Wer bei Manuel Bruehlmann eine Uhr kaufen will, erhält zunächst eine schriftliche Warnung: «Diese Uhr ist nicht zum Tragen bei sportlichen Aktivitäten geeignet», steht in einer Art Beipackzettel. Und: Sie sei «weder schockresistent noch wasserdicht».
Die Uhr, so könnte man ergänzen, ist derzeit eines der überraschendsten Produkte für Freunde besonderer Uhren und Liebhaber feiner Mechanik aus der Vergangenheit. Ein Objekt, das aus dem Rahmen fällt. Ein Stück mit speziellem Stammbaum. Ein Hingucker. Und ein Unikat mit eigener Geschichte.
Konkret: Manuel Bruehlmann, gelernter Maschineningenieur und Uhrenfan, kauft in den USA alte Taschenuhren auf. Nicht irgendwelche Taschenuhren natürlich, sondern ganz bestimmte Stücke. Marke: Hamilton*. Referenznummer: 4992B. Einstiger Verwendungszweck: Navigations- oder Beobachteruhr der US Air Force. Baujahre: 1941–1968. 140 000 Stück wurden gebaut, die meisten während des Zweiten Weltkrieges.
Generell hatte die US-Uhrenindustrie damals einen sehr hohen Fertigungsstandard. In einschlägigen Internetforen schwärmen Kenner etwa vom Hamilton-Chronometer Modell 22 aus den vierziger Jahren. Die Gangabweichung dieses hochpräzisen Werkes liege, wenn sie perfekt revidiert und sorgfältig reguliert ist, im ein- bis höchstens zweistelligen Sekundenbereich pro Monat, was ein sensationeller Wert ist. Man muss allerdings auch sagen, dass diese Uhr sieben Zentimeter Durchmesser hat – eine Taschenuhr ist das nicht mehr.
24-Stunden-Anzeige
Die 4992B ist, wenn man so will, die kleine Schwester. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg und im Korea-Konflikt von Piloten und Navigatoren der US Air Force und auf Flugzeugträgern eingesetzt und war ein technischer Leckerbissen. Das Werk mit 43 Millimetern Durchmesser ist mit Genfer Streifen dekoriert und fein poliert, es hat eine sehr grosse, feine Unruh, eine Breguet-Spirale aus Palladium, eine hübsche Schwanenhals-Regulierung und eine 24-Stunden-Anzeige. An Bord eines B-52-Bombers zum Beispiel musste man ja schliesslich wissen, ob die Uhr 7 oder 19 Uhr anzeigte.
Übrigens wurde die Uhr, aufgehängt an vier Stahlfedern, in einer Blechbox getragen. Das schützte sie vor magnetischen Feldern und vor Erschütterungen, eine Incabloc-Stosssicherung besitzt sie nämlich nicht.
Manuel Bruehlmann lässt die Werke aus dem Original-Taschenuhrgehäuse nehmen, drei Uhrmacher revidieren und regulieren das Kaliber von Grund auf. Oft müssen sie dabei auf das Ersatzteillager des Patrons zurückgreifen. Vorab die Antriebswelle hat meist gelitten und muss häufig ersetzt werden. Krone, Zeiger und Zifferblätter werden gereinigt und mit dem alten Werk in ein neues Armbanduhrgehäuse eingeschalt. Ein Jahr Garantie gewährt Bruehlmann seinen Kunden.
Weil die Uhr das Originalzifferblatt behält, bleibt auch das Logo erhalten: G.C.T. steht für Greenwich Civil Time, GCT Watch heissen Uhren und Bruehlmanns Website.
XL-Grösse
Das Resultat ist eine sehr eigenwillige Armbanduhr der XL-Grösse. Die Krone ist, wie bei Taschenuhren eben üblich, bei zwölf Uhr platziert, die Uhr kann also auch problemlos rechts getragen werden. Weil die Soldaten ihre Uhren akkurat synchronisieren mussten, gibt es einen Sekundenstopp: Wenn man die Krone zieht, bleibt der Sekundenzeiger stehen. Das vielleicht Schönste an der Uhr ist ihre Rückseite: Das Werk unter dem Saphirglas füllt das Gehäuse vollständig aus und bietet ein hübsches Schauspiel.
Auf die Idee kam Bruehlmann zufällig. Im Uhrensammlerclub, dessen Mitglied er ist, sah er die 4992B-Hamilton in einem Umbau, der ihm nicht wirklich geglückt schien. Vor allem weil die Krone rechts platziert war, wie bei einer gewöhnlichen Armbanduhr. Die Platzierung der auffälligen Krone oben bei zwölf Uhr war ihm ein Anliegen, und so suchte er nach einer guten Lösung. Stolz ist er übrigens auf die zweigliedrigen Bandanstösse, die die Uhr erst richtig tragbar machen.
22 Juwelen hatte das Werk eingebaut, auf sechs Gangpositionen wurde es justiert. Als maximale Gangabweichung pro 24 Stunden verspricht Manuel Bruehlmann 30 Sekunden. Es können aber auch nur zwei Sekunden sein.
Bruehlmann verkauft seine Uhr in einer lackierten Holzbox mit Glasfenster. Rechts in der Box liegt die Uhr im neuen Kleid, links das Originalgehäuse. Wer will, kann die Uhr also jederzeit in den zu 100 Prozent originalen Zustand versetzen. Eine Versicherung für Puristen sozusagen.
*Die US-Marke Hamilton wurde 1974 von der SSIH (Société Suisse pour l’Industrie Horlogère) gekauft. Seit 2003 ist die Marke in Biel domiziliert. Sie gehört heute zur Swatch Group und wird von CEO Sylvain Dolla (Jahrgang 1972) geführt. Die Marke ist innovativ, bietet Produkte zu sehr fairen Preisen und ist nach wie vor stark mit der Fliegerei verbunden. Präsentiert wurde jüngst in Zusammenarbeit mit Air Zermatt die Khaki Takeoff Air Zermatt Limited Edition. Sie wird nur 60-mal gebaut und hat auf der Rückseite den Namen eines Viertausenders eingraviert, den man vom Matterhorn aus sieht.