Frau McAndrew, Sie sind Gründerin von der Research-Firma Arts Economics. Wer sind Ihre Kunden?
Wir beraten Auktionshäuser, Kunstfonds, Banken, aber auch die britische Regierung. Ich habe schon früh die Karriere von Künstlern beobachtet und mich dann aber immer mehr auf den Kunstmarkt und die weltweiten Marktplätze fokussiert. Schliesslich habe ich einen ersten umfassenden Report im Jahre 2007 geschrieben. Das war in Zusammenarbeit mit der Kunstmesse TEFAF.

Dann sind Sie aber sozusagen zur Konkurrenz übergegangen. Jetzt schreiben Sie den «Art Market Report» von der Art Basel und UBS. Wie kam es zum Wechsel?
Es ist dieselbe Methode wie bei den anderen Reports davor. Mit der Zusammenarbeit mit der Art Basel habe ich aber einen grösseren Zugang zu Sammlern und Galerien. Die Resultate aus dem Report resultieren aus Befragungen. Da der Kunstmarkt eher verschlossen ist und praktisch keine Zahlen publiziert werden, ist ein direkter Kontakt zu Sammlern und Galerien unabdingbar. Aber es geht nicht nur um den Kunstmarkt aus Käufern und Verkäufern, sondern um die ganze «Industrie». Es hängen viele Jobs am Kunstmarkt, die von hochqualifizierten Leuten ausgeübt werden. Zudem ist die Gleichberechtigung im Kunstsektor hoch. Kunst ist ein Wirtschaftsfaktor. Das sehen Sie hier an der Art Basel. Viele profitieren vom Boost, der die Kunst der Stadt gibt. Und es verleiht Basel ein weltweites Image.

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Sie analysieren also auch Standorte?
Nein. Aber man kann auf jeden Fall sagen: Kunst ist ein entscheidender Faktor für Tourismus. Vor allem seit das Wetter so unbeständig geworden ist (lacht). Man kann Menschen mit Kunst und Kultur an Orte locken. Dafür gibt es auch Belege. In Städten in Grossbritannien geben Gäste, die wegen Kunst und Kultur eine Stadt besuchen, mehr Geld aus, als solche, die wegen Sportanlässen kommen. Zudem sind ihre Ausgaben während dem Aufenthalt rund zehnmal höher.

Welches ist Ihr Fazit vom Kunstmarkt derzeit?
Der Kunstmarkt ist im vergangenen Jahr um sechs Prozent gestiegen und hat 67,4 Milliarden Dollar umgesetzt. Die USA hat zugelegt – China verlor. Die USA, China und Grossbritannien machen 84 Prozent des gesamten Kunsthandels weltweit aus. In den USA wurde so viel Kunst gekauft wie nie zuvor.

«Kunst folgt dem Finanzmarkt. Wenn die Menschen mehr Geld in anderen Märkten verdienen, kaufen sie mehr Kunst.»

Wie sehr ist der Kunstmarkt ein Spiegel der Wirtschaft?
Nicht ganz. Dem Kunstmarkt ging es beispielsweise auch noch im Jahre 2009 sehr gut. Die Entwicklung beim Einbruch der Weltwirtschaft war verzögert. Den Menschen kommt das Geld für Kunst nicht abhanden. Es ist immer Geld zum Ausgeben da. Aber es gibt natürlich auch gute und schlechte Zeiten. Was in der globalen Weltwirtschaft passiert, widerspiegelt sich auch im Kunstmarkt. Die Käufer fragen sich, wieviel Geld sie ich im nächsten Jahr noch haben – und investieren entsprechend. Aber Kunstkäufe sind auch sehr emotional. Leute wollen ein Werk unbedingt und zahlen auch entsprechend dafür.

Sehen die Leute eine Investition in Kunst als sicheren Hafen?
Kunst folgt dem Finanzmarkt. Es ist ein Einkommenseffekt. Wenn es den Menschen besser geht und sie Geld in anderen Märkten verdienen, kaufen sie mehr Kunst und umgekehrt. Finanzmärkte sind sehr volatil. Die Leute schauen sich nach sicheren, physischen Investitionen um. Deshalb wurden im vergangenen Jahr auch insgesamt höhere Preise für Kunst bezahlt. Vor allem für ältere Werke.

Warum geben die Leute mehr Geld für Kunstwerke aus?
Das ist das Segment bei den Galerien und Auktionen, welches im vergangenen Jahr am meisten zugelegt hat. Leute kaufen mehr Kunstwerke mit einem Wert von über 10 Millionen Franken. Sie sehen die Werke als langfristige Investition.

«Es war nicht einfach, Kunstbesitzer in der Schweiz zu finden, die unsere Fragen beantworten wollten.»

Aber steigt der Preis eines Kunstwerkes nicht sowieso über die Jahre von selbst an?
Nein, das muss nicht sein. Das hat man im chinesischen Markt in den letzten Jahren gesehen. Erst ging es steil bergauf, dann hat sich der Markt sehr segmentiert. Kunstbesitzer können ihre Werke nicht mehr verkaufen, weil niemand den Preis dafür zahlt.

Sie haben diese Woche zusammen mit der UBS auch spezifische Zahlen für den Schweizer Markt veröffentlicht. Was sind die Erkenntnisse?
Es war nicht einfach, Kunstbesitzer in der Schweiz zu finden, welche unsere Fragen beantwortet haben. Und da waren wir sehr strikt mit dem Setting. Es ist daher nur eine kleine Gruppe von Leuten. Die Umfragen sind ein Snaphshot. Das Resultat war aber interessant. Ich dachte, der Schweizer Markt sei konservativer. Aber es gibt viele weibliche Käufer in der Schweiz.

Inwiefern?
Die weiblichen Sammler haben einen grösseren Anteil, aber auch die Millenials haben zugelegt. Frauen gehören zu den Top-Sammlern und machen 56 Prozent aus.

Wie erklären Sie sich das?
Frauen sind weltweit zunehmend in Führungspositionen tätig, verdienen mehr Geld und leisten sich Kunst. Das ist ein grosses Wachstum.

«Man kann Kunst online kaufen, aber zur Kunst gehört auch immer das gemeinsame Erlebnis. Kunst ist ein Social Happening.»

Sind auch Millenials eine neue Käufergruppe im Kunstsegment?
Wie in anderen Bereichen kaufen Millenials Kunst vor allem online. Da sind sie den anderen Käufergruppen weitaus überlegen. 93 Prozent der wohlhabenden Millenials sagen, sie hätten Kunst schon online gekauft. Besonders in Asien – etwa in Singapur oder Hongkong ist diese Zahl signifikant hoch. Mit diesen Gewohnheiten müssen sich auch Galerien auseinandersetzen. Schliesslich ist ihre grösste Frage: «Wie ziehe ich neue Käufer an?» Viele Galerien hatten über Jahre dieselben Kunden und konnten sich auf diese verlassen. Jetzt müssen sie aber junge Kunstsammler für sich gewinnen. Diese wollen vor allem die Transaktionen gleich tätigen wie in anderen Lebensbereichen.

Kann man Kunst wirklich online kaufen?
Ja, aber zur Kunst gehört auch immer das gemeinsame Erlebnis. So wie hier an der Art Basel. Kunst ist ein Social Happening. Man will sich über Kunst unterhalten. Vor allem junge Käufer trauen ihrem Geschmack nicht so sehr und wollen sich mit Galerien und Sammlern austauschen. Zudem kauft man sich mit der Kunst auch immer das Know-how und Wissen über den Künstler, seine Referenzen, sein Umfeld. Dafür eigent sich eine Messe gut.

Art Market
Quelle: ZVG
Der Kunstmarkt 2019

Clare McAndrew hat dieses Jahr bereits zum dritten Mal den Report «The Art Market 2019» verfasst. Dieser wird von der Art Basel und Sponsor UBS gemeinsam herausgegeben. McAndrew ist Gründerin der Beratungsagentur Arts Economics. Davor hat sie Reports zum weltweiten Kunstmarkt zusammen mit der Messe TEFAF publiziert. McAndrews lebt in Dublin, hat aber auch über zehn Jahre in New York gewohnt. Sie ist irisch-australische Doppelbürgerin.  Mehr Details zum «The Art Market 2019»-Report gibt es hier

Wer sind denn die Käufer an der Art Basel? Ich sehe keine Millenials.
Weil sie online kaufen (lacht). Die Art Basel ist eine teure Messe, und im Bereich zeitgenössische Kunst auch sehr klassisch. Ich treffe dafür auf zahlreiche Sammler aus Europa. Das freut mich sehr. Ich war besorgt, dass der europäische Markt zusammenbricht, besonders auch wegen dem Abschied von Grossbritannien. Aber ich spüre, dass die Leute in Europa immer noch gerne Geld für Kunst ausgeben.

Wie entwickelt sich der Kunstmarkt in den nächsten Jahren?
Ende 2018 war ich pessimistischer. Die USA – die Lokomotive im Kunstmarkt — hat nachgelassen. Die grösseren Galerien verliessen sich auf ihre Stammkunden, die hatten sich hingegen etwas zurückgezogen. Jetzt ist es aber doch nicht so schnell gegangen, wie ich glaubte. Aber der Handelsstreit beeinflusst auch den Kunstbereich. Die Amerikaner wollen exportieren, auch Kunst. Die Chinesen hingegen patriotisieren gerade ihr Volk.

Welches sind die angesagtesten Künstler zurzeit?
Ich rede nicht gerne über einzelne Künstler, sondern lieber über den Kunstmarkt und Zahlen. Das andere ist so subjektiv.

Am Freitag war Frauenstreik in der Schweiz. Zurzeit wird auch oft über den Gender-Gap in der Kunst diskutiert. Was ist Ihre Meinung?
Es gibt mehr weibliche Sammler. Das ist erfreulich. Zuerst war ich skeptisch über die Diskussion. Aber als ich einen genaueren Blick wagte, habe ich bemerkt, wie unterrepräsentiert weibliche Künstler wirklich sind. Bei Auktionen machen sie weniger als fünf Prozent aus. Aber auch bei den Galerien sind lebende Künstlerinnen mit knapp 36 Prozent unterrepräsentiert. Und auch in den Top-Ten der weltweiten Künstler sind keine Frauen dabei.

Wirkt sich diese Benachteiligung auf die Käufer aus?
Das ist schwierig zu sagen. Wir haben diese Frage auch an die Sammler gestellt. In der Schweiz werden 39 Prozent weibliche Künstler gekauft, das ist leicht mehr als in anderen Märkten. Aber Sammler können ja nur das kaufen, was Galerien und Auktionshäuser zeigen. Wir  müssen uns auch unangenehme Fragen stellen: Bewerten wir die Arbeit von Frauen, also auch von weiblichen Künstler, anders oder gar tiefer? Oder produzieren Frauen weniger Kunst? Wir sollten diesen Gender-Gap schliessen.

Besitzen Sie selbst Kunstwerke?
Ich habe eine kleine Sammlung. Ich mag zeitgenössische Fotografie von russischen Künstlern. Zudem besitze ich Bilder von französischen Malern. Ich mag die Mischung aus moderner Fotografie und alten Werken. Ich denke auch manchmal: Je älter ich werde, desto mehr mag ich «alte» Kunst (lacht).