Herr Ingenlath, Volvo ist die Marke der Stunde – vor allem dank der
neuen Designsprache. Wie gingen Sie die Erneuerung an?
Es war eine Art Baukasten, da kamen viele Dinge zusammen. Ein neuer Eigentümer – da gab es eine Stunde null mit der Idee für eine eigene technische Plattform. Und als Designer hatte ich genug Erfahrung, um mir vorstellen zu können: So könnten wir eine tolle Produktpalette machen.
Also?
Wir verankern Volvo im Premiumsegment – mit unserem hohen Anspruch, was Technologie und Sicherheit angeht, können wir uns ohnehin nur dorthin orientieren. Denn das Ganze muss ja auch bezahlt sein. Dann sagten wir: Das ist eine neue Ära, wir starten top-down beim XC90 und erneuern innert vier Jahren die Modellpalette.
Und, zufrieden mit dem Ergebnis?
Toll war, dass wir das Vertrauen bekamen, den XC90 so hinzustellen, ohne dass man aus Angst am Ende doch etwas zurücknehmen musste. Klar war eine gewisse Nervosität da, bevor das Auto auf den Strassen fuhr: Ist der nicht doch zu schlicht, können wir mit skandinavischem Design wirklich Premium sein? Solche Fragen brauche ich heute nicht mehr zu beantworten.
Wie sind Sie optisch vorgegangen?
Die Autos sehen zugleich mächtig, aber auch feingliedrig aus.
Hm ... ich bin auch schon gefragt worden, wie wir überhaupt die Marke positionierten. Und warum wir plötzlich hip seien? Ich hasse es eigentlich, hip zu sein.
Gibt doch Schlimmeres!
Das Tolle ist, dass wir es schaffen, ernst genommen zu werden, weil wir ein gewisses Selbstbewusstsein mit den Autos ausstrahlen. Das etwas Zuviel an schwedischer Bescheidenheit haben wir für den Moment hintangestellt.
Ein Beispiel?
Nehmen Sie Thors Hammer. Der steht sehr selbstbewusst da, ohne als aggressiv wahrgenommen zu werden. Diese Balance hinzukriegen, das ist jetzt unsere Kunst. Oder der neue XC60, der hat eine relativ stark modellierte Seitenpartie. Fast ein Muscle-Car-Thema, Coke-Bottle-artig. Wir haben mehrfach diskutiert, ob ein so amerikanisches Thema zu Volvo passt.
Offensichtlich schon! Skandinavisches Design ist ja, von den inneren Werten auszugehen. Tragen Sie deshalb auch einen skandinavischen Anzug?
Das Gute ist, dass die skandinavischen Grössen und meine Figur halbwegs übereinstimmen.
Bringt man von früheren Stationen etwas mit als Designer – Vorlieben? Oder Fehler, die man gemacht hat und jetzt vermeiden kann?
Nein, Gott sei Dank nicht. Nur den Erfahrungsschatz. Also was ich etwa bei Skoda, VW oder Audi erlebt habe. Das vergisst man manchmal in der heutigen Zeit: dass Erfahrung von unschätzbarem Wert ist.
Haben Sie private Designikonen?
Klar. Vieles, was man in der Kindheit im Alltag absorbiert hat. Das prägt einen das Leben lang.
Was wäre das etwa?
Ganz unorthodox: Ich habe neulich ein Bild von einem Opel Manta gesehen. Da dachte ich: Wow! Was für eine Skulptur! Solche Autos sieht man nicht mehr auf der Strasse. Vieles davon verbindet sich eben mit einer gewissen Romantik – Dinge, die man heute gar nicht mehr machen darf. Zum Beispiel diese wunderschönen grazilen Säulen, die sind heute aus Sicherheitsgründen unmöglich.
E-Autos werden ganz anders
aussehen als Verbrenner. Eine Chance für Designer, oder werden Sie
die klassischen Formen vermissen?
Nein, da bin ich total zukunftsoptimistisch. Elektromobilität, autonomes Fahren, da lebt Kultur. Ob das von Anfang an alles toll aussehen wird, ist eine ganz andere Frage. Aber nichts wäre tödlicher für die Automobilindustrie als Stagnation. Technik, Kultur, Design, alles schreitet voran. Würden wir uns dem verschliessen, dann wäre das Auto wirklich altes Eisen.
* Thomas Ingenlath leitet seit 2012 das Volvo-Design, zuvor war der 52-jährige Deutsche bei Audi, Skoda und VW.