Öffentlichkeit und Investoren sind begeistert von Frankreichs neuem Präsidenten Emmanuel Macron. Erleben wir gerade Europas Comeback?
Didier Borowski*: Wir befinden uns sowohl aus wirtschaftlicher als auch politischer Sicht in einer selten guten Lage: Nach den Wahlen in Frankreich gibt es in Europa keine politischen Risiken mehr. Wer auch immer die Wahlen in Deutschland im September gewinnt: Die neue Regierung wird pro-europäisch sein. Das gleiche gilt für Emmanuel Macron. Gleichzeitig erholt sich die Wirtschaft stark. Das hilft sehr.

Deutsche und französische Offizielle treffen sich in Kürze. Was können wir erwarten?
Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsame Initiativen von Frankreich und Deutschland zur Stärkung der Euro-Zone sehen werden. Der Währungsraum ist fehlerhaft aufgebaut. Nun gibt es die Priorität, die Finanzarchitektur der Euro-Zone zu stärken, indem man eine echte Banken- und Kapitalmarktunion errichtet. Das sind zwei Hauptziele. Für Europa ist die Wahl von Macron ein U-Turn. Wissen Sie, was interessant ist?

Sagen Sie es mir.
Viele Treffen zwischen den beiden Regierungen werden auf Deutsch abgehalten werden. Denn der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Premier Edouard Philippe sprechen fliessend Deutsch. Das wird Auswirkungen auf die Beziehungen haben.

Warum ist es nicht gelungen, früher enger zu kooperieren?
Deutschland hat von Frankreich immer mehr strukturelle Reformen erwartet. Mit Präsident Hollande war es für Berlin aber nie klar, wie weit Paris gehen würde. Jetzt hat sich die Situation verändert: Frankreichs Präsident hat sich klar zu weitreichenden Arbeitsmarktreformen bekannt. Zum ersten Mal sagt ein Präsident, dass er schnell, innerhalb der kommenden sechs Monate, Veränderungen herbeiführen will.

Wie werden die Massnahmen aussehen?
Ich erwarte einen Mix aus Flexibilität und Sicherheit. Am Ende des Tages werden die Reformen näher am nordischen als am angelsächsischen System sein. Die Regierung will Entlassungen erleichtern und Sozialgespräche dezentralisieren, etwa auf Branchen- oder Unternehmensebene. So wird es einerseits leichter sein, Leute zu entlassen und neu einstellen.

Andererseits?
Emmanuel Macron will die Arbeitslosenversicherung breiter ausrichten und zentralisieren. Zum Beispiel sollen auch Selbständige Zugang erhalten und die Beiträge nicht mehr nur vom Lohn, sondern von allen Einkünften abhängen. Er wird wohl auch Massnahmen zur Überbrückung der Arbeitslosigkeit verabschieden. Macron könnte das Gesetz noch vor den deutschen Wahlen im September durchbringen – das wäre ein weiteres klares Signal, dass er die Beziehungen zu Berlin schnell vertiefen will. Wenn Deutschland sieht, dass Frankreich in diese Richtung geht, werden Kompromisse in vielen Bereichen möglich sein – auch ein gemeinsames Budget oder eine Bankenunion.

Nach der Erfahrung der vergangenen Jahre scheint es unrealistisch, dass die Euro-Zone ihr Gesicht schnell verändert.
Die Veränderungen werden Schritt für Schritt kommen. Ich denke, dass wir bis Ende 2018 grosse Initiativen der beiden Regierungen sehen werden, um EU und Euro-Zone zu stärken. Seit der Zeit von François Mitterrand und Helmut Kohl werden die beiden grössten europäischen Länder nicht mehr so eng zusammengearbeiten.

Aber Frankreichs Haushaltsdefizit liegt noch immer bei über 3 Prozent der Wirtschaftskraft.
Ursprünglich hatte die Regierung 2,8 Prozent veranschlagt. Premier Philippe hat aber bereits angekündigt, dass seine Regierung einige korrigierende Massnahmen zur Senkung der Ausgaben auf den Weg bringen will, um das Defizit dieses Jahr unter 3 Prozent zu bringen. Jetzt wächst die Wirtschaft schneller und es ist leichter, solche Massnahmen umzusetzen.

Strukturreformen sind kurzfristig normalerweise ziemlich schmerzhaft.
Das ist auch wahr für Frankreich: Das Wirtschaftswachstum dürfte wegen der Jobreformen nächstes Jahr etwas geringer ausfallen. Auch gibt es das Risiko, dass wir zunächst mehr Entlassungen sehen könnten – weil einige Firmen wohl überbesetzt sind. Das sollte kein Problem sein, solange das Wachstum über dem Potenzial bleibt. Der Effekt wird mittelfristig positiv sein. Ich glaube auch, dass die Arbeitslosenquote in den nächsten zwei Jahren weiter sinken wird.

Sie klingen sehr optimistisch. Aber es bleiben grosse Herausforderungen für die Euro-Zone.
Natürlich. Die Arbeitslosigkeit in Europa ist sehr hoch – im krassen Gegensatz zur US-Wirtschaft, dort herrscht Vollbeschäftigung. Vor allem gilt das für geringqualifizierte Arbeiter und die Jugendarbeitslosigkeit ist mit durchschnittlich fast 20 Prozent noch immer sehr hoch in der Euro-Zone. Ausserdem brauchen wir mehr produktive Investitionen in Europa.

Italien und seine Banken gelten als Achillesferse. Eine Gefahr für den Euro?
Es stimmt, dass die italienischen Banken mit notleidenden Krediten zu kämpfen haben, was die Erholung belastet. Zusätzlich gibt es voraussichtlich im Februar oder März Neuwahlen in Italien. Es wird sehr schwer, eine Koalition zu formen, die sich zu Strukturreformen bekennt. Auch ist das Potenzialwachstum Italiens sehr niedrig – fast bei Null. Während die öffentlichen Schulden sehr hoch sind. Aber das ist mehr eine mittelfristige Gefahr als ein kurzfristiges Risiko. Die jüngsten Ereignisse zeigen einen starken Willen, die Bankprobleme in den Griff zu bekommen. Wenn es vor den Wahlen in Italien gemeinsame Initiativen von Frankreich und Deutschland gibt, wird man wohl ein pro-europäisches Momentum erleben. Das sehen wir heute schon in anderen Ländern wie Spanien.

Was bedeutet das für den Euro und die Finanzmärkte?
Der Euro hat bereits begonnen aufzuwerten. In den kommenden Monaten werden wir mehr davon sehen. Die Währung ist noch immer unterbewertet, der Überschuss in der Leistungsbilanz ist ziemlich hoch und im vergangenen Jahr haben wir wegen der politischen Risiken hohe Geldabflüsse erlebt, was sich nun umkehrt. Die Aktienmärkte der Euro-Zone sind unterbewertet, besonders gegenüber den amerikanischen Märkten. Sie werden zulegen. Das gilt auch für den Euro gegenüber dem Schweizer Franken. Das wird dann auch der Schweizer Industrie mehr Erleichterung bringen.

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*Didier Borowski ist Chefökonom von Amundi Asset Management. Der grösste Vermögensverwalter Europas mit Hauptsitz in Paris hat über 100 Millionen Kunden in 30 Ländern.