Es ist kein Zufall, dass Gin derzeit so beliebt ist», sagt Yves Schaffter, Chef de Bar in der Zürcher Dante Bar. «Gin ist spannend, vielseitig und beflügelt die Fantasie der Barkeeper genauso wie die der Konsumenten.» Er muss es wissen, schliesslich verbringt er seinen beruflichen Alltag mit dem Getränk, das ursprünglich als Genever in Holland erfunden, von den britischen Söldnern des Spanisch-Niederländischen Krieges im 17. Jahrhundert auf die Insel gebracht und von dort aus als «Medizin gegen Fieberkrämpfe» in die Kolonien hinausgetragen wurde.
Seit zwei Jahren setzt die kleine Zürcher Cocktail-Bar mit den Jugendstil-Kronleuchtern, den typisch englischen Ledersofas und der schönen Messingtheke auf Gin. Zwar kann man hier auch andere Cocktails bestellen, solche mit Whisky, Rum oder Wodka. «Aber keine andere Spirituose ist derzeit so gefragt wie Gin», sagt Yves Schaffter, während er auf eine imposante Sammlung zeigt: Fast 70 verschiedene Exemplare sind fein säuberlich aneinandergereiht hinter dem Tresen.
Gin kann man auch pur trinken. Der Wacholderschnaps, der gemäss europäischer Verordnung mindestens 37,5 Prozent Alkohol enthalten muss, meistens aber zwischen 40 und 50, in ein paar Fällen gar 60 und mehr Prozent aufweist, eignet sich mit seinen komplexen Aromen aber besonders gut als Basis für Cocktails. Die meisten Menschen geniessen die Spirituose immer noch am liebsten als Gin Tonic. Die Kombination Gordon’s/Schweppes galt jahrelang als Synonym für den Klassiker. Angesichts der heutigen Vielfalt an Gins und der erweiterten Tonic-Palette wird der traditionelle Drink spielerisch variiert. Mit der Wahl des richtigen Sprudels wird die herausragende Eigenschaft des gewählten Gins betont. In der Dante Bar serviert man den Gin Tonic standardgemäss mit dem angesagten Hendrick’s Gin. Dieser wird mit Gurke destilliert und weist eine auffallend frische Note auf, die mit dem lemongraslastigen Fentim Tonic und Gurkenzesten betont wird.
Klingende Botanicals. Die schönste Art, Gin zu trinken, ist und bleibt aber der Cocktail. Jeder Gin besteht aus einer Vielfalt an aromatisierenden pflanzlichen Zutaten, die in der Gin-Sprache Botanicals genannt werden und dem Getränk einen vielschichtigen, intensiven Geschmack verleihen.
Diese Eigenschaft nutzt Raj Nagra. Der 37-Jährige mit indischen Wurzeln und unzähligen Siegen in Cocktailmixer-Wettbewerben in der Tasche ist Markenbotschafter von Bombay Sapphire. Wenn der «Mixologist» nicht um die Welt reist und jungen Barkeepern sein Wissen und den «richtigen Umgang mit dem Gin» beibringt, tüftelt er an neuen Drinks herum. An einem kühlen Februarnachmittag steht er in der blauen Bar des Hotels Hospes Amérigo in Alicante und erklärt dem staunenden Publikum: «Im Bombay Sapphire stecken zehn verschiedene Ingredienzen – Wacholder, Zitronenschale, Schwertlilie, Süssholz ... Ich kann jede dieser Zutaten durch die Wahl der anderen Komponenten eines Cocktails einzeln zum Klingen bringen.» Sagts und zeigts. Wort- und gestenreich mischt er Flaschen, Pulver und frische Früchte zu farbenfrohen Drinks zusammen und lässt probieren. Tatsächlich: Im Quenn Bombay, der mit einem Gewürztee aromatisiert wurde, riecht der Gin dezent nach Süssholz, während im Alfonso Murcia, der mit rotem Martini, Zucker und einem Schluck Prosecco angereichert wurde, der Geschmack der Zitronenschalen dominiert.
«Diese Botanicals sind einer der Gründe, warum man heute wieder Gin trinkt», ist Schaffter überzeugt. Neben den klassischen Herstellern wie Bombay Sapphire, Tanqueray, Gordon’s oder Beefeater mischen zunehmend kleine Brennereien den Markt mit eigenwilligen Nischenprodukten auf und sorgen für unterschiedlichste Nuancen im Glas.
Der Fantasie scheinen dabei fast keine Grenzen gesetzt zu sein. Nach gemütlichen Sommerabenden schmeckt der Geranium Gin aus Dänemark, an die Anfänge des Gins (als man alle Zutaten vor dem Brennen tagelang in der Badewanne einweichen liess) erinnert der Bathtub Gin, während der Botanist Gin als Reverenz an die Landschaft der schottischen Insel Islay verstanden werden darf. Von den 31 Ingredienzen, die ihm seinen typischen, aromatischen Geschmack verleihen, stammen 22 von der Insel selber. Das Getränk wird weitgehend von Hand hergestellt und in der traditionellen Bruichladdich-Brennerei destilliert, die sonst eher für ihre rauchigen Single Malts bekannt ist.
Die Tatsache, dass immer mehr Menschen den Gin wiederentdecken, motiviert die Industrie. «Je mehr Gin getrunken wird, desto grösser wird auch die Konkurrenz unter den Herstellern. Das ist gut so, denn dadurch wird nicht nur ihre Fantasie beflügelt, sondern ist auch die Qualität in den letzten 20 Jahren deutlich gestiegen.»
Auf Du und Du mit den Produzenten. Qualität ist auch bei den global agierenden Herstellern ein wichtiges Thema. «Um ein harmonisches Endresultat zu erhalten, muss jede einzelne Ingredienz stimmen», ist Ivano Tonutti überzeugt. Der italienische Chemiker ist seit mehr als zehn Jahren als Master of Botanicals bei Bombay Sapphire dafür verantwortlich, dass das Endresultat stimmt. Dafür reist er viel. Im vietnamesischen Wald überwacht er die Gewinnung des Süssholzes. In den toskanischen Hügeln streift er durch die weiten Wacholder-Felder, um den Zeitpunkt der Ernte zu bestimmen. Und im Hinterland des spanischen Murcia wacht Tonutti darüber, dass nicht zu viel Fleisch an den Zitronenschalen haften bleibt.
«Wir arbeiten nur mit kleinen Produzenten, die wir regelmässig besuchen und zu denen wir einen persönlichen Kontakt pflegen. Das ist das beste Rezept, um Qualität und Konstanz zu garantieren. Wenn dir ein Produzent regelmässig in die Augen schauen muss, wird er sich kaum getrauen, dir einen Mist zu liefern», sagt Tonutti, während er den Bauernfrauen über die Schultern äugt, die mit viel Geschnatter und Lachen zwischen den blühenden Zitronenbäumen mit geübter Hand die Früchte schälen. Die Zitronen aus der Region Murcia wachsen auf leicht salzigen Böden und gelten deshalb als besonders aromatisch. Für den Gin wird nur deren Schale verwendet, die an langen Wäscheleinen unter dem blauen spanischen Himmel zum Trocknen aufgehängt wird.
Brennen und Trinken. Der Boom bringt aber nicht nur neue Inhalte – sondern fordert auch die Techniker heraus. Die traditionelle Herstellung von Gin ist keine Hexerei. Die Basis bildet landwirtschaftlicher Alkohol, der meistens aus Getreide stammt. Um diesen zu aromatisieren, hat der Brenner zwei Möglichkeiten: die Mazeration oder die Perkolation. Bei der ersten Technik, die etwa beim Beefeater Gin angewendet wird, werden die Botanicals ein paar Stunden bis ein paar Tage im Alkohol eingeweicht und anschliessend destilliert. Bei der Perkolation – die unter anderen Bombay Sapphire bevorzugt – wird der beim Destillieren erzeugte Dampf direkt durch die in einem Sieb liegenden Ingredienzen geleitet. Bei beiden Verfahren wird der klare Schnaps zuerst mit Wasser gemischt, um den Alkoholgehalt zu kontrollieren, danach direkt in die Flasche abgefüllt. Während die einen nur ausgewähltes Quellwasser verwenden, mischen andere gewöhnliches Wasser mit dem Alkohol.
Gegenwärtig versuchen verschiedene Hersteller, diese simple Handhabung zu verfeinern, um dem klassischen Getränk noch mehr Geschmack zu verleihen. Zum Beispiel im Nordwesten der USA, in Sheridan, Oregon. In der Boutique-Brennerei Ransom mischt man dem Alkohol und den Botanicals für den Old Tom Gin vor dem Destillieren Gerstenmalz bei. Damit erzeugt man nicht nur einen malzigen Geschmack, der sich im Cocktail gut macht, sondern verleiht dem klaren Schnaps auch eine edle braune Farbe.
Oder in London, wo die Timbermill Distillery steht. Hier entsteht der Oxley Gin, der als einziger Gin der Welt kalt (bei minus 5 Grad) destilliert wird. Das Resultat des innovativen Verfahrens polarisiert noch. Während Yves Schaffter ihn als «erstaunlich frisch, pur und sauber» bezeichnet, finden die Experten der Website ginobility.de, dass sich der hohe Preis wohl eher durch «den umfangreichen technischen Aufwand als durch einen Mehrwert in Aroma und Geschmack rechtfertigen lasse».
Das Gin-Abc:
Dry Gin. Dry Gin ist eine ungesüsste Gin-Version, bei deren Herstellung die Botanicals dem Alkohol einzeln zugegeben werden.
London Dry Gin. Die Bezeichnung verweist auf das besondere Herstellungsverfahren, in dessen Verlauf die Botanicals gleichzeitig dem Alkohol zugegeben werden, bevor dieser einer weiteren Destillation unterworfen wird.
Old Tom Gin. Dabei handelt es sich um die ursprüngliche Variante des Gins, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert beliebt war. Durch die nachträgliche Zuckerzugabe ist der Old Tom Gin süsser als der Dry Gin und verfügt gleichzeitig über einen volleren Körper.
Plymouth Gin. Dies ist eine Herkunftsbezeichnung. Erzeugnisse, die diesen Namen tragen, müssen in der englischen Stadt Plymouth gebrannt worden sein.
Quelle: ginobility.de
Alle Infos zur Dante Bar: www.dante-zurich.ch