Am 1.  Mai ist Ende Feuer. Dann tritt das nationale Rauchverbot in Kraft. Die zahlenmässig erdrückende Mehrheit der Nichtraucher freut sich auf diesen Tag. Die kleine, aber feine Minderheit der Zigarrenraucher aber führt diese Entwicklung hin zu existenziellen Fragen: Wo rauchen wir ab Mai unsere Importprodukte aus Kuba und der Dominikanischen Republik? In gläsernen Suchtkabinen mit überfüllten Aschenbechern? Wohl kaum! Auch werden die wenigsten Zigarrenraucher wie Süchtige draussen vor der Tür stehen und dort im Regen an einer Montecristo ziehen. Ebenso klar ist, dass als Folge dieses Verbots nicht eine einzige Zigarre weniger angezündet wird. Sie wird nur woanders geraucht: Manch einer wird nach dem Viergänger das Restaurant fluchtartig Richtung Zuhause verlassen, anstatt – wie früher – in der Gaststätte genüsslich eine Torpedo anzufeuern und dazu einen Whisky zu trinken. Oder auch zwei.

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Die Zigarre wird auch diesen Rückschlag überstehen. Ihre Geschichte ist ein Auf und Ab. Bei Thomas Mann war sie ein Symbol der Kontemplation: «Hat man eine gute Zigarre, dann ist man eigentlich geborgen, es kann einem buchstäblich nichts passieren», lässt Mann seinen Erzähler im «Zauberberg» schwärmen. In den frühen neunziger Jahren war sie dann ein Symbol für Revoluzzer in Bananenrepubliken, für erzkonservative Ölbarone aus Texas und zwielichtige Geldspieler. Darauf entdeckte die Strahleprominenz aus den USA die Zigarre. Arnold Schwarzenegger rauchte Zigarre, Nicolas Cage und Michael Jordan. Dann die Frauen: Demi Moore, Sharon Stone und Linda Evangelista. In den späteren Neunzigern kam es zum Boom. In der Dominikanischen Republik entstanden zahlreiche neue Hersteller, die aufgrund der hohen Nachfrage gelegentlich in Lieferengpässe gerieten. Mit dem Platzen der New-Economy-Blase verlor die Zigarre an Glanz. Sie landete wieder bei den echten Aficionados. Geborgen wie damals bei Thomas Mann ist man mit einer Zigarre heute nicht mehr – stattdessen erntet man böse Blicke vom Nebentisch. Folglich wird der Zigarrengenuss privatisiert.

Genussinsel. Wie das funktioniert, zeigt Patrick Martin in Olten, wo schon seit einem Jahr ein strenges kantonales Verbot in Kraft ist. In seinem Patoro Store können die gleichnamigen Zigarren auch probiert werden – allerdings nur von Fachhändlern, Agenten und Clubmitgliedern. Um in diesen Club aufgenommen zu werden, braucht man zwei Mitglieder als Referenz. Der Rest der Menschheit wird abgewiesen. Martin sagt diesen Leuten, dass das Gesetz sie schütze und sie deshalb nicht eintreten dürften. So macht er sich natürlich nicht nur Freunde im lokalen Umfeld, aber er muss dies tun; man könnte ihm ansonsten vorwerfen, er betreibe versteckte Gastronomie.

Im Geschäft befindet sich einer der grössten begehbaren Humidore weit und breit – mit einer Fläche von 80 Quadratmetern. Das Ganze sei eine Genusswelt, schwärmt Martin, «eine Welt für Sinne und Sensorik». Neben den eigenen Zigarren sind der Kaffee von Francesco Illy und das argentinische Rindfleisch von Dieter Meier erhältlich, die natürlich beide gelegentlich hier auftauchen. Martin möchte dieses Konzept multiplizieren. Er verhandelt mit einem nach Florida ausgewanderten Schweizer Hotelier. Es brauche Kreativität und lokalen juristischen Rat.

Infolge der restriktiven Auslegung des Verbots in Solothurn ist ein Rauchtourismus in den benachbarten Aargau entstanden. Das auch dort am 1. Mai in Kraft tretende Bundesgesetz ist in einigen Punkten moderater als die kantonalen Bestimmungen anderswo. Wenn der öffentliche Bereich eines Lokals kleiner ist als 80 Quadratmeter, kann eine Erlaubnis für einen Raucherbetrieb eingegeben werden. Grössere Lokale müssen getrennte Bereiche aufweisen, wobei die Raucherzone nicht mehr als 30 Prozent betragen darf. Otto Fischer führt in Lenzburg und Rheinfelden die AVO-Lounges Art Cigar & Co. – und hat in Lenzburg die Erlaubnis für ein Raucherlokal erhalten. Er holt den Brief hervor, als müsste er sich selbst vergewissern, dass das wirklich wahr ist. Er hat lange gezittert. Und nun freut er sich umso mehr.

Das sei eine Genuss- und keine Suchtinsel, sagt Fischer, während er am Holztisch in seiner Lounge sitzt und genüsslich eine Zigarre anfeuert. Es sei vorteilhaft, dass im Aargau die Uhren langsamer tickten. Man habe nicht vorauseilend ein kantonales Verbot eingeführt, sondern pragmatisch auf das nationale gewartet. Seit Jahren steht am Eingang seiner Lounge: «Sie betreten auf eigene Gefahr das vereinigte Königreich des Tabaks.»

«Die Tabakkultur ist Teil der Aargauer Identität», behauptet Fischer. Mit Villiger und Dannemann sind zwei Global Players im Kanton beheimatet. Natürlich werden die Gäste der Restaurants aus der Nachbarschaft ihre Zigarren künftig hier rauchen. Er werde aber nur bedingt von dieser Situation profitieren, so Fischer. Er habe hier nur 20 Plätze und wolle den Raum nicht optimieren. «Ich will meinen Gästen Raum und Zeit schenken.»

Im Gegensatz zum Aargau tritt in Zürich ein scharfes Verbot in Kraft. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass ein Gastronom ein Drittel seiner Fläche – wenn sie keinen Durchgang und eine gute Lüftung eingebaut hat – zum Fumoir macht. Reto Kuhn von QN-World in Effretikon richtete sich schnell auf diese neue Regelung ein. Ein kleiner Speisesaal, eine Bar und eine Lounge sind neu von den restlichen Räumen abgetrennt. Die Mitarbeitenden müssen einverstanden sein, dort zu arbeiten, aber das sei das geringste Problem, weil die meisten sowieso selbst rauchten. Wenn vor allem Zigarettenraucher in der Lounge verweilen werden, wird Kuhn einen Zigarrenclub eröffnen, der nur für Mitglieder zugänglich ist. Zigarrenraucher gelten in der Gastronomie als hedonistische Geniesser und als Umsatzbringer. Wer trinkt schon zu einer Cohiba Siglo VI Hahnenwasser?

Oettinger Davidoff erkannte diese Entwicklung frühzeitig: Vor vier Jahren entstand die Idee einer Zigarrenlounge auf einem Boot. Kurz darauf wurde ein Schiff umgebaut und mit Lüftungen versehen. Es legt jeweils beim Zürcher Bellevue an und ist in den Kantonen Zürich, Schwyz und St.  Gallen unterwegs – was die Sache juristisch kompliziert macht. Man betont, dass die gesetzlichen Spielregeln eingehalten würden. Zurzeit ist aber noch unklar, wie diese genau ausgelegt werden. Im Falle einer sehr strengen Rechtspraxis könnte der vordere Teil des Davidoff-Schiffs zum unbedienten Fumoir werden. Im Aussenbereich von Bug und Heck verfügt das Schiff über genügend Fläche, damit Aficionados ihrer Passion nachgehen können. Trotz oder gerade wegen der Verbote investiert Davidoff in eigene Salons: Im Hotel Mont Cervin Palace ist kürzlich ein Salon Davidoff eröffnet worden. Der ebenfalls neue Salon im «Grand Resort» in Bad Ragaz ist nicht etwa ein umfunktionierter Abstellraum, sondern befindet sich prominent neben der Bar – mit direktem Ausgang zur Terrasse. Aufgrund der strengen Regelungen in St.  Gallen ist er jedoch unbedient.

Members only. Auch der Zürcher Philipp Baur machte sich lange darüber Gedanken, wie es weitergehen soll. Seine kleine Buvette Philipp ist zur Institution von Zigarrenrauchern in Zürich Wiedikon geworden. Aufgrund der neuen Gesetze hat Baur sein Lokal in den French Club verwandelt – «streng nach Verbandsrecht im ZGB», wie er betont. Der Salon ist Ernest Hemingway gewidmet. Es gibt Literatur-, Jazz- und Philosophieabende, französische Weine, Rum und kubanische Zigarren. Auch hier gilt: Wer den jährlichen Mitgliederbeitrag von knapp 200 Franken nicht bezahlt, bleibt draussen. Baur hat keine Angestellten, sondern arbeitet höchstpersönlich in der Gefahrenzone. Wie pragmatisch oder ideologisch die Gesetze angewandt werden, weiss momentan niemand. Für eine wirtschaftlich bedeutende Stadt wie Zürich wäre Pragmatismus von Vorteil, zumal Fumoirs wie der French Club oder jenes im Hotel-Restaurant Greulich im Zürcher Kreis 4 eine kulturelle Bereicherung einer Stadt darstellen. Die «Greulich»-Initianten ahnten schon vor Jahren, dass die Verbote früher oder später kommen würden – und so ist dieses Fumoir bereits seit der Eröffnung des durchgestylten Betriebs vor sieben Jahren in Betrieb. Eine Insel des Genusses soll der kleine Raum sein, und er ergänzt auf perfekte Weise das mit 16 «Gault Millau»-Punkten dekorierte Restaurant: Nach dem Genuss der Speisen aus der spanisch inspirierten Küche drängt sich eine kubanische oder dominikanische Zigarre geradezu auf. Sobald auch die grosse, von der Strasse einsehbare Bar ab dem 1.  Mai rauchfrei ist, wird sich neben den Zigarrenliebhabern aber natürlich auch der eine oder andere Zigarettenraucher hierher zurückziehen.