren fördert Norwegen Öl in der Nordsee, in den 70er-Jahren nahm der Export volle Fahrt auf. Das hat dem Land einen unglaublichen Reichtum beschert, seit 1970 hat sich die Wirtschaftsleistung pro Kopf verzwanzigfacht.
Zum Vergleich: In Deutschland hat sie sich im selben Zeitraum nur verneunfacht. In den Ranglisten der Länder mit der höchsten Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung ist Norwegen unter den Top fünf zu finden, neben Staaten wie Luxemburg, Macau oder der Schweiz.
Seit den 90er-Jahren fliesst ein Grossteil der Einnahmen aus der Ölproduktion in den Staatlichen Pensionsfonds. Dieser hat inzwischen einen Wert von über 800 Milliarden Euro, investiert in Aktien aus der ganzen Welt, in Immobilien und Anleihen. Dabei schliesst er viele Unternehmen von der Anlage aus, beispielsweise Waffenproduzenten oder Tabakhersteller, aber auch Firmen, die die Umwelt schädigen.
Künftig wird diesem Fonds noch viel mehr Geld zufliessen. Denn seit dem 5. Oktober sprudelt Öl aus dem Feld Johan Sverdrup, benannt nach einem ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes. 2010 war es entdeckt worden, nun läuft die Produktion langsam an, bis zum Sommer soll sie auf 440.000 Fass (je 159 Liter) pro Tag gesteigert werden. Damit erhöht sich die norwegische Ölproduktion um rund ein Drittel.
Der Name Statoil musste weg
«Ein fantastischer Tag für Equinor und die Staatskasse», kommentiert Knut Einar Rosendahl, Professor an der Universität für Umwelt- und Biowissenschaften in Ås bei Oslo, den Produktionsstart. «Ein nicht so fantastischer Tag für die globalen Klimagasemissionen.»
Klaus Mohn, Rektor der Universität Stavanger, versteht, dass viele das alles für reichlich paradox halten. «Aber Norwegen hat stets stur zwischen seiner Ölpolitik auf der einen Seite und seiner Klimapolitik auf der anderen Seite getrennt», sagt er.
Selbst Equinor sieht die Problematik. Bis zum vergangenen Jahr hiess das Unternehmen noch Statoil, benannte sich dann jedoch um, weil man im Namen die Ausrichtung auf eine klimaneutralere Energiegewinnung ausdrücken wollte. Und auf der Internetseite des Unternehmens heisst es derzeit: «Wir feiern die Eröffnung von Norwegens drittgrösstem Ölfeld. Doch was ist mit dem Klima?»
«Norwegen hat stets stur zwischen seiner Ölpolitik auf der einen Seite und seiner Klimapolitik auf der anderen Seite getrennt.»
Klaus Mohn, Rektor der Universität Stavanger
Die Antwort gibt Equinor selbst. Die Förderplattform werde mit Strom betrieben, der auf dem Festland mit Wasserkraft erzeugt werde. Daher betrage der CO2-Ausstoss bei der Ölförderung nur einen Bruchteil dessen, was andernorts erzeugt werde.
Das norwegische Öl selbst erzeugt natürlich bei der Verbrennung die gleiche Menge CO2 wie anderes Öl, und zwar ein Vielfaches dessen, was bei der Förderung anfällt – davon aber kein Wort von Equinor. Stattdessen verweist die Fördergesellschaft darauf, dass Johan Sverdrup über die kommenden Jahre rund 100 Milliarden Dollar in die Kassen des norwegischen Staates spülen werde.
Dies kommt für Oslo indes genau zur richtigen Zeit. Denn der Ölpreisrückgang forderte zuletzt auch in Norwegen seinen Tribut. Vor einem Jahr kostete das Fass Rohöl noch 80 Dollar, inzwischen sind es nur noch 60 Dollar. Zudem stagniert die Nachfrage nach Öl, vor allem wegen der lahmenden Weltkonjunktur, die unter dem Handelskonflikt leidet.
Das bewirkte, dass die Öl- und Gasexporte Norwegens im September nur noch rund 30 Prozent der Gesamtexporte des Landes ausmachten – üblicherweise sind es rund 50 Prozent. Als Folge verzeichnete das Land im September erstmals seit 2017 wieder ein Aussenhandelsdefizit.
Satte Gewinn selbst bei sinkendem Ölpreis
Im August musste der Finanzminister sogar den Staatsfonds anzapfen, um die Einnahmeausfälle auszugleichen. Umgerechnet rund 350 Millionen Euro entnahm er ihm, und er musste die Planungen für das Gesamtjahr revidieren. Das Ziel, dem Fonds in diesem Jahr rund 3,42 Milliarden Euro zu überweisen, wird nun nicht mehr zu erreichen sein, nachdem es bis August netto nur knapp zwei Milliarden Euro waren.
All dies drückt auf die Währung des Landes. In der vergangenen Woche kletterte der Kurs des Euro auf bis zu 10,20 Kronen – das ist mehr als beim Höhepunkt der Finanzkrise 2008. Noch 2013 hatte ein Euro weniger als 7,50 Kronen gekostet. Die Notenbank des Landes hat daher in den vergangenen Monaten bereits dreimal den Leitzins erhöht, und es könnte demnächst sogar eine weitere Erhöhung folgen.
Norwegisches Paradoxon
Der Beginn der Ausbeutung des neuen Ölfelds kommt für Norwegen daher äusserst passend. Denn die Förderkosten dort belaufen sich auf gerade mal 20 Dollar je Fass – selbst bei den aktuellen Rohölpreisen erzielt die Fördergesellschaft damit einen satten Gewinn. Und sollten Konjunktur und Ölpreise wieder anziehen, gilt dies umso mehr.
Doch zu den Profiteuren von Johan Sverdrup gehören neben dem norwegischen Staat auch die Equinor-Aktionäre. In den vergangenen zwölf Monaten war der Kurs der Aktie um rund ein Viertel eingebrochen, vor allem wegen des gesunkenen Ölpreises.
Nun hat das Unternehmen jedoch angekündigt, bis 2022 umgerechnet rund fünf Milliarden Dollar aus den Erlösen einzusetzen, um damit eigene Aktien zurückzukaufen und so deren Kurs in die Höhe zu treiben.
Das allerdings verstärkt das Paradoxon, in dem sich die Norweger eingerichtet haben. Denn damit kauft ein Unternehmen, das zu zwei Dritteln dem norwegischen Staat gehört, nun also Ölaktien, während gleichzeitig der Staatsfonds seine Ölaktien verkauft. Wahrscheinlich muss man Norweger sein, um diese Logik zu verstehen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel «Das 100-Milliarden-Ölfeld entlarvt Norwegens Doppelmoral beim Klima».