Knapp 78 Kilometer und 2800 Meter Höhenunterschied waren zu bewältigen. Von Davos über Filisur, den Sertigpass zurück nach Davos, quer durch das alpine Hochgebirge und über anspruchsvolle Bergpassagen, die selbst einem erfahrenen Läufer wie Jörg Beer alles abverlangten. Ab Kilometer 30 ging es nur noch bergauf.
Dreimal absolvierte Beer den berüchtigten Ultralauf K78. Der Chef des Blumenverkäufers Fleurop Schweiz ist 1,93 Meter gross und 100 Kilogramm schwer – nicht gerade der typische Läufer. «Ich wollte beweisen, dass aussergewöhnliche Leistungen möglich sind, wenn man es will», sagt der 51-Jährige. «Es ist eine unglaubliche Befriedigung, etwas geleistet zu haben, was andere nicht können.»
Der K78 war etwas für Hartgesottene. Unter Kennern galt er als die Königsdisziplin bei der Davoser Rennveranstaltung Swissalpine, die mit zwölf Wettbewerben jedes Jahr Hunderte Läufer anlockt. Diesen Sommer wurde der Ultralauf vom noch härteren T88 abgelöst, einem Gebirgslauf über 84,9 Kilometer. Das «T» steht für Irontrail. Bei jedem gelaufenen Kilometer werden die Strapazen grösser, die Schmerzen, das Stechen in den Oberschenkeln. Irgendwann ist jeder Schritt eine Qual.
Planung ist alles
Seit er vor 20 Jahren in New York das erste Mal bei einem Marathon startete, hat Beer mindestens einen Wettkampf pro Jahr bestritten. Insgesamt 32 Marathons, diverse davon in den Bergen, stecken heute in seinen Knochen. «Wenn man nicht fit ist, wird man träge und verliert an Effizienz», sagt er. Dreimal die Woche läuft er frühmorgens 1,5 Stunden, am Wochenende bis zu 2,5 Stunden. Zu seinen besten Zeiten waren es fünf Einheiten und 100 Kilometer jede Woche. Das Training ist fixer Bestandteil seiner Agenda, jede Einheit akribisch im Kalender notiert. «Planung ist alles», sagt Beer.
«Solche Events treiben mich an, sie geben mir den Takt vor, um fit zu bleiben.»
Franziska Tschudi Sauber, Weidmann-Chefin
Franziska Tschudi Sauber liebt den Jungfrau-Marathon. Siebenmal schon ist die Chefin des Rapperswiler Unternehmens Weidmann von Interlaken über Lauterbrunnen hinauf auf die Kleine Scheidegg gerannt. Einige flache Marathons hat sie ausserdem hinter sich. «Solche Events treiben mich an, sie geben mir den Takt vor, um fit zu bleiben.» Für die 59-Jährige ist Laufen «eine Auszeit in der Natur, in der ich abschalten und wieder zu mir finden kann». Ein- bis zweimal pro Woche zieht Tschudi Sauber mittags oder abends für bis zu 1,5 Stunden ihre Runden – je nachdem, wie es die Termine zulassen. Die längeren Strecken läuft sie am Wochenende zusammen mit ihrem Mann, mit dem sie ihr zeitintensives Hobby teilt. «Anders wäre das nicht sinnvoll.»
Langstreckenläufer, Rennradfahrer und Triathleten
Wer Schweizer Spitzenmanager nach ihrem Hobby fragt, stösst auf begeisterte Langstreckenläufer, Rennradfahrer und Triathleten. Längst hat der strapaziöse Ausdauersport in den Chefetagen das Golfen und Tennis als Statussymbol abgelöst. Denn rennen, biken, schwimmen, und das möglichst lange, steht für Leistungsfähigkeit und gilt als Zeichen: Wer solche Strapazen auf sich nimmt, ist willensstark und hat den inneren Schweinehund im Griff.
Meist kommt Managern die Erkenntnis, dass sie etwas tun müssen, im Alter zwischen 34 und 45 Jahren – dann also, wenn die ersten Zeichen der Vergänglichkeit sich nicht mehr ignorieren lassen. Angesichts praller Terminkalender fällt die Entscheidung für eine Sportart pragmatisch aus: laufen oder biken – gut für Körper und Seele, zudem kompetitiv und nahezu überall machbar, Joggingschuhe passen sogar ins Handgepäck.
«Trailrunning ist für Manager die komplette Abwechslung zum Alltag, ein erholsames Abenteuer – trotz der physischen Belastung.»
Andrea Tuffli, Swissalpine-Chef
«Wir merken signifikant, dass Führungskräfte sich insbesondere für die Irontrails über 85 und 125 Kilometer interessieren», sagt Swissalpine-Chef Andrea Tuffli. Bei jenen Rennen haben rund 20 Prozent der Teilnehmer eine Führungsposition inne, Tendenz steigend. «Trailrunning ist für Manager die komplette Abwechslung zum Alltag, ein erholsames Abenteuer – trotz der physischen Belastung.»
Viele Führungskräfte nehmen auch am Ironman Switzerland teil. Ende Juli war es wieder so weit. Eine Auswertung der 1900 Teilnehmer zeigt: 42 Prozent der Athleten haben ein Jahressalär von über 110 000 Euro, 14 Prozent sind CEO in einem Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. «Die Nachfrage steigt wieder», sagt Renndirektor Nico Aeschimann. «Es ist ein Hype geworden, weil es den Zeitgeist trifft.»
Tag und Nacht unterwegs
Das härteste Radrennen hierzulande ist die Tortour. Vom Start in Schaffhausen geht es einmal rund um die Schweiz: 1000 Kilometer, 14 500 Höhenmeter über fünf Alpenpässe. Die längsten Anstiege überwinden 1000 Höhenmeter. Mindestens zwei Nächte und zwei Tage ist jeder unterwegs. Nonstop. Die schnellsten Einzelfahrer erledigen das in 35 Stunden, die ersten Teams, bei denen sich mehrere Fahrer abwechseln, bereits in 30 Stunden; hier beteiligen sich zahlreiche Führungskräfte.
«Der Trend geht zu immer längeren Distanzen. Lief man früher 42 Kilometer, sind es heute 100. Im Radfahren ist das ähnlich.»
Joko Vogel, Tortour-Mitgründer
Trotz der Strapazen können sich die Organisatoren kaum vor der Lawine von Anmeldungen retten. Seit dem Start vor zehn Jahren hat sich die Teilnehmerzahl versechsfacht. Von den rund 600 Fahrern arbeitet jeder Fünfte im Topmanagement. Unter den Vertretern der Wirtschaftselite finden sich Amag-Chef Morten Hannesbo, Credit-Suisse-Chefjurist Romeo Cerutti oder Twint-VR-Präsident Søren Mose. Sie alle sind Wiederholungstäter. «Die Nachfrage steigt kontinuierlich», sagt Mitgründer Joko Vogel. «Der Trend geht zu immer längeren Distanzen. Lief man früher 42 Kilometer, sind es heute 100. Im Radfahren ist das ähnlich.»
Gestartet wird in der Nacht auf Freitag, späteste Zielankunft ist Sonntag, 1 Uhr. Bewerber für eine Teilnahme als Einzelfahrer müssen einen Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit erbringen – bereits an anderen Rennen teilgenommen haben, glaubhaft machen, dass sie der Strecke gewachsen sind. Im Zweifel wird ein ärztliches Attest eingefordert. Und trotzdem kommt am Ende nur jeder zweite Einzelfahrer ins Ziel. Im Hochgebirge kann es zudem nachts bei Gewitter und Regen schnell ungemütlich werden. Doch das Wetter sei ein Nebenschauplatz, sagt Vogel. «Es ist reine Kopfsache. Das Wichtigste ist, mental stark zu sein und wie eine Maschine den Rhythmus zu finden.»
Ideen- und Energiequelle
Stefan Pfister ist schon mehrmals zur Tortour angetreten. «Für uns Fahrer ist das ein Abenteuer, das zusammenschweisst. Von den Erlebnissen kann man jahrelang zehren», sagt der Schweiz-Chef von KPMG. Jedes Jahr absolviert der frühere Triathlet zwei bis drei Mehrtagesrennen. «Sport ist für mich eine Ideen- und Energiequelle. Zugleich diszipliniert er, wie man generell Herausforderungen im Leben angeht. Man wird widerstandsfähiger.»
Für sein Training ein- bis zweimal wöchentlich klingelt der Wecker früh, um 5.30 Uhr, dann schwingt Pfister sich aufs Fahrrad. Am Wochenende tritt er nach Möglichkeit jeden Tag in die Pedale – Freitag nach der Arbeit, Samstag, Sonntag. Geht es mit der Familie irgendwohin, verknüpft er auch mal Training mit Privatem: «Ich fahre mit dem Rad früher los und treffe meine Familie dort.» Gerne verabredet er sich auch mit anderen CEOs zum gemeinsamen Radeln. «Für uns ist das ein Ausgleich zu der täglichen Anspannung, eine gemeinsame Ausfahrt verbindet zudem.»
«Ich bin jetzt 53 und habe ein Minimum an Eitelkeit. Ich will einigermassen fit aussehen.»
Georges Kern, Breitling-Chef
«Die Tortour ist immer wieder eine riesige Challenge, beim Start um 1.30 Uhr überkommt mich jedes Mal ein unglaublich ausfüllendes Gefühl», sagt Georges Kern. Siebenmal ist der Breitling-Chef das Rennen gefahren. Mitunter ist das auch gefährlich, denn Crashs und Stürze gehören dazu. «Einmal bin ich haarscharf an einem LKW vorbeigebraust, da fehlten nur Millimeter.» Etwa 3000 Kilometer spult er jedes Jahr ab. Fragt man ihn, was ihm die körperliche Fitness im Job bringt, sagt er klar: «Mehr Leistungsfähigkeit.» Man fühle sich besser, sei aufgeweckter, dynamischer. Und er gibt zu: «Ich bin jetzt 53 und habe ein Minimum an Eitelkeit. Ich will einigermassen fit aussehen.»
Die Einstellung der Gesellschaft habe sich massiv gewandelt: «Die Zeiten, in denen man als Manager mittags üppig ass, Cognac trank und Zigarre rauchte, sind vorbei – heute treiben die Manager Sport», sagt Kern. Für den Uhren-Chef haben Sportler drei fundamentale Vorteile im Berufsleben: «Sie sind diszipliniert, Teamplayer und geraten auch in kritischen Situationen nicht in Panik. Deswegen achte ich bei der Auswahl von neuen Mitarbeitern auch darauf, ob Kandidaten sportlich sind oder gar an Wettkämpfen teilnehmen.»
Dass sich Topmanager für Ausdauersport entscheiden, erklärt Mirko Wegner von der Humboldt-Universität Berlin so: «Topmanager haben eine hohe Macht- und Leistungsmotivation, sonst wären sie nicht in der Position, in der sie sind. Sie wollen ihre Leistung stetig vorantreiben, an ihre Grenzen gehen, sie überschreiten und sich gegen andere durchsetzen.» Gerade der Ausdauersport befriedige diese Motive, sagt der Sportpsychologe. Zudem könnten klare Ziele gesetzt werden, die sich messen und steigern lassen. «Wie im Beruf ist der Sport für sie eine Art Projekt, mit Teil- und grossen Zielen. Erreicht man diese, wird das als extrem lohnenswert empfunden.»
«Je höher sie die Karriereleiter klettern, desto leistungsorientierter sind die Menschen.»
Andreas Butz, Lauftrainer
Der frühere Bankmanager Andreas Butz ist heute einer der bekanntesten Lauftrainer Deutschlands. Zu seinen Kunden zählen viele Führungskräfte. Er weiss: «Je höher sie die Karriereleiter klettern, desto leistungsorientierter sind die Menschen. Für sie zählt nicht nur, dass sie es schaffen, sie wollen auch eine gute Zeit.» Hinzu kommt, dass Topmanager im Job nicht viele Steigerungsmöglichkeiten haben. «Sie suchen sich also gerne andere Spielwiesen, auf denen sie sich noch steigern und zeigen können, dass sie erfolgreich sind.»
Fleurop-Chef Beer hatte nach seinem ersten Marathon Blut geleckt. Seine Ziele wurden immer ambitionierter. «Ich wollte meine Grenzen ausloten», sagt er. Zum Beispiel einen Marathon unter vier Stunden schaffen – Beer war nach 3,5 Stunden im Ziel. Dann zwei Marathons in einer Woche – Beer startete binnen sieben Tagen in Hamburg und Zürich. Schliesslich der Ultralauf – Beer lief ihn gleich dreimal. Was kommt als Nächstes? «Ein Traum von mir war immer der 100-Kilometer-Lauf von Biel», sagt er. «Doch es bleibt wohl ein Traum.» Denn der Aufwand ist gross, die freie Zeit noch knapper geworden. Jörg Beer ist inzwischen Familienvater mit zwei kleinen Kindern. «Für mich ist die Sache damit vorerst gelaufen.»