Alle Monitore auf der Brücke der «Kapitan Dranítsyn» blinken hektisch: «Kollision! Kollision!» Doch weder Steuermann noch Passagiere, die dicht gedrängt vor den Frontfenstern auf der Brücke stehen, kümmert es. Gebannt schauen sie dem atombetriebenen Eisbrecher «Yamal» entgegen, der in langsamer Fahrt auf sie zukommt. Die «Yamal» war am Nordpol, die «Kapitan Dranítsyn» fuhr auf den Spuren früher Entdecker durch die vergletscherten Inseln des Franz-Joseph-Landes, die noch nördlicher liegen als Spitzbergen. Selten kreuzen sich die Wege dieser Eisbrecherkolosse. Es ist ein besonderer Höhepunkt kurz vor dem Ende der an Erlebnissen so reichen Kreuzfahrt.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

«Nie ohne Gummistiefel»
Vor zehn Tagen erst sind wir nach einem Charterflug im russischen Eismeerhafen Murmansk an Bord der «Kapitan Dranítsyn» gegangen, die anders aussieht als ein normales Kreuzfahrtschiff. Wir haben Zeit, uns zurechtzufinden im kastenförmigen Aufbau mittschiffs, in dem auf sechs Decks Kabinen, Restaurant, Bar, Pool, Sauna, Fitnessraum, Boutique und Vortragssaal untergebracht sind. Rund um die Uhr dürfen die Passagiere auf der Brücke dem Kapitän über die Schulter gucken und zunächst nach Walen Ausschau halten.

Auf dem Heck fährt, gut festgezurrt, ein Helikopter mit. Auf dem Bugdeck liegen sechs grosse, speziell verstärkte Gummiboote bereit für Anlandungen. Und «das niemals ohne Gummistiefel», wird uns eingeschärft. Spannende Diavorträge und Filme der sechs Lektoren über die Erforschung der Arktis, Geologie sowie Pflanzen- und Tierwelt verkürzten die zweitägige Fahrt durch die Barentssee.

An Kap Flora auf der Northbrook-Insel soll die erste Anlandung sein. Hier stiessen Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen 1896 nach ihrer gescheiterten Nordpol-Expedition durch Zufall auf den britischen Polarforscher Frederick George Jackson und waren gerettet. Heftiger Wellengang verhindert jetzt die Ausbootung, stürmische Winde den Flug per Helikopter. Also wird weiter nördlich der Rubini-Felsen angesteuert, wo wir morgens um 6 Uhr von Bord aus Tausende brütender Seevögel fotografieren können, die kreischend gegen die Störung protestieren.

Nachmittags stiefeln wir auf der Hooker-Insel zwischen den Hütten einer verlassenen russischen Forschungsstation umher und staunen über die vielen Blumen und tiefroten Moose, die sich durch den nur oberflächlich aufgetauten, ewig gefrorenen Boden zwängen. Mit Gummibooten kamen wir hin, mit dem Helikopter fliegen wir zurück, weil dichtes Packeis inzwischen die Küste verbarrikadiert hat. Auf der Champ-Insel, unserem nächsten Ziel, imponieren riesige Steinkugeln mit bis 2 Metern Durchmesser, die wie gigantische, fehlgeschlagene Golfbälle in der Gegend liegen. Sie entstanden als geologisches Phänomen durch Erosion über Millionen von Jahren. Auch den deutlichen Abdruck eines Eisbären erkennen wir im Schnee.

Wo ist er? Eisbärenwächter mit geschulterter Kalaschnikow sichern uns bei jedem Landausflug vor unliebsamem Besuch, denn hier ist die Heimat der Eisbären. Bereits am Tag zuvor, als die «Kapitan Dranítsyn» mit 8 Knoten sich krachend durch meterdickes Eis schob, kam eine Eisbärin mit ihrem Jungen bis an die Bordwand, um die vielen Köpfe zu beschnüffeln, die darüber hinwegragten.

In der Bar an Bord wird das Ereignis ausgiebig diskutiert. Auch die dramatische Erforschung des Archipels von 1872 bis 1874 durch die österreichisch-ungarische Payer/Weyprecht-Expedition, deren Schiff «Tegetthoff» vom Packeis umklammert war und nie wieder freikam. Nach 13 Monaten Zickzackkurs ab Norwegen sahen sie erstmals Land und benannten es nach ihrem Kaiser Franz Joseph. Auf Skiern erkundeten sie vom Kap Tegetthoff aus einige der 191 Inseln. Im April und Mai 2005 vollzogen der Österreicher Christoph Höbenreich, der als Lektor an Bord ist, und der russische Expeditionsleiter Viktor Bojarski diese Expedition auf Skiern nach. Spannend sind ihre Lichtbildvorträge.
Da im Sommer die Sonne nicht untergeht, zischen wir noch abends mit Gummibooten zwischen Eisbergen hindurch, vorbei an Walrosskolonien und Gletschern. An Bord verwöhnt uns die russische Crew nach Strich und Faden, das Essen ist gefährlich gut. Es gibt keine feste Tischordnung für uns 86 Gäste aus aller Welt – darunter ist die Schweiz mit sechs Passagieren überproportional vertreten. Eines Abends werden wir mitten im Eis vor märchenhafter Kulisse vergletscherter Berge mit einer Grillparty auf dem Bootsdeck überrascht. Bis weit nach Mitternacht wird getanzt und gesungen bei strahlendem Sonnenschein. Am nächsten Tag dürfen wir über die Gangway hinunter aufs Eis und den Koloss aus Eisbärenperspektive betrachten. Danach fliegen wir mit dem Helikopter eine Runde um das Schiff und landen weit draussen auf der Eisdecke.

Geschichte live erleben

Ein Tag ist spannender als der andere. Am Kap Norwegen sehen wir das Erdloch, in dem Nansen und Johansen 1895/96 überwinterten. Auf der Wilczek-Insel sind Reste der Steinhütte einer Expedition von 1897/98 erhalten. Geschichte live erleben wir überall. Wir fiebern Kap Tegetthoff entgegen, unserem letzten Ziel. Kaum sind wir alle an Land, ruft uns das Horn der «Kapitan Dranítsyn» zurück: Der einfallende Nebel hat das Schiff verschluckt. Die «Gondolieri», wie italienische Gäste die Fahrer der Gummiboote nennen, können nur noch mit dem Kompass zum Schiff finden. Das unverhoffte Ereignis bei der letzten Fahrt mit den Gummibooten zu einer gigantischen Gletscherzunge kurz vor Mitternacht ist die seltene Begegnung mit weissen Belugawalen.

Infos:

Preise pro Person Diese Reise mit der «Kapitan Dranítsyn» findet 2011 statt vom 17. bis 27. Juli. Die Preise pro Person ab/bis Murmansk (nur Schiff) liegen um die 10 000 Franken in der Dreierkabine oder um die 13 000 Franken in der Doppelkabine. Plus Flug ab/bis Zürich, beispielsweise nach Kirkenes in Norwegen, kostet das Programm pro Person mindestens 1000 Franken mehr.

Schweizer Anbieter Hierzulande führen folgende Spezialisten die elftägigen Expeditionskreuzfahrten mit der «Kapitan Dranítsyn» ins Franz-Joseph-Land im Programm: E-Hoi (Portal), Kontiki-Saga (Kuoni) und Oceanstar (Hotelplan).

!Das russische Franz-Josef-Land ist nur mit dem Eisbrecher zu erreichen!