Es ist genau 18 Uhr 37, als Ueli Maurer aufsteht, das Mikrofon auf den Tisch knallt und entnervt den Raum verlässt.
Ein bemerkenswerter Vorgang – der furiose Abgang des Politikers geschieht vor laufender TV-Kamera während eines Live-Talks des Privatsenders Tele 24.
Dreieinhalb Jahre ist dies her, provoziert wurde der Eklat von Medien-Zampano Roger Schawinski, als er Maurer als «Parteipräsident von Blochers Gnaden» verhöhnte. Was dieser partout nicht goutieren mochte.
SVP-Präsident Maurer hat sich in seiner Politkarriere an allerlei Spott und Häme gewöhnen müssen. Satiriker Viktor Giacobbo etwa mimte zur allgemeinen Volksbelustigung gerne den SVP-Mann als Bauerntölpel und willigen Blocher-Knecht. Einer der wenigen Lichtblicke widerfuhr Maurer in der «Weltwoche», als diese ihn zum «Staatsmann» adelte. Um auch dies kurze Zeit später als satirischen Beitrag zu deklarieren.
Inzwischen hat sich das Blatt gewendet: Maurer ist in Bern zum Polit-Schwergewicht avanciert. Und seit Christoph Blocher im Bundesrat sitzt, die Aura als Winkelried der Opposition eingebüsst hat und, eingebunden in die Konkordanz, als allgegenwärtiger Anti-Entwurf zur offiziellen politischen Schweiz nicht mehr taugt, ist Ueli Maurer punkto Macht sogar plötzlich die Nummer eins im Land. Gewissermassen das Gesicht des nicht in die Regierung eingebundenen, oppositionellen Teils der SVP. Die hochkarätige Jury, die im Auftrag der BILANZ die mächtigsten Schweizerinnen und Schweizer in der Kategorie Politik zu eruieren hatte, setzte Ueli Maurer jedenfalls zuoberst aufs Podest – über seinen langjährigen Mentor Christoph Blocher.
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Blochers Wandel vom Kopf der Opposition zum Bundesrat und der damit verbundene Machtverlust haben System im Land: Immer wieder wurden auf diesem Wege starke Oppositionspolitiker gezähmt und ins politische System integriert. Zum Beispiel der katholisch-konservative Joseph Zemp, der Ende des 19. Jahrhunderts die Verstaatlichung der Eisenbahn blockiert hatte und dann als Bundesrat zum Vater der Schweizerischen Bundesbahnen avancierte. Oder der Sozialist Ernst Nobs, der als Rädelsführer des Generalstreiks einst Bekanntschaft mit dem Gefängnis hatte machen müssen, 1943 zum Bundesrat gewählt wurde und in der Folge die Sozialdemokratie mit dem bürgerlichen Staat versöhnte.
Ueli Maurer reagiert nach eigenem Bekunden «eher mit Unbehagen als mit Freude» auf das Urteil der BILANZ-Jury: «Es ist mir lieber, wenn ich kritisiert werde», meint er lakonisch, «als wenn man mich lobt.» Dass ein einzelner Politiker Einfluss haben kann, ist dem SVP-Präsidenten durchaus bewusst. Ein Netzwerk mit Kontakten zu all den wichtigen Akteuren, wie er es pflegt, sei dafür ebenso unabdingbar wie harte Knochenarbeit für die Partei. Dass die SVP ihre Basis stärker mobilisieren und auf Kurs bringen könne als jede andere Partei, habe damit zu tun, ist Maurer überzeugt – und auch mit einem Vertrauensverhältnis der Parteiexponenten untereinander. Dass Blocher, der letztjährige Gewinner, auf Rang zwei des BILANZ-Ratings abrutscht, widerspiegelt für Maurer eine Momentaufnahme. Würde das vergangene Jahrzehnt als Ganzes bewertet, stünde Christoph Blocher nämlich ganz oben, ist der SVP-Präsident überzeugt.
BILANZ hat mit vier ausgewiesenen Fachjurys, bestückt mit Insidern aus ihren Bereichen, den Einfluss von weit über 400 Persönlichkeiten analysiert, 150 besonders Einflussreiche eruiert und in den verschiedenen Sparten zusammengestellt (siehe Liste).
In der Wirtschaft führt Novartis-Chef Daniel Vasella die Liste der mächtigsten Firmenkapitäne an. WEF-Gründer Klaus Schwab ist der einflussreichste Mann in der Kategorie Verbände und Organisationen. Das Architektur-Duo Herzog & de Meuron siegt in der Kategorie Kultur. Macht – die drei Beispiele belegen dies – hat mit Erfolg zu tun: Vasella ist auch international zur globalen Managerikone avanciert und sucht mit Aventis bereits eine neue Braut für die nächste Fusion. Schwab schaffte mit dem World Economic Forum eine einzigartige Kontaktbörse auf höchstem Niveau. Und Herzog & de Meuron bauen in China das Olympiastadion, das wohl prestigeträchtigste architektonische Projekt der Zeit. Alle haben sie eine internationale Ausstrahlung – ihr Einfluss reicht weit über die Landesgrenzen hinaus.
Haben sie deshalb auch Macht? Und vor allem: Was heisst es, über Macht zu verfügen? Die gängigste Definition zum Thema liefert der Soziologe Max Weber: Macht bedeute «jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht».
Macht wurde im BILANZ-Rating mit Einfluss gleichgesetzt. Denn wer Einfluss hat, übt auch Macht aus. Er bringt andere dazu, nach seinen Vorstellungen zu handeln und am Erreichen seines Zieles mitzuwirken.
Ein Top-Exponent im BILANZ-Rating ist der Unternehmer und SVP-Politiker Peter Spuhler. Er schafft es sowohl in der Kategorie Politik als auch in der Kategorie Wirtschaft in die top ten. Damit positioniert sich Spuhler als Erbe der Polit-Schwergewichte Ulrich Bremi und Vreni Spoerry – und signalisiert einen Paradigmawechsel in der Schweizer Meinungsführerschaft. In der Vergangenheit ist es Rainer E. Gut gewesen, der mit sicherem Gespür für Macht im Land Spitzenleute in den Scharnierstellen zwischen Wirtschaft und Politik platzierte. Zum Beispiel, indem er Bremi und Spoerry, notabene beides Freisinnige, in den Verwaltungsrat seiner Grossbank holte.
Doch heute spielt die Politmusik bei UBS-Chef Marcel Ospel (Rang 3 im Wirtschafts-Rating). Ospel hat sich wiederholt zu politischen Fragen geäussert, und er hat sich jetzt mit Peter Spuhler den Senkrechtstarter der Schweizer Politik in den UBS-Verwaltungsrat geholt. Die Nomination steht symbolisch für einen Stabwechsel unter den beiden Grossbanken des Landes: War es die CS, die über Jahre beste Kontakte unter die Bundeshauskuppel in Bern unterhielt, hat ihr in jüngster Zeit die UBS in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen.
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