Das Genie ist heute leicht grantig. «Alle rühmen sich meiner Kreationen, aber mich ignorieren sie am liebsten.» Gérald Genta, ein geborener Diplomat, hat sich jedoch gleich wieder im Griff. Seine Frau ist nicht zufällig Monacos Botschafterin in London und damit Diplomatin von Beruf. Doch es ist noch keineswegs zu spät, den Schöpfer der Royal Oak einzubeziehen, wenn die bekannteste Uhr aus dem Hause Audemars Piguet ihren 40. Geburtstag feiert. Das wird 2012 sein.
Einer, der sich gut an seine erste Begegnung mit Genta und die frühe Phase der Royal Oak erinnert, ist Jean-Claude Biver. Der Hublot-Chef, Blancpain-Gründer und zeitweilige Generaldirektor von Omega hatte bei Audemars Piguet angefangen und lernte dort 1974 den Herrn der Form kennen: «Er war ein grosser Mann, ein Star – auch wenn es das damals noch gar nicht gab –, und ich ein Lehrling. Von ihm konnte man nur lernen.»
Die Begegnung blieb nicht ohne Folgen. Als Biver 1978 (erstmals) zu Omega wechselte und das Produktmanagement der Seamaster übernahm, heuerte er umgehend Genta für das Design an. So kam es zu der Seamaster im Titangehäuse, wegen ihrer massiven Rundungen und der Goldstreifen auch gerne die «Schildkröte» genannt. «Seither sind wir Freunde», sagt Biver. Der Hublot-Chef weiss, wie kaum noch jemand, einzuschätzen, wie gewagt die Royal Oak seinerzeit war: «Georges Golay, der damalige Audemars-Piguet-Chef, war ein Mann, der Visionen hatte. Dass eine Spitzenmarke wie Audemars Piguet eine Stahluhr anbieten würde, war unerhört. Die machten nur Golduhren. Und dann die Schrauben auf der Lünette. So etwas hatte man noch nie gesehen. Die Technik wurde sonst nie gezeigt, sie wurde konsequent versteckt.»
Niemand hat so wie Genta gezeigt, wie viele Möglichkeiten für eine Uhr in der Betonung der Lünette liegen. Als nach der Lancierung der Royal Oak der damalige IWC-Werber und -Produktentwickler Alexandre Ott 1975 auf ihn zukam, um ihn für das Leadermodell, die Ingenieur, zu gewinnen, entwarf Genta die neue Ingenieur SL mit runder, aufgeschraubter Lünette, bei der die fünf Schrauben wieder sichtbar appliziert waren. IWC hat übrigens Alexandre Ott den schwarz-weissen Auftritt mit den provozierenden Sprüchen zu verdanken: «Dieser Mann ist gefährlich. Er zieht seine Uhr von Hand auf», lautete eine seiner Headlines.
Spiel mit Lünetten
Ein anderer grosser Klassiker, den Gérald Genta gestaltete, war die Nautilus. Die Sportuhr mit dem profilierten Flankenschutz und den abgerundeten Ecken hat in den 35 Jahren ihrer Karriere im Hause Patek Philippe nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Die Overseas von Vacheron Constantin mit den Fugen in der Lünette stammt dagegen nicht von ihm: «Ich muss es immer wieder dementieren. Sie sieht nur so aus, als sei sie von mir.»
Dafür hatte Genta die Idee, dass sich auf der Lünette wunderbar der Markenname applizieren liesse. So kam es zur Bulgari Bulgari. Dass seine eigene Marke, die er 1969 gegründet hatte, später (1998) von Bulgari übernommen wurde, war ein Zufall. Heute sieht er mit Amusement, dass sich kurz nach der Integration von Gérald Genta und Daniel Roth in die Bulgari-Kollektion die französische LVMH-Gruppe den römischen Juwelier und Uhrmacher einverleibt.
Anfänge als Schmuggler
Genta war ein Quereinsteiger, ähnlich wie Charles-Edouard Jeanneret, der gelernte Graveur und gebürtige Chaux-de-Fonnier, dem unter dem Namen Le Corbusier eine Weltkarriere als Architekt gelang. Der gelernte Goldschmied und Juwelier Genta fand nach dem Lehrabschluss im Jahre 1950 keine Stelle in seinem Lehrbetrieb. Das sollte sich als Glück erweisen, auch wenn es nicht ganz einfach war: «Zeitweise habe ich alles gemacht. Ich war Couturier, Schmuggler und habe Entwürfe gezeichnet. Damals gab es noch keine Designer. Alles, was den Uhrenfabrikanten einfiel, war, Omega zu kopieren.»
Mit seinem Skizzenbuch klapperte das Nachwuchstalent die Zifferblatthersteller und Gehäusefabrikanten ab. Die erwarben, was ihnen gefiel, «für 15 Franken» und verkauften seine Ideen an Endkunden weiter. So kam Rolex zur King Midas mit den rhombenförmigen Gehäuseflanken (wie die erste IWC Da Vinci, die ebenfalls von Genta stammt). Elvis Presley und Sean Connery trugen eine King Midas. Doch Rolex wusste gar nicht, dass Gérald Genta hinter dem Entwurf steckte. «Ich hatte auch in Frankreich einen Gehäuse- und Bänderfabrikanten ausfindig gemacht und die Beschaffung eingefädelt.»
Der Mann, der längst lebendige Uhrenlegende ist, legt grossen Wert darauf, keineswegs nur für die Highend-Marken gearbeitet zu haben. Besonders eng waren seine Verbindungen zu Hamilton, Timex und zu Lip in Besançon: «Fred Lip war ein grosses Original. Er machte nach dem Krieg damit Reklame, dass er sieben Ferrari hatte.» Von einer Timex mit Gentas Design verkaufte die amerikanische Gesellschaft gar 30 Millionen Stück. Gentas ausgefallenste Idee war sicher die Mickey-Mouse-Uhr: «Die Leute dachten zunächst, ich wolle sie veralbern, als ich sie zeigte. So ergab sich die Zusammenarbeit mit Walt Disney.»
Ohne seine Juwelierlehre hätte der Genfer Weltbürger mit Wohnsitz in Monaco möglicherweise nicht zu der gewaltigen Spannweite gefunden, die seine Arbeit auszeichnet. Ihm gehen auch bei Schmuckuhren die Ideen nicht aus. Seit bald 20 Jahren inspiriert Gérald Genta den Pariser Juwelier Van Cleef & Arpels in allen uhrmacherischen Belangen. Solange er sein eigenes Unternehmen führte, achtete er ebenso auf Schmuckuhren wie auf uhrmacherische Komplikationen bis hin zur Grande Sonnerie. «Von meiner Minutenrepetition habe ich allein 1000 Stück abgesetzt, und die Schmuckuhren waren im Mittleren Osten sehr gefragt. Ich war mindestens einmal im Monat dort unten.»
Fliessende Kreativität
Für den Künstler, der nebenher auch zur Malerei gefunden hat, ist Kreation eine Sache «der Beobachtung und der Auseinandersetzung. Ich setze mich hin, und es fliesst aus mir heraus. Man muss Komma für Komma setzen. Das geht nicht mit dem Computer.» Wobei er keineswegs den Wert des Computers unterschätzt: «Ohne diese Möglichkeiten hätte ich die Grande Sonnerie nicht konstruieren können.»
Seine Meinung bleibt gefragt, was gelegentlich verdriessliche Fragen nach sich zieht. Etwa die nach der richtigen Grösse für eine Uhr. Die lapidare Antwort: «Das hängt vom Handgelenk ab.» Aber Uhren mit über 50 Millimeter Durchmesser findet er per se «unmöglich».
Die perfekte Uhr schlechthin ist für ihn die Rolex Oyster: «Kein Gadget, sondern ein Werkzeug und einfach perfekt gemacht mit der Rundung im Gehäuse: Ich bedauere sehr, dass ich sie nicht erfunden habe.»