Das Thema erscheint allumfassend: «Wissenschaft, Religion und Ethik im 21. Jahrhundert». Und doch wirkt der Festredner beim Weltkongress der Philosophen auf den ersten Blick deplatziert: Srichand P. Hinduja, Herrscher über ein familiäres Milliardenkonglomerat mit indischen Wurzeln, Träger eines britischen Passes, mit Wohnsitz in der Steuerspar-Principauté de Monaco.
Der Patriarch philosophiert auf eigene Weise – und verblüfft die Sinnenforscher mit Ausflügen in die altindische Industalkultur, eine «mehr als 5000 Jahre alte Zivilisation, der auch meine Familie angehört». Das Credo des 71-jährigen Milliardärs: «Es ist nicht falsch, Wohlstand zu erlangen, solange man nicht von Machtgier angetrieben wird und man wie ein Treuhänder und nicht wie ein Besitzer handelt.» Er entführt die Zuhörer in die «Welt der Veden», die Industalkultur, preist «komplexes Wissen, das für das Leben Gültigkeit besitzt und der Menschheit in vielerlei Hinsicht dienlich ist, von der Heilung des Körpers über das Anheben des Geistes bis zur Konfliktlösung und zum reichen Ertrag aus der Natur».
Reichen Ertrag fährt die Hinduja-Familie augenscheinlich ein in ihrem prosperierenden, weit verzweigten Imperium mit Lkw- und Busfabriken (Ashok Leyland), einem Autozulieferer (Ennore Foundries), Anlagen für Energiegewinnung und Erdölverarbeitung (Gulf Oil), Banken (Banque Amas, Genf), Tätigkeiten in der Informationstechnologie (HTMT) und im Film- und TV-Geschäft, mit Spitälern und grossem Grundbesitz. Die britische «Sunday Times», traditionell exzellent informiert über den indischen Subkontinent, taxiert das Vermögen der Hindujas auf gegen 15 Milliarden Franken – und testiert damit beinahe eine Verdoppelung seit dem Vorjahr. Auf den Britischen Inseln rangiert der Clan in der «Rich List 2007» jedenfalls auf dem vierten Platz, knapp hinter dem Duke of Westminster, distanziert nur vom russischen Oligarchen Roman Abramowitsch und vom indischen Landsmann, dem Stahlmagnaten Lakshmi Mittal.
In britischen Blättern tauchen die Hindujas neuerdings häufiger auf, nachdem sie im Vorjahr an bester Lage in London an der Carlton House Terrace on the Mall für über 100 Millionen Franken eine prachtvolle Residenz mit mehr als 60 Gemächern und 6000 Quadratmetern Wohnfläche gekauft haben, die zuvor der Queen als Zweitwohnsitz gedient hatte. Mit Srichand P. und Gopichand P. Hinduja (67) liessen sich zwei der vier Söhne des Konzerngründers Parmanand Deepchand Hinduja bereits Ende der siebziger Jahre im Vereinigten Königreich nieder, wählten später – zunächst unter lautstarkem politischem Störfeuer – die britische Staatsbürgerschaft. Der drittgeborene Prakash P. Hinduja (61) zügelte hingegen mit Ehefrau Kamal und den Kindern Ajay, Ramkrishan (Remi) und Renuka lautlos an den Genfersee. Sie erwarben in Genf das Bürgerrecht. Lediglich Ashok P. Hinduja hält als jüngster und vierter im Brüder-Bunde der zweiten Generation die Stellung in der indischen Heimat.
Einfach fällt eine Bewertung der nach eigener Darstellung «am breitesten diversifizierten Unternehmensgruppe weltweit» nicht aus. Die Sippe agiert in mehr als 60 Ländern, beschäftigt rund 35 000 Mitarbeitende, profitiert von der weltweiten Börsenhausse, besonders in Indien – und von der derzeitigen allgemeinen Indien-Euphorie: ein Markt mit annähernd einer Milliarde potenziellen Kunden und Hunderttausenden exzellent ausgebildeten Technikern, speziell im IT-Bereich. Besonders in diesem boomenden Business drehten die Hindujas im zurückliegenden Jahrzehnt mächtig auf. Unter dem Dach ihrer Hinduja TMT Limited (HTMT) bündeln sie Callcenter, Mobilfunk, Kabel- und Pay-TV (Indusind Media and Communications Ltd., IMCL). Für die Werthaltigkeit spricht, dass der US-Softwaregigant Intel schon im Mai 2000 knapp 50 Millionen Dollar für einen 3,3-Prozent-Anteil an IMCL hinblätterte. Hochgerechnet ergab das eine Kapitalisierung von rund 1,5 Milliarden Dollar allein für diesen Holdingableger mit «Indiens grösstem Kabelfernsehen». Davon profitiert übrigens auch die waadtländische Firma Kudelski. Deren Tochter Nagravision liefert Verschlüsselungskarten für Fernsehsignale; Kudelski kaufte im Gegenzug etwa drei Prozent der IMCL. Gegen 40 Millionen indische Haushalte zahlen bereits für Fernsehprogramme, nutzen Kabel- und Satellitentechnik für Internetanwendungen. «Indiens grösster Multisystem-Operator», bestätigt Kudelski. Solche Erfolgsdaten fliessen natürlich in die Bewertung der Hinduja-Gruppe ein.
Bei Umsatz- und Ertragszahlen für die Gruppe zeigt sich die Familie dagegen verschwiegen; magere Angaben sind lediglich für die wichtigsten Töchter zu erhalten (siehe «Breit diversifiziertes Imperium» auf Seite 30). Fast schamvoll sucht der ausgewiesene Finanzexperte Ajay Hinduja, mit Diplom der Universität Genf, quasi entschuldigende Erklärungen für milliardenschwere Analystenschätzungen: «Wir mögen keinen grossen Lärm.» Nach internationalen Wirtschaftsprüferstandards konnte seine Familie jedoch zum Beispiel den imposanten Immobilienbesitz «nicht länger auf dem Null-Level» lassen. Sämtliche Real-Estate-Investitionen mussten die Hinduja folglich in ihren Bilanzen auf realen Marktwert anheben.
Doch nutzt die Familie ihren wachsenden Reichtum nicht für ein ausschweifendes Leben. Sicher, im Hangar des Flughafens von Mumbai parkt ein Falcon-Jet, den die Brüder für Geschäftstermine nutzen. Wenn es nicht gar so eilig ist, fliegen die Hindujas allerdings mit Linienmaschinen; auch in der Holzklasse. Als Luxus darf die respektable Yacht gelten, mit der Clanchef Srichand Hinduja schon mal bei den Filmfestspielen von Cannes im Mittelmeer aufkreuzt. Allerdings nicht nur zum Vergnügen, sondern auch um Streifen aus den gigantischen indischen Filmfabriken (Bollywood) zu promoten.
Das Glaubensbekenntnis des Gründers gilt den nachfolgenden Generationen: «Arbeite, um geben zu können.» Die Hinduja Foundation spendiert reichlich, fördert mit Millionen internationale Medizinforschung, richtet Spitäler ein, besiegelte vor wenigen Tagen mit den Wasseraufbereitungsspezialisten der Firma Ewag in Rheineck SG Verträge zur Lieferung von Anlagen nach Indien. «Sauberes Wasser für die Armen», verspricht Ajay Hinduja.
Damit man geben kann – allerdings nicht unbedingt den gierigen Steuervögten in aller Welt –, setzt es Gewinne der Familienfirmen voraus. Die Hindujas scheinen auch die hohe Kunst der Steueroptimierung zu beherrschen. Im Dunstkreis der 1978 als Finanzgesellschaft in Genf gegründeten Amas, 1994 mit Lizenz der Eidgenössischen Bankenkommission zur Bank aufgerüstet, tauchen Tochtergesellschaften mit Sitz auf den Virgin Islands (Amas Investment & Project Services) oder auf Mauritius (Amas Trust) auf.
In der Schweizer Wahlheimat richtete Amas neben dem Genfer Hauptsitz vier Filialen ein: in Zürich, Basel, Luzern und St. Margrethen SG. Unter dem Dach der Amas-Dependance an der Pilatusstrasse in Luzern etablierte die Sippe im Vorjahr die Hinduja Suisse Holding. Familienoberhaupt Srichand Hinduja legte dort unter anderem sein vermeintlich persönlich gehaltenes Aktienpaket im Nennwert von 24,995 Millionen Franken von der Banque Amas ein. «Wir kennen keinen persönlichen Besitz», erläutert Junior Ajay Hinduja, der gemeinsam mit Onkel Srichand in den Schweizer Verwaltungsräten amtiert. Das Imperium gehört den vier Brüdern und ihren Familien gesamthaft, eben dem House of Hinduja.
Die Aufgaben werden geschwisterlich geteilt. Die Söhne von Gopichand Hinduja überwachen indische Assets, Sanjay Hinduja bei Gulf Oil, Dheeraj Hinduja bei Ashok Leyland. Behutsam werden diese Ableger auf den Weltmarkt ausgerichtet. «Gulf Oil gehört zu unserer Gruppe», präzisiert Ajay Hinduja, «ausser in den USA, in Portugal und Spanien.» Zur Ashok-Leyland-Gruppe zählt seit dem Vorjahr die tschechische Avia-Lkw-Schmiede. Vinoo Hinduja schliesslich, die Tochter des Patriarchen Srichand, steuert die Stiftungen der Familie und den Krankenhaussektor, der bald um ein halbes Dutzend Kliniken erweitert werden wird. Mehrheitlich tragen die Hindujas übrigens eidgenössische Pässe im Sack. Ajay Hinduja zählt präzise nach. Von den (bislang) 26 Nachkommen des Gründers «sind 14 Schweizer».
Wirkt schon die Konzernstruktur mit stets gemeinschaftlicher Teilhabe nach kapitalistischen Massstäben ungewöhnlich, fällt der liebevolle Lebensstil erst recht aus dem (westlichen) Rahmen. Wenn besondere Familienfeste gefeiert werden wie der 70. Geburtstag des Clanchefs oder die Hochzeit seiner Nichte, der Genfer Anwältin Renuka Hinduja: Dann fliegen sämtliche neun Kinder der dritten Generation und noch mehr Urenkel in Mumbai ein, dem früheren Bombay, um wahlweise im Aschram «Parmarth Niketan» des Gurus Pujya Swamiji am heiligen Fluss Ganges oder im ausladenden Garten des eigenen Palastes mit Namen Param Jamuna vor den Toren Mumbais in Juhu den Anlass zu zelebrieren. Die Grossfamilie trägt dann traditionelle bunte Gewänder. Nikotin und Alkohol sind tabu. Alle leben strikt vegetarisch. Die Prinzipien gelten streng auch fürs Geschäft. «Keine Fleisch- oder Fischverarbeitung, keine Tabak- oder Alkoholproduktion.» Ashok Hinduja schliesst diese Geschäftsfelder aus seiner ansonsten breit gefächerten Expansionsstrategie kategorisch aus. Die Hindujas planen zum Beispiel in Indien den Bau von Kraftwerken, tüfteln an der Verbesserung der Infrastruktur, können sich sogar Investments im Strassenbau vorstellen.
Trotz den starken Wurzeln in der indischen Heimat am Indus, dem längsten Fluss des Subkontinents, beweisen die Kinder des Wahlgenfers Prakash Hinduja beispielhaft, dass ein erfolgreiches Leben in zwei Parallelwelten womöglich grössere Erfüllung bietet. Multinational agiert die Familienfirma dabei seit beinahe einem Jahrhundert, geschäftlich ebenso wie privat. Schon Stammvater Parmanand D. Hinduja kurbelte 1914, als der britische König George V. gleichzeitig auch Kaiser von Indien war, in Bombay die ersten Handelsgeschäfte an und etablierte 1919 im benachbarten Persien eine Firmentochter. «Wir übersiedelten nach Iran und arbeiteten dort in der islamischen Welt», erinnert der heutige Patron Srichand Hinduja an Jahrzehnte erfolgreichen Geschäftens im Nahen Osten, «bevor wir unser Hauptquartier in die westliche Hemisphäre verlegten.» Nachdem der schiitische Religionsführer Ayatollah Khomeini den Schah von Persien aus dem Land getrieben hatte, sahen die Hindujas wohl in Iran mittelfristig wenig Entwicklungspotenzial. Der eigene hinduistische Glaubensleitsatz «Vasudhaiva Kutumbakam», übersetzt etwa «Die ganze Welt ist eine grosse Familie», nützte den Hindujas nichts.
In Irans Metropole Teheran machte der heutige Schweizer Ajay P. Hinduja (39) seine ersten Schritte. Im Jahrbuch der Internationalen Schule Teheran findet sich aus den siebziger Jahren sein niedliches Kinderfoto als Schüler von Mrs. Schmitt. Der Wechsel an den Lac Léman gelang augenscheinlich. An der Genfer Universität studierte er Wirtschaftswissenschaften. Ehe Ajay Hinduja allerdings in den Verwaltungsrat der Amas Bank eintrat, musste er sich bei UBS, Morgan Stanley und M&M Ferrous bewähren. Sein Bruder Remi Hinduja absolvierte sein Studium an der Wharton School der Universität im amerikanischen Pennsylvania und zieht derzeit hoch erfolgreich die Strippen im fernöstlichen IT-Geschäft, das längst über Indien hinausreicht. Gemeinsam mit der philippinischen Staatspräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo eröffnete Remi Hinduja im vergangenen Sommer ein Technologiezentrum, das HTMT für umgerechnet rund 25 Millionen Dollar errichtet hatte. Inzwischen arbeiten dort rund 2500 Filipinos. Dass Präsidentin Arroyo bei ihrem Besuch des Weltwirtschaftsforums in Davos Ende Januar ausdrücklich den Genfer Prakash Hinduja treffen wollte, überrascht nicht.
Auffälliger als Vater und Söhne agiert allerdings Tochter Renuka Hinduja (35). Die Juristin gehört dem Vorstand der Handelskammer Schweiz-Indien an, präsidiert den Verwaltungsrat des Swiss-India Business Forum und ist Mitglied sowohl im Genfer als auch im Schweizerischen Anwaltsverband. Nach Abschluss ihres Jus-Studiums schnupperte die Rechtsanwältin zwar auch einmal bei der Hinduja Group, heuerte dann aber nach Praktika und einem zusätzlichen Master-of-Law-Abschluss in Handelsrecht an der Uni in New York bei der Genfer Firma Altenburger an. Als Renuka Hinduja im vergangenen Herbst den Genfer Anwaltskollegen und Neubanker Olivier Cavadini (Lombard Odier) heiratete, war das Schweizer Medien kaum eine Zeile wert. In Indien aber wetteiferten sämtliche Gazetten um Details der «Hochzeit des Jahres». Gefeiert wurde auf dem Landsitz der Hindujas vor den Toren Mumbais; Indiens Hautevolee war unter den mehr als 3000 Gästen fast vollzählig versammelt.
An den Gesprächsthemen der Tafelrunde würden westliche Philosophen Freude haben, wenn das Familienoberhaupt etwa über Dharma (Gesetz des Lebens) und Karma (Gesetz der Entwicklung) reflektiert und dabei kritisiert, dass beide Begriffe im Westen zumeist falsch interpretiert würden. Besorgt fragt Srichand Hinduja bisweilen, «wie jemand über Massnahmen nachdenken oder Vorschläge zum Umgang mit der äusseren Umwelt machen kann, wenn seine eigene Innenwelt verworren oder aus dem Gleichgewicht geraten ist?»
Das klingt fürwahr nach einer Herausforderung für jeden Philosophenkongress.