Eine gute Kinderstube lässt sich nicht verleugnen. Auch bei 50 Grad Celsius im Trockenraum der Stiftefabrik Faber-Castell schmilzt das Lächeln auf den Lippen von Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell nicht. Schliesslich hat der Mann eine Mission: Er will mit seinen Schreibgeräten weltweit die Märkte erobern. Dafür ist ihm kein Opfer zu gross, stoisch lässt er das Fotoshooting inmitten von Tausenden von Stiften über sich ergehen.
Der Graf, wie ihn seine Angestellten nennen, ist Besitzer und Chef des Familienunternehmens in achter Generation. Der 1941 geborene Industrielle ist nicht nur blaublütig, er ist das perfekte Bild eines Aristokraten: schmale Gesichtszüge, halblanges, silbernes Haar, das leicht aus dem Gesicht gekämmt ist, das Gardemass von an die 1,90 Meter in edles Tuch gehüllt. Die zum Einstecktuch passend assortierte Krawatte wölbt sich über einer goldenen Nadel, die den Hemdkragen überbrückt.
Mit langen Schritten, vorbei am alten Familienschloss der Faber-Castell, überquert er hastig den gepflasterten Hof der Fabrikanlage im fränkischen Stein, einem Vorort von Nürnberg. Zeit ist ein Gut, von dem der Graf nur wenig hat – heute ist er in Deutschland, morgen in Brasilien und nächste Woche in Malaysia. Faber-Castell hat sein Stiftimperium in den vergangenen zwanzig Jahren global ausgebaut. Insgesamt 5500 Beschäftigte produzieren im Kerngeschäft 1,8 Milliarden Blei- und Farbstifte an 18 Produktionsstätten auf der ganzen Welt. Damit ist Faber-Castell der grösste Stifteproduzent der Welt.
Das Herz des Unternehmens schlägt jedoch nach wie vor in Stein. Hier haben die Fabers vor gut 240 Jahren begonnen, Bleistifte zu produzieren. Und hier legte Mitte des 19. Jahrhunderts Lothar von Faber, der Ururgrossvater des heutigen Grafen, den Grundstein für eine florierende Bleistiftindustrie. Faber-Castell leistet sich Traditionsbewusstsein und produziert noch heute die hochwertigen Blei- und Buntstifte in historischen Fabrikhallen. In neuen Maschinen werden dort pro Tag 550 000 Stifte gehobelt, lackiert und bestempelt. Mit dieser Produktion werden über 100 Länder versorgt.
Das Unternehmen erwirtschaftete 2003 um die 300 Millionen Umsatz und gut 16,2 Millionen Reingewinn. Demnächst werden die Zahlen für 2004 publiziert, wohl in ähnlichem Rahmen. In wirtschaftlich turbulenten Zeiten hat es Faber-Castell geschafft, Gewinn und Wachstum ausweisen zu können. Darauf ist nicht nur der Graf, sondern das gesamte Management stolz. «Der deutsche Markt stagniert seit zwölf Jahren», sagt Bernhard Teuber, seit zwölf Jahren Geschäftsführer Europa und Nordamerika und der starke Mann an der Seite des Grafen, «wir sind in derselben Zeit um einiges grösser geworden.»
Für Teuber wiederholt sich derzeit in der achten Generation, was schon einmal in der vierten Generation passiert ist. Damals zeigte Lothar von Faber unternehmerischen Weitblick, als er nach Übersee expandierte und 1849 die erste Niederlassung in Amerika gründete. Für seine Verdienste in der Stiftindustrie wurde er vom bayrischen König geadelt. Er gilt als Erfinder des sechskantigen Bleistiftes. Sein Ururenkel Anton Wolfgang tritt in seine Fussstapfen, was Innovation und Marketing betrifft. Ende der neunziger Jahre lanciert er den Grip, einen dreikantigen Stift, bei dem aufgespritzte Noppen ein Abgleiten der Finger verhindern. Er expandiert und gründet unter anderem Niederlassungen in Malaysia, Indien und China. Das Familienunternehmen hat unter seiner Ägide den Sprung zum globalen Player geschafft. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Graf selbst Dreh- und Angelpunkt sowie Initiator der vor zwölf Jahren gestarteten Neuausrichtung ist.
Im Bürogebäude, gleich gegenüber dem alten Familienschloss, in dem sich heute auch die Firmenkantine befindet, ordert der Graf Tee ins Konferenzzimmer. Dieses ist mit den alten Bleistiften der Fabers dekoriert, Bleistifte, mit denen viele Generationen von Kindern gross geworden sind: sechskantig, dunkelgrün, mit einem goldenen Faber-Castell-Aufdruck. Ordentlich gerahmt, hängen sie an der Wand. Unbeeindruckt von der geschichtsträchtigen Umgebung, zündet der Graf ein rhetorisches Feuerwerk. Der temperament- und humorvolle Erzähler ist das effizienteste Marketinginstrument der Firma.
1978 übernahm er als einziges von zehn Geschwistern das väterliche Unternehmen. Er glaubte, sich auf den Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrates zurückziehen zu können. Zu jenem Zeitpunkt plante er, ein professionelles Management mit der operativen Leitung der Firma zu beauftragen. Als die Geschäfte in den achtziger Jahren jedoch harzig liefen, musste er erkennen, dass «man sich nicht zu schade sein darf, gewisse Dinge selbst in die Hand zu nehmen». Er krempelte die Ärmel hoch und begann mit der Umstrukturierung. Die gut gemeinten Ratschläge der professionellen Unternehmensberater schlug er in den Wind.
«Wenn wir damals auf die Berater gehört hätten, gäbe es uns heute nicht mehr», sagt er und giesst sich frischen Tee ein. Er schüttelt den Kopf: «Ähnlich dumme Ratschläge bekam ich dann noch einmal Ende der neunziger Jahre, als man mir weismachen wollte, ich müsse ins Internet- und Dotcom-Geschäft einsteigen.» In beiden schwierigen Phasen hörte der Graf auf seine innere Stimme. Er setzte auf Kreativität und Erneuerung von innen. Seit jener Zeit existieren überall auf der Welt bei Faber-Castell interdisziplinäre Teams, bestehend aus Marketingfachleuten, Designern, Technikern und Managern, die sich der anstehenden Probleme gemeinsam annehmen. Märkte werden analysiert, Produkte getestet.
Von Grund auf neu ausgerichtet wurde Faber-Castell 1993, als der Graf Struktur in das Sortiment brachte und den Markenauftritt überarbeitete. Die fünf Kompetenzfelder Spielen und Lernen, Art & Graphic, Premium, allgemeines Schreiben und Markieren entstanden und wurden sukzessive ausgebaut. Der Graf schwor seine Mitarbeiter auf die neue Linie ein.
1996 erneut ein Quantensprung, Faber-Castell lanciert den Bleistift «Graf von Faber-Castell». Der Bleistift hat einen silbernen Verlängerer und lehnt sich in seinem Retrodesign an vergangne Zeiten an. Die Innovation trägt nicht nur die Handschrift, sondern auch den Namen des Grafen. Mit diesem ersten Produkt einer neuen, exklusiven Schreibgerätelinie schafft Faber-Castell den Einstieg in das Luxussegment. Und das mit Erfolg. 160 Euro kostet der «perfekte Bleistift», im Laufe der Jahre wird die Kollektion um Kugelschreiber-, Füllfederhalter und um Lederaccessoires ergänzt. Vor allem die Jahresfüllfederhalter geniessen Sammlerstatus, weil die edlen Materialien des Schaftes von Jahr zu Jahr wechseln. Von Schlangenholz über Bernstein bis hin zu Rochenleder im Jahr 2005.
1998 kam es in Stein erneut zu Auslastungsproblemen. Diesmal machte der Graf das Problem von Anfang an zur Chefsache. Ein Lächeln huscht über seine Lippen, «Unternehmensführung und Markenführung gehen Hand in Hand», sagt er. Er habe die Lektion gelernt, dass es bei einem Markenartikelhersteller von ungeheurer Bedeutung sei, dass sich der Mann an der Spitze höchstpersönlich engagiere. Im Haus herrscht eine offene und kritikfähige Kultur. Begeistert erzählt er von den Multifunktionsteams, von hitzigen Diskussionen und konstruktiven Auseinandersetzungen. Das ist es, was er sucht. Optimale Lösungen, gerne auch quer gedacht.
Das Kind dieser kreativen Auseinandersetzungen und derzeit erfolgreichstes Produkt des Hauses gibt seiner Strategie Recht: ein Stift mit drei Kanten und einer ergonomischen Griffzone, der Grip. Als der Grip 2000 auf den Markt kam, wurde er zum Beweis dafür, dass es möglich ist, ein Produkt neu zu erfinden, das als definitiv erfunden gilt und sich seit Jahrhunderten bewährt hat. Anstatt mit neuen, unbekannten Waren in die Märkte diffundieren zu wollen und dabei ein hohes Risiko einzugehen, entschied man sich bei Faber-Castell für den anderen Weg. «Wir knabberten einen bestehenden Markt an und nahmen den anderen Marktanteile weg», sagt Bernhard Teuber.
Parallel zu den Produkteinnovationen arbeiteten der Graf und sein Management in den Neunzigern mit Hochdruck am Ausbau der Standorte. Heute produziert Faber-Castell weltweit in 15 Werken und besitzt 19 Vertriebsgesellschaften. Faber-Castell Brasilien hat sich seit ihrer Gründung in den dreissiger Jahren mit jährlich 1,5 Milliarden Stiften zum grössten Buntstiftproduzenten der Welt entwickelt. Das Werk in Malaysia ist der weltweit grösste Hersteller von Naturkautschuk-Radierern. Zwischen 1990 und 2001 kaufte das Unternehmen Werke in Kolumbien, Costa Rica, Indonesien, China und Indien dazu.
Das alles mit Fingerspitzengefühl. Faber-Castell wird traditionell und somit auf einer gesunden, vorsichtig risikofreudigen finanziellen Basis geführt. «Wir sind ein Familienunternehmen und haben als solches keinen Zugang zum Kapitalmarkt», sagt Finanzchef Roland Müller. Was erwirtschaftet wird, wird reinvestiert. Wird irgendwo auf der Welt etwas gekauft, so passiert das auf eigenes Risiko. Damit behält das Unternehmen seine Unabhängigkeit.
Ehre und Schulterklopfen heimste sich das Unternehmen durch die am 1. März 2000 unterzeichnete «Sozialcharta Faber-Castell» ein. Mit dieser Charta verpflichtet sich Faber-Castell freiwillig, weltweit in allen Gesellschaften der Gruppe Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, wie sie von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) empfohlen werden. Faber-Castell sorgt dafür, dass marktkonforme Löhne bezahlt werden, in Drittweltländern können Mitarbeiter auf Kosten des Unternehmens Weiterbildungskurse besuchen, den Mitarbeitern stehen ärztliche Dienste zur Verfügung.
Um stets das richtige Holz in der richtigen Qualität zur Verfügung zu haben, hat das deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten in Brasilien riesige Wälder gekauft und bewirtschaftet. Das alles innerhalb streng vorgegebener ökologischer Richtlinien, die Wälder sind heute zertifiziert. Im nächsten Jahr, so hoffen die Faber-Castells, werden sie auf Grund der eigenen Holzproduktion endlich Selbstversorger sein.
Oberstes Gebot war und ist dabei der Qualitätsanspruch – auch als Kontrastprogramm zu den Billiganbietern aus dem asiatischen Raum. Das Motto des Hauses: «Gewöhnliches ungewöhnlich gut machen.» Das gilt für die Qualität des Holzes ebenso wie für die der Minen oder die umweltfreundliche Lackierung der Stifte auf Wasserbasis. «Man kann alles besser machen», sagt der Graf und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr, «wir haben das mit dem Bleistift gemacht und hatten Erfolg.» Gemeint ist der Grip, das derzeit wichtigste Produkt im Sortiment. Er ist umweltschonend produziert, hat ein spezielles Design, liegt gut in der Hand, und seine Mine ist fast unzerbrechlich. Dass er teurer ist als andere Stifte, wird so zum Nebenargument, in Deutschland wird er bereits von den Schulen empfohlen.
Eine Sekretärin erscheint im Türrahmen und macht ein Zeichen. Auf Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell wartet das nächste Meeting. Schnell steht er auf. Lacht in sich hinein. «Vielleicht», sagt er dann, «können wir den Spiess umdrehen und den Chinesen zeigen, was gute Qualität im Sinne von Made in Germany oder Made in Switzerland bedeuten kann.»
Zuzutrauen wäre ihm das.