Recep Tayyip Erdogan hat in den vergangenen Jahren seinen Masterplan gnadenlos umgesetzt. Der türkische Präsident hat sein Land fast schon im Rekordtempo in einen autokratischen Präsidialstaat umgebaut. Für seinen uneingeschränkten Machtausbau agierte er mit Zuckerbrot und Peitsche: Er sanierte die Banken und initiierte mit riesigen Infrastrukturprojekten einen Wirtschaftsaufschwung.

Er schaffte es in den Anfangsjahren sogar, den Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Land zu bekommen, der das Land stützen musste. Als er zwischenzeitlich bei einer Wahl mal keine Mehrheit bekommen hatte, zettelte er kurzerhand einen Krieg gegen die Kurden an. Gleichzeitig schüchterte er die Opposition durch einen repressiven Kurs ein.

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Investoren lassen sich nicht einschüchtern

Doch bei der Abkehr von den Prinzipien einer offenen demokratischen Republik hat Erdogan einen entscheidenden Akteur übersehen: die Finanzmärkte. Und das ist fatal. Denn die Türkei ist eine kleine, wirtschaftlich gesehen nach aussen offene Volkswirtschaft.

Während er im Land die Zügel immer stärker angezogen hat, blieben die Finanzmärkte vollständig liberalisiert. Die Akteure können ihr Geld also jederzeit aus der Lira abziehen. Und die Investoren lassen sich weder durch Kriegsrhetorik noch Dolchstosslegenden einschüchtern. Und das bekam Erdogan in den vergangenen Wochen brutal zu spüren.

Die Lira hat seit Jahresanfang zum Dollar mehr als 41 Prozent verloren. Der Aktienmarkt ist in harten Devisen gerechnet auf den tiefsten Stand seit der Finanzkrise 2009 gefallen. Und an den Anleihemärkten schossen die Zinsen auf neue Rekordstände.

Lira

Die türkische Lira hat zuletzt stark nachgegeben. Diese Entwicklung verteuert Waren, die in das Land eingeführt werden – was sich negativ auf die Nachfrage in der Türkei auswirken kann.

Quelle: Statista

Unsolider als Griechenland

Gleichzeitig signalisieren die Kreditmärkte, dass die Türkei unsolider dasteht als der fiskalische Seriensünder Griechenland. Die Akteure beziffern das Risiko, dass die Türkei in den kommenden fünf Jahren in die Zahlungsunfähigkeit schlittert, auf knapp 30 Prozent. Das liegt deutlich über jenen 24 Prozent, die für Griechenland derzeit gehandelt werden.

Erdogan spricht von «ökonomischen Terroristen», die versuchen würden, das Land in die Krise zu stürzen. Investoren werden in die Nähe von Verrätern gestellt, die durch Fehlinformationen den Crash beschleunigen. «Wenn Erdogan ausländische Agenten für die Krise verantwortlich macht, verleugnet er die Realität», sagt Steve Miller, erfahrener Anleiheinvestor und Berater der Fondsgesellschaft Grant Samuel Funds Management.

«Die Idee, dass es sich um verschwörerische Mächte handelt, die das Land kaputt machen wollen, ist abstrus. Die Märkte sehen einfach eine lehrbuchhafte Krise und reagieren darauf entsprechend.»

Erdogan bekommt jetzt die Quittung

Fast hat es den Anschein, als wären die Finanzmärkte die letzten Akteure, die Erdogan noch einhegen können. In den 1980er-Jahren kam die Idee von den «Bond Vigilantes» auf, einer Art Anleihe-Bürgerwehr, die Politiker zur Räson bringt. Die Idee dahinter: Immer wenn die Regierungen eine zu unsolide Politik umsetzten, würden die Aktivisten für Abhilfe sorgen, indem sie die Zinsen für die jeweiligen Staatsanleihen nach oben hebeln.

Gerade für hoch verschuldete Nationen würden sich die Finanzierungskonditionen derart verschlechtern, dass den Regierungen gar nichts anderes übrig bliebe, als auf die Bedingungen der Märkte einzugehen.

Doch Erdogan hat bislang stur an seinem Kurs festgehalten – und bekommt die Quittung. Mit seinem autokratischen Stil mag er die Opposition einschüchtern, doch an den Finanzmärkten zieht er damit eher noch die Spekulanten an.

Türkei

Schilder der Wechselkurse in der Altstadt von Istanbul.

Quelle: Keystone

Belibt Erdogan starrsinnig, droht eine Hyperinflation

«Für einen Befreiungsschlag müsste Erdogan nur eine orthodoxe Wirtschaftspolitik umsetzen und seiner Notenbank freie Hand lassen», sagt Hasnain Malik, Stratege beim Investmenthaus Exotix. Mit drastisch höheren Zinsen liesse sich die Abwärtsspirale aus fallender Lira und steigender Inflation stoppen.

Doch höhere Zinsen hält Erdogan für die «Mutter und den Vater aller Fehler». Sollte er starrsinnig bleiben, dürfte seine Lira zum Tummelplatz für Spekulanten bleiben. Der Türkei droht dann eine Hyperinflation mit anschliessender Währungsreform. «Noch ist aus der Währungskrise keine wirkliche Schuldenkrise geworden», sagt Malik. Aber die Devisenreserven reichten gerade noch vier Monate aus, um die Finanzierungsbedürfnisse des Landes zu decken.

Erdogan bleiben wenig Optionen, wenn er keine tiefe Wirtschaftskrise riskieren will. Der Gang zum IWF scheint ausgeschlossen, denn das käme einem Gesichtsverlust gleich. Er könnte versuchen, sein Präsidialsystem den Märkten zu oktroyieren und Kapitalverkehrskontrollen einzuführen.

Erdogan will sich nicht stoppen lassen

Dann müssten sämtliche Lira-Verkäufe genehmigt werden, und er hätte die Finanzflüsse stärker unter Kontrolle. Allerdings ist die Türkei auf ausländisches Kapital dringend angewiesen. Zuflüsse würden bei derartigen Kontrollen umgehend versiegen, das Land steckte in der Krise.

Mij Rahman, Stratege beim Analysehaus Eurasia Group Europe, kann sich daher schon vorstellen, dass Erdogan sich in gewisser Weise den Märkten beugt. Seines Erachtens dürfte die Notenbank schon bald die Zinsen um fünf bis zehn Prozentpunkte anheben. Flankierend dazu könnte der neue Finanzminister, ein Schwiegersohn Erdogans, ein solideres Wirtschaftsprogramm präsentieren.

«Mit einem solchen Doppelschlag könnte Erdogan der Welt zeigen, dass die Notenbank unabhängig ist und er sich nicht allzu sehr in die wirtschaftlichen Belange einmischt», sagt Rahman. Natürlich sei das nicht sicher, schränkt er ein: «Aber Erdogan möchte seine Macht institutionalisieren und will sich nicht von den Märkten stoppen lassen.»

Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Erdogan leistet sich einen Showdown mit den Finanzmärkten».