Gemäss Studien fehlen der Schweiz Tausende von Hausärzten. Es gibt auch Marktkenner, die sagen, sie seien nur falsch verteilt. Zu viele seien in Städten tätig, zu wenige auf dem Land. Wer hat Recht?
Philippe Luchsinger: Wir wissen gar nicht, wie viele Hausärzte es gibt. Wir verfügen nämlich über keine sauberen Zahlen. Insgesamt haben wir zwar wahrscheinlich genügend Ärzte. Aber die Verteilung ist schlecht, weil wir zu viele Fachspezialisten haben. Zudem sind viele Hausärzte im Pensionsalter. Deshalb wird sich dieses Defizit noch vergrössern. Hören diese auf, müssen sie durch zwei ersetzt werden, weil junge Ärzte und Ärztinnen heute Teilzeit arbeiten wollen. Daher fehlen uns momentan rund 2000 Hausärzte.
Warum ist das so?
Der Fokus bei der Aus- und Weiterbildung wurde lange falsch gesetzt. Das hat sich geändert, nachdem die Universitäten Institute für Hausarztmedizin eingeführt haben. Seither bilden Grundversorger Hausärzte aus und weiter. Die Massnahmen zur Stärkung der Hausarztmedizin haben sich gelohnt. Gemäss einer neuen Studie interessieren sich 60 Prozent der befragten Medizinstudierenden für den Beruf.
Die überwiegende Mehrheit will in einer Gruppenpraxis arbeiten. Ist die Einzelpraxis ein Auslaufmodell?
Es wird immer Ärzte geben, die lieber nicht im Team arbeiten wollen. Diese werden sich in für sie passenden Nischen zurückziehen und beispielsweise alternative Therapieformen anbieten. Die Zukunft geht schon Richtung Gesundheitszentren oder -häuser, in denen Grundversorger mit Spezialisten und Pflegefachfrauen sowie Physio- und Ergotherapeuten oder auch Apothekern zusammenarbeiten.
Solche Gruppenpraxen oder Ärztezentren führen zunehmend Betreiber, die Praxisketten bilden. Wird sich dieser Trend verstärken?
Ja, diese Form von Zusammenarbeit wird zunehmen. Es gibt heute ein paar grössere Ketten wie die Migros-Tochter Medbase oder die von Krankenversicherern gegründete Sanacare. Die sind aber vorwiegend in der Nähe von Bahnhöfen in Agglomerationsgemeinden und Städten präsent.
Jeder zweite Arzt arbeitet in einer Gruppenpraxis. Dahinter stehen immer öfter grosse Betreiber, die Praxen zentralisiert organisieren. Den grossen Hintergrundbericht finden Sie hier.
Ärzte sind gegenüber dieser Entwicklung skeptisch, weil auch branchenfremde Investoren in ihren Markt drängen. Wie stellen Sie sich dazu?
Mir ist auch lieber, wenn dies Leute sind, die zuvor im Gesundheitswesen aktiv waren. Also Ärzte, die aus der Erfahrung ihrer Tätigkeit solche Ketten bilden. Für sie ist das nicht einfach ein Geschäftsmodell, um mehr Umsatz und Gewinn zu erzielen. Für Ärzte ist diese Tätigkeit eine Aufgabe, die sie für ihre Patienten und die Gesellschaft erbringen wollen. Das ist ein anderer Fokus. Letztlich leben Praxen ja von der Behandlung von Patienten.
Ketten bieten jungen Ärzten eine Anstellung, wo sie dies wünschen: in Städten oder Agglomerationen. Wie lösen Gemeinden wie Stalden im Wallis ihr Problem, dass bei ihnen der Hausarzt keinen Nachfolger findet?
Es wird in Zukunft nicht mehr in jedem Dorf einen Hausarzt geben. Gemeinden sollten sich heute zu Versorgungsregionen mit 10 000 bis 15 000 Einwohnern zusammenschliessen, um die Gesundheitsversorgung in ihrer Region sicherstellen zu können. Dafür braucht es mindestens fünf bis acht Hausärzte. Erfolgreich ist am ehesten, diese in Gruppenpraxen zusammenzufassen, in denen auch Angehörige anderer Gesundheitsberufe wie beispielsweise Apotheker tätig sind. Betrieben werden könnten sie beispielsweise von einer Genossenschaft, welche den angeschlossenen Gemeinden gehört.