Seit dem Beginn der Fotografie vor 170 Jahren gehörten Skulpturen zu den ersten Sujets. Diese beiden sehr unterschiedlichen Gattungen standen von Beginn weg in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis, wobei die Fotografen die Skulptur nicht nur neu interpretiert, sondern auch verblüffende Neuschöpfungen hervorgebracht haben. Experimentelle Ausschnitte, selektive Fokussierung, variable Optik, extreme Nahaufnahme und eine gezielte Beleuchtung zählten hierbei zu den verwendeten Mitteln. Aber auch mit Hilfe von Techniken wie Collage, Montage und Assemblage sowie mit Manipulationen in der Dunkelkammer schufen Fotografen neue und unerwartete Ansichten.

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«FotoSkulptur. Die Fotografie der Skulptur 1839 bis heute» im Kunsthaus Zürich ist die erste Überblicksschau, welche die Veränderung des Skulpturbegriffs durch die Fotografie ins Zentrum stellt. Sie widmet sich kritischen Untersuchungen der ästhetischen und theoretischen Schnittpunkte beider Gattungen. Nach dem Museum of Modern Art, New York, das die Ausstellung organisiert hat, ist das Kunsthaus die einzige weitere Station der Schau. Gezeigt werden Werke von über 100 bedeutenden Fotografen und plastischen Künstlern.
 

Bilder gänzlich neuer Welten

Eine der Kernfragen der Ausstellung lautet, wie das eine Medium in die kreative Interpretation des anderen einbezogen wird und wie Fotografien unser Verständnis von Skulptur prägen und zugleich herausfordern. Die Ausstellung untersucht, wie und warum die Skulptur zu einem Thema der Fotografie wurde und wie die Fotografie sie beeinflusst und ergänzt hat.
Der erste Abschnitt umfasst Fotografien früher Meister wie Charles Nègre, Roger Fenton und Stephen Thompson. Diese verschafften dem Betrachter Zutritt zu bisher unzugänglichen Welten, wobei sie bisher kaum je gesehene Details einfingen.Ab den 1920er-Jahren erlaubten tragbare Kameras den Fotografen dann noch mehr Flexibilität und liessen Aufnahmen aus den ungewöhnlichsten Blickwinkeln zu.
Unter dem Titel «Auguste Rodin: Der Bildhauer und das Wagnis der Fotografie» sind einige der bemerkenswertesten Bilder der Skulpturen Rodins von diversen Fotografen zu sehen, darunter auch Edward Steichen. Rodin selbst fotografierte seine fertigen Werke nicht, er leitete aber ihre Aufnahme selbst an, indem er Inszenierung, Beleuchtung und Hintergrund kontrollierte. Daneben war er wohl der erste Bildhauer, der die Kamera einsetzte, um die verschiedenen Stadien seiner Entwürfe festzuhalten. Constantin Brancusi organisierte sein Atelier um verschiedene «groupes mobile» herum und stellte vorübergehende Konstellationen aus Skulpturen, Sockeln und Podesten zusammen. Die Fotografien dienten ihm als Tagebuch seiner permanenten Umgruppierungen.
Marcel Duchamp wiederum schien das von der Kamera festgehaltene Objekt nicht weniger wichtig als das von Hand gemachte. Er fertigte «autorisierte Originalkopien» seiner Arbeiten an und verwischte damit die Grenzen zwischen Unikat, Readymade und Multiple.
 

Ateliertrümmer als Skulptur

«Das Atelier ohne Wände» untersucht die radikale Veränderung des Skulpturbegriffs, die eintrat, als Künstler, die sich nicht als klassische Fotografen definierten, begannen, die Kamera zur kritischen Überprüfung des Skulpturbegriffs einzusetzen. Skulptur konnte nun auch eine Anordnung von Trümmern im Atelier (Bruce Naumann) und von einem zerlegten Haus sein (Gordon Matta-Clark) oder gar ein verpacktes Gebäude (Christo). Brassaïs «Sculptures involontaires» (zirka1932) zeigen Fotos von Fundgegenständen oder Assemblagen, die vom Künstler für die Kamera arrangiert wurden.
Das Kapitel «Pygmalion-Komplex» widmet sich dem Thema der zum Leben erwachten Statue, das sich durch die gesamte Geschichte der Fotografie zieht. Vor allem der Surrealismus nutzte die Kamera gern, um die unheimliche Seite von Marionetten, Robotern, Wachsfiguren und Schaufensterpuppen zu ergründen. Bilder und Fotocollagen etwa von Man Ray, Herbert Bayer oder Hans Bellmer machen dies deutlich. Sie richten den Blick auf Puppen und Automaten, um die Spannung zwischen lebender Figur und Skulptur auszuloten.
«Der Körper als skulpturales Objekt» schliesslich erforscht die Rolle der Fotografie dort, wo sich Performance und Skulptur überschneiden. Bruce Nauman, Charles Ray und Dennis Oppenheim verstanden den Körper als plastisches Requisit, das sich nutzen lässt wie jedes andere Material. Bei Erwin Wurms «One Minute Sculptures» (1997–98) gefriert der menschliche Körper schliesslich gänzlich zur plastischen Form.
 

Kunsthaus Zürich, bis 15. Mai 2011.