Früher beherbergte der Stall in der Chesa Madalena, einem 800-jährigen Engadiner Bauernhaus im Dorfkern von Zuoz, Kühe. Jetzt gehört er Ruedi Tschudi, und mittendrin ist ein Kreis aus grafitfarbenem Buchser Basalt von sechs Metern Durchmesser ausgelegt: «Alpine Circle». Es handelt sich um eine für den britischen Künstler Richard Long typische Bodeninstallation. Die Luft ist eisig, das Licht, das durch die Spalten der Holzwände in den Raum dringt, verleiht dem Raum eine magische Anziehung.

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So ruhig wie jetzt ist es in der Galerie Tschudi in Zuoz in der Hochsaison praktisch nie. Zwischen Weihnachten und Neujahr schaute der britische Architekt Norman Foster im Langlaufdress vorbei, die Kunstmäzenin Francesca von Habsburg sass mit Elsbeth Bisig und Ruedi Tschudi, den beiden Galeristen, am grossen Lärchenholztisch, Nachbarn kamen genauso wie der Kurator des Guggenheim Museum.

Gemessen an der Distanz zu den Kunstzentren London und New York, hat sich die Galerie Tschudi ein beachtliches internationales Renommée geschaffen. Für gewöhnlich gründen ambitionierte Galerien ihre Dépendancen in London, Peking oder Mexico City. Der Glarner Ruedi Tschudi, der einen Verlag mit Druckerei in dritter Generation geführt hatte, gründete seine Galerie 1985 in Glarus. Die Zuozer Dépendance kam 2002 hinzu. Kunstmarkttechnisch befinden wir uns am Ende der Welt. «Der Markt hat uns gefunden, nicht umgekehrt», bestätigt Elsbeth Bisig, Tschudis Partnerin.

Das Renommée hängt mit dem hochkarätigen Künstlerstamm zusammen. Mit Carl Andre etwa, dem Minimal-Art-Künstler, mit Richard Long, dem britischen Landschaftskünstler, mit Hamish Fulton und Ulrich Rückriem, mit Balthasar Burkhard und Martina Klein und Bethan Huws. Sie alle arbeiten mit Stein, mit Kupfer oder mit Landschaften und Fotografie, auch mit Acryl, Video und gefundenen Materialien. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre Werke intensive Erfahrungen beim Betrachter auslösen. Metaphysische Erfahrungen.

«Uns interessiert Kunst, der etwas Essenzielles anhängt», sagt Elsbeth Bisig und fügt hinzu: «Wir sind eben Bergler.» Was immer damit gemeint ist, ob Geerdetsein, ob Beharrlichkeit – es handelt sich möglicherweise um eine geistige Übereinstimmung zwischen Galeristen-Duo und den Künstlern.

Der Kontakt zu Ulrich Rückriem, dem Schöpfer von Steinskulpturen, Ende der achtziger Jahre sei dafür ausschlaggebend gewesen, dass die Galerie auf die heutige Dimension gewachsen ist. «Er hat uns die Kriterien gelehrt, was Kunst ist», meint Bisig. Danach ergab das eine das andere. Richard Long kam 1990 zum ersten Mal mit dem Rucksack nach Glarus und fand im Garten der Galerie, des ehemaligen Elternhauses der Glarner Verlegerdynastie Tschudi, einen Steinhaufen: Tschudi hatte eigens für den Briten die Steinbrüche im Glarnerland, in Andeer und Poschiavo nach Material abgesucht.

1993 kam der Amerikaner Carl Andre auf Vermittlung des legendären Galeristen Konrad Fischer ins Glarnerland. Andre, der seine Installationen aus Stein, Kupfer und Holz nach mathematischen Prinzipien zu minimalistischen Formen arrangiert, kommt seither Jahr für Jahr mehrere Wochen nach Glarus. 128 Arbeiten sind hier entstanden. Dass es sie ohne die Galerie Tschudi nicht gäbe, erfüllt Ruedi Tschudi mit Stolz.

Das Prinzip erscheint klar: Glarus ist der perfekte Rückzugs- und Produktionsort für Künstler. Zuoz, wenige Kilometer von St. Moritz entfernt, ein stimmungsvoller Schauraum für betuchte Sammler aus aller Welt.

Kunst, Architektur, Natur und Alltag gehen in der Chesa Madalena nahtlos ineinander über. Wenn man in den alten Turm hochgestiegen ist, steht man direkt vor einem quadratischen Feld aus 144 Grafitkuben: Carl Andres Bodeninstallation «144 Graphite Silences». In akkuratem Abstand ausgelegt, kontrastiert das Werk mit dem alten Holzschindeldach. Im obersten Stock stehen Martina Kleins Farblandschaften im XXL-Format, die in ihrer Farbsattheit dem tiefblauen Engadiner Himmel Konkurrenz machen, der sich wiederum, gerahmt vom Fenster, wie ein monochromes Werk präsentiert. In der Galerie Tschudi wird Kunst nicht in einem White Cube als Galerieraum hermetisch abgetrennt vom Alltagsleben. Auch in der Küche hängt Kunst.

Tschudi versichert, die Zuozer Dépendance verdanke sich weniger marktstrategischen Überlegungen als dem Zufall. Der ehemalige Lyzeum-Schüler las irgendwann mal eine Zeitungsannonce, über die er das alte Haus fand. Er engagierte Hans-Jörg Ruch für den Umbau, diesen für vorbildliche Umbauten alter Engadiner Häuser bekannten Architekten aus St. Moritz, und merkte erst da, dass die Kunst für diese Räume wie geschaffen war. Und so füllen nun Kunstwerke den Hauptteil des Hauses, das sommers wie winters für den Galeriebetrieb geöffnet ist. Gewohnt und gekocht wird um die Kunst herum.

Dass die Galerie Tschudi imprägniert ist gegen die Moden des Kunstmarkts, ist vermutlich ein weiteres Geheimnis ihrer Anziehungskraft. Während die Konkurrenz um begehrte Plätze an der Art Basel Miami Beach oder der Frieze Art Fair in London kämpft, konzentriert sich die Galerie Tschudi auf eine einzige Messe: die Art Basel. Hinzu kommen vier Ausstellungen jährlich. Der Kurzatmigkeit des Kunstmarkts wird hier Nachhaltigkeit entgegengesetzt.

Es ist offenkundig, dass das Galeristen-Duo damit einen Nerv trifft. Manchmal dürfte den beiden «Berglern» das umtriebige Tun in den dicken Mauern nicht mehr ganz geheuer sein. Der schönste Moment sei, sagt Ruedi Tschudi, wenn am Abend wieder absolute Stille eingekehrt sei in der Chesa Madalena. Dann gehe er ganz alleine in den Kuhstall und nehme die Stille von Richard Longs Steinkreis in sich auf. «Das», sagt Tschudi, «ist ein starker Augenblick.»

ArtTalk

Dan Flavin nobilitierte massenproduzierte fluoreszierende Lichtröhren zu faszinierenden Skulpturen. Über 60 Lichtskulpturen, entstanden von 1960 an bis in die neunziger Jahre, tauchen jetzt die Hayward Gallery in Licht.

Hayward Gallery, London, bis 2. April, www.hayward.org.uk