Über Entstehen und Vergehen von Reichtum zu schreiben, ist ziemlich paradox. Wenn ich wirklich wüsste, wie man reich wird, würde ich mich hüten, es Ihnen für schlappe zwölf Franken auf die Nase zu binden. Will heissen: Niemand kann Ihnen sagen, wie Sie reich werden können. Wer es dennoch tut, ist entweder dumm, weil er sich nicht selber auf den Weg macht, oder er stapelt hoch.
Dennoch hat es immer wieder Versuche gegeben, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Ex post, versteht sich. Die Frage ist dann nicht mehr, wie Reichtum entsteht, sondern wie die grossen Vermögen entstanden sind. Woraus sich nur bedingt ableiten lässt, wie man künftig reich werden könnte.
Eines ist sicher, und darin sind sich von den Klassikern der Nationalökonomie über die Klassiker des Sozialismus bis zum Volksmund alle einig: Mit Arbeit allein kommt man nicht zu Reichtum, jedenfalls nicht mit der eigenen Arbeit. Wer heute reich ist, besitzt in aller Regel Unternehmen, in denen andere für ihn arbeiten, oder Land, das sich produktiven Zwecken zuführen lässt.
Landbesitz war in den grossen Flächenstaaten der Welt fast immer die erste Quelle des Reichtums. In den monarchischen Staaten Europas konzentrierte sich der Landbesitz bei der Aristokratie – und blieb auch dort. Aus den ursprünglich als Lehen vergebenen Flächen entwickelte sich Eigentum. Und das ist bis in unsere Tage erhalten geblieben. Bernt Engelmann, der frühere «Spiegel»-Journalist und Buchautor («Das Reich zerfiel, die Reichen blieben»), listet die hundert grössten Landbesitzer der Bundesrepublik auf und kommt auf eine Gesamtfläche von 7,5 Milliarden Quadratmetern (zum Vergleich: Die ganze Schweiz umfasst etwa 41 Milliarden Quadratmeter). Auch in England beruhte der frühe Reichtum auf Landbesitz – im Mutterland wie in den Kolonien.
Selbst in den USA, die sich aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus als egalitärer Gegenentwurf zum britischen Empire verstanden, war Landbesitz die erste Quelle des Reichtums. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzentrierten sich die grossen Vermögen der Amerikaner in den Südstaaten und beruhten dort auf landwirtschaftlich nutzbarem Boden und der billigen Sklavenarbeit. Im Bürgerkrieg Anfang der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts kehrten sich die Machtverhältnisse um: Die Befreiung der rund vier Millionen Sklaven stellte einen Reichtumsverlust von etwa zwei Milliarden Dollar dar, und der Wert des zuvor von ihnen bewirtschafteten Landes nahm um weitere zwei Milliarden Dollar ab.
In der Schweiz spielte Landbesitz mangels Masse (von den 41 Milliarden Quadratmetern war mehr als die Hälfte un-wirtlich und bis zur Erfindung des Tourismus auch unwirtschaftlich) keine grosse Rolle. Die Kleinräumigkeit des Landes und die Vielfalt der autonomen Stände verhinderten das Entstehen von wirklich grossen, auf Grundbesitz beruhenden Vermögen. Natürlich gab es die Berner Patrizier, die sich im Seeland und in der Waadt bereicherten, oder den Basler Daig, der das heutige Baselbiet beherrschte. Zur Vermögensbildung im Stile der von Fincks (umfangreicher Landbesitz am Stadtrand von München) oder der Bismarcks (im Umfeld von Hamburg) reichte es aber nicht. Deshalb ist in der Schweiz wirklich alter Reichtum, also solcher, der seit mehreren Jahrhunderten besteht und fast immer auf Grundbesitz beruht, kaum anzutreffen.
Grundbesitz allein genügte freilich auch in den Flächenstaaten nicht für nachhaltigen Reichtum. Etliche der einstmals gigantischen Vermögen sind verschwunden oder auf «Normalmass» geschrumpft. Gehalten haben sich stets jene Reichen, welche die Zeichen der Zeit erkannten, sich rechtzeitig auf gesellschaftliche Konflikte und auf technologische Umwälzungen einstellten.
Im 19. Jahrhundert trug das Erstarken der Nationalstaaten einerseits zur Bildung geschlossener Märkte bei und erhöhte andererseits das Konfliktpotenzial zwischen den Nationen. Kriege waren schon immer auch eine Quelle des Reichtums. Das wissen wir Schweizer sehr genau, weil hier zu Lande doch einige, wenn auch selten nachhaltige Vermögen durch das Geschäft mit den Söldnern entstanden sind. Im 19. Jahrhundert waren es der amerikanische Bürgerkrieg 1861, der deutsch-französische Krieg 1872 und die diversen Kolonialkriege der Briten und Franzosen, die den alten Reichtum auf eine neue Basis stellten und für das Entstehen neuer Vermögen sorgten.
Der Eisenbahnbau, die Stahl- und Maschinenindustrie sowie die Ölbranche waren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Wachstumsbereiche, in denen grosse Vermögen entstanden und etliche heute noch aktive Grossunternehmen gegründet wurden. In der Schweiz waren das unter anderem die Maschinenkonzerne BBC, Sulzer, Escher-Wyss, der Nahrungsmittelkonzern Nestlé sowie die Basler Chemieunternehmen Ciba, Geigy, Sandoz und Roche, von denen einige ursprünglich als Zulieferer der damals in Basel noch vorherrschenden Seidenbandindustrie entstanden waren.
In den USA lässt sich die Entwicklung der grossen Vermögen am leichtesten verfolgen, weil Reichtum in dieser Gesellschaft nicht als Makel gilt, den man tunlichst verheimlicht. Deshalb lässt sich dort auch nachvollziehen, wie die technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen den Charakter des Reichtums verändert haben. Mitte des 19. Jahrhunderts galt John Jacob Astor, der Einwanderer aus Deutschland, als reichster Amerikaner. Die Basis seines 1848 auf 20 Millionen Dollar bezifferten Vermögens war im Ursprung der Pelzhandel; die Legende besagt, dass er die ihn beliefernden Indianer betrunken machte und ihnen dann ihre Pelze stahl. In etwas andere Dimensionen stiessen Cornelius und William Vanderbilt vor, die von 1868 bis Ende des Jahrhunderts als reichste Amerikaner galten. Sie sind die Ikonen des «Gilded Age», als Eisenbahnbau, Stahl- und Maschinenindustrie grosse Vermögen hervorbrachten. William Vanderbilt wurde 1890 auf 200 Millionen Dollar geschätzt.
Sein Nachfolger als reichster Amerikaner war John D. Rockefeller, der von 1912 bis 1940 mit einem Vermögen von einer bis 1,5 Milliarden Dollar die Rangliste anführte. Quelle: das Öl, das seine Standard Oil in aller Welt förderte und das direkt von der neuen Technologie des Automobils profitierte. Aus der gleichen Quelle sprudelte J.P. Gettys Vermögen, das 1962 als das grösste Amerikas taxiert wurde. Bis in die Neunzigerjahre hinein zeigte dann die Konsumgesellschaft ihre Wirkung: Reichster Amerikaner war 1992 Sam Walton, mit seiner Wal-Mart-Kette grösster Einzelhändler der Welt.
Ab Mitte der Neunzigerjahre steht dann ein Newcomer an der Spitze: Bill Gates, dessen Vermögen von 11 Milliarden Dollar im Jahre 1995 auf 85 Milliarden im Jahre 1999 emporschnellte. Der Herr der Softwarewelt hatte als Erster den bevorstehenden Siegeszug des Personalcomputers und des Internets erkannt und die entsprechenden Produkte entwickelt.
Umbruchzeiten, in denen neue Vermögen entstehen und alte ins zweite Glied zurücktreten, sind immer auch Zeiten verschärfter Ungleichheit. Auch dies lässt sich in den USA am besten nachvollziehen. Kevin Phillips führt das in seinem Buch «Wealth and Democracy» eindrücklich vor. Er setzt das jeweilige Spitzenvermögen in Beziehung zum Median-Vermögen, jenem Wert also, der genau in der Mitte aller Vermögen liegt. Daraus ergibt sich, dass in der Frühzeit der USA Elias Derby, der schon mit einer Million Dollar der reichste Amerikaner war, nur 4000-mal so reich war wie der mittlere Amerikaner. John Jacob Astors 20 Millionen Dollar sorgten schon für den Faktor 50 000 zu eins. Und John D. Rockefellers Milliarde im Jahre 1912 war 1,25 Millionen Mal so gross wie das Median-Vermögen. Was erhellt, dass der technologische Aufbruch (Schiene, Strom, Öl, Maschinen) zwar insgesamt zu beschleunigtem Wachstum führt, dessen Früchte aber zunehmend ungleich verteilt.
Der Erste Weltkrieg, die Depression der Zwanziger- und Dreissigerjahre und Roosevelts New Deal (mit dem Anti-Trust-Gesetz und der Zerschlagung von Standard Oil) führten zu einer leichten Verflachung der Ungleichheit: 1940 war Rockefeller «nur» noch 850 000-mal so reich wie der mittlere Amerikaner. Der Zweite Weltkrieg und die darauf folgende Systemkonkurrenz mit der Sowjetunion führten auch in den USA zu einer egalitäreren Gesellschaft: Anfang der Achtzigerjahre war der reichste Amerikaner lediglich 60 000-mal so vermögend wie der mittlere Amerikaner. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die rasante Verbreitung der Internettechnologie liessen diese Zahlen wieder ins Gigantische wachsen. 1999 war Bill Gates mit 85 Milliarden Dollar 1,4 Millionen Mal so reich wie der mittlere Amerikaner.
Die Entwicklung in der Schweiz dürfte ganz ähnlich verlaufen sein, auch wenn hier die Datenbasis sehr dürftig ist. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts haben auch hier der Eisenbahnbau und die Maschinenindustrie für neuen Reichtum gesorgt. Sie wurden abgelöst vom Bankgewerbe, von der Uhrenindustrie und später von der Chemieindustrie, die freilich erst sehr viel später dank ihrer Fokussierung auf Pharma zur grossen Wert- und Reichtumsschöpferin wurde und die in jüngster Zeit ergänzt wird durch die Medizinaltechnik, die einige neue grosse Vermögen geschaffen hat.
Kevin Phillips bezeichnet die gegenwärtige Phase als das zweite Gilded Age, in dem sich die Reichen und Mächtigen ungeniert weiter bereichern können und, da sie die Politik im Sack haben, die Rahmenbedingungen so gestalten können, dass sie der Vermögensbildung – ihrer Vermögensbildung natürlich – am besten dienen. Ähnliches gilt für Russland, wo in den Neunzigerjahren gigantische neue Vermögen entstanden und die Ungleichheiten ins Unermessliche gestiegen sind. Auch Chinas Öffnung für die Marktwirtschaft hat neuen Reichtum geschaffen und altem, bisher im Exil angesiedeltem Vermögen neuen Auftrieb gegeben.
Phillips’ historische Analyse zeigt freilich auch, dass solche Phasen niemals endlos sind. Jeder technologische Schub, jeder gesellschaftliche Umbruch, der neue Vermögen explodieren lässt, mündet in eine Phase der Konsolidierung, in der die entstandenen Ungleichheiten geglättet werden. Das Platzen der New-Economy-Blase könnte das Zeichen dafür gewesen sein, dass dieser Prozess bereits in Gang gekommen ist.
Das muss nicht unbedingt heissen, dass die schnell entstandenen neuen Vermögen wieder verschwinden (auch wenn das durchaus geschehen kann), sondern nur, dass ihr Wachstum nicht ungebremst weitergeht, dass etliche der alten Vermögen, die unter dem Ansturm des Neuen stagniert oder gar geschrumpft sind, wieder an Boden gewinnen und dass die Früchte der neuen Technologien unter dem Druck der Gesellschaft und der Märkte gleichmässiger verteilt werden.
Und dann kommt es darauf an, den nächsten technologischen Schub zu erkennen, der neue Vermögen wieder schneller entstehen lässt. Denn das ist, ausser der Gnade der reichen Geburt, der sicherste Weg zu den Goldtöpfen. Wir werden Sie zu gegebener Zeit wissen lassen, wo dieser Schub zu erwarten – war.