Con molto amore», sagt Paolo Carniani, mit viel Liebe habe er den mannshohen Schrankkoffer aus glänzendem, schokoladenfarbenem Kroko hergestellt. Er hat 160 Einzellederteile mit 1400 Ziernägeln um ein Pressholzskelett gestrafft, dann das Innenleben mit Schubladen, Schuhfach, Wäschesack und Krawattenhalter versehen. Ein Monat, also rund 230 Arbeitsstunden, sowie die Bauchhaut von 23 Krokodilen stecken in diesem Gepäckstück, das wohl niemals auf dem Förderband eines Flughafens stehen wird, sondern für alle gut sichtbar in der Villa seines Besitzers. «Letztes Jahr habe ich vier identische Stücke für einen Schauspieler gemacht, der sie als Wohnzimmertische benutzen wollte», erzählt Paolo Carniani.

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Maximal zehn dieser Koffer schaffen er und sein Kollege Marco Sabatini pro Jahr, jeder davon ist handgefertigt, und während die Form immer gleich bleibt, werden Material und Innenausstattung den Kundenwünschen angepasst. «Mehrere hunderttausend Euro», sagt Carniani, koste so ein Stück, also so viel wie eine mittelgrosse Wohnung im Stadtzentrum von Florenz. Produziert werden sie in Scandicci, einem eher unattraktiven Vorort der Renaissancestadt. Jeder Taxifahrer in Florenz weiss, wohin die Reise geht, wenn jemand dorthin möchte: zu Gucci.

Guccio Gucci gründete 1921 eine kleine Sattlerei, die trotz allen Wirtschaftskrisen, familiären Intrigen und dem Verkauf an das französische Luxus-Konglomerat PPR bestens dasteht. Ein Grund dafür ist, dass man bei Gucci stets der Versuchung widerstand, die Produktion ins günstigere Ausland zu verlegen, und sich auf das konzentrierte, was die wählerisch gewordene Luxuskundschaft besonders schätzt: Tradition und Manufaktur. «Wir haben das grosse Glück, dass manche unserer Mitarbeiter vor 30 Jahren hier anfingen, weil schon ihre Väter hier arbeiteten. Sie haben eine Erfahrung, die kein Geld der Welt kaufen kann», sagt Gucci-CEO Patrizio di Marco. Das ist das Besondere an Gucci: «Wir sind nicht nur cool, modisch, glamourös und für den roten Teppich geeignet», erklärt der Sohn eines Carabiniere, der nach Stationen bei Prada, Louis Vuitton und Bottega Veneta ausgerechnet im Krisenjahr 2009 die Leitung von Gucci übernahm. «Wir pflegen das Handwerk, wir haben ein Erbe, wir sind die Meister des ‹Made in Italy›.»

In den Gängen des modernen, 17 000 Quadratmeter grossen Gucci-Hauptquartiers in Scandicci hängen überdimensionale Schwarz-Weiss-Fotografien, die von den Anfängen, den berühmten Kunden und der Gründerfamilie erzählen: Da stehen Guccio und sein Sohn Rodolfo vor dem ersten Gucci-Laden in der Via della Vigna Nuova in Florenz, da beugen sich Näherinnen über prähistorische Singer-Maschinen, da trägt eine blutjunge Caroline von Monaco eine Bluse mit dem berühmten «Flora»-Druck. All dies ist Ewigkeiten her, doch in der Boutique des Gucci-Museums, das im letzten September anlässlich des 90-jährigen Bestehens Guccis eröffnet wurde, sind «Flora»-Seidentücher der Bestseller, und vor den Fotos von Liz Taylor, Ingrid Bergman und Lady Di mit ihren Bamboo Bags versammelt sich stets eine Menschentraube.

Kult-Teil ab 1500 Franken. Die Bamboo Bag ist die wohl berühmteste Gucci-Tasche, sie entstand 1947 nach einem Entwurf des Firmengründers und aus einer Notlage heraus: In der Nachkriegszeit war widerstandsfähiges Material für Taschenhenkel schwer zu finden, Bambus aus Japan aber leicht zu importieren. So bekam die Tasche jenen Griff, der sie in den fünfziger und sechziger Jahren zum «Must have»-Accessoire der Celebrities machte. Dann wurde die Tasche viele Jahre lang nur auf Bestellung für einzelne Kunden produziert, bis sich Gucci-Kreativdirektorin Frida Giannini 2010 zu einem Relaunch entschied und die modernere und praktischere New Bamboo Bag auf den Markt brachte.

Jetzt ist die Tasche wieder ein Kult-Teil der Gucci-Kollektion. Die günstigste Version ist ab 1500 Euro zu haben, in Krokoleder kann sie leicht 20 000 Euro kosten, bei Sonderanfertigungen sogar das Zehnfache davon. Die Tasche ist nicht das erste historische Teil, dem Giannini ein neues Leben geschenkt hat. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Tom Ford taucht die Römerin oft stundenlang ins Firmenarchiv ab und kommt mit alten Stoffmustern und Modellen zurück. «Meine Design-Philosophie war immer darauf fokussiert, Ikonen neu zu interpretieren», erklärt sie, «es geht nicht darum, sie zu kopieren oder sie verschwinden zu lassen. Ich möchte eine Verbindung zu Guccis Vergangenheit herstellen und das Design gleichzeitig nach vorne in die Gegenwart und die Zukunft bringen.»

In der Schneiderei steht Luca Cialdi hinter seinem Arbeitstisch und platziert die 34 Einzelteile der Taschen-Aussenform auf eine Python-Haut. Dabei überlegt er sich genau, wie er das Schnittmuster legt, um einerseits möglichst wenig des teuren Materials zu vergeuden und anderseits die optimalen Stellen für den Griff, die Seiten und den Verschluss zu finden. Er könnte das mit geschlossenen Augen. Der in Scandicci aufgewachsene Handwerker kam als 15-Jähriger zu Gucci, er hat sein Leben in der Lederschneiderei verbracht. «Jeder, der hier mit mir arbeitet, schneidet seit mindestens 20 Jahren», erzählt er, «nur dann geben sie uns die wertvollen Häute in die Hand.»

Eigenverantwortlich sucht Cialdi die beiden Python-Häute aus, die er für eine Tasche braucht, und achtet darauf, dass sie in Farbe und Musterung zueinanderpassen: «Man muss das Leder verstehen, seine Nachteile erkennen und wissen, wie man die Vorteile optimal in Szene setzt.» Er schneidet freihändig Stück für Stück mit einer scharfen Klinge. Zum Schluss nummeriert er alle Teile und gibt sie in die nächste Abteilung, zu den Näherinnen.

Fragmentierte Produktion. Von den insgesamt 10 000 Gucci-Angestellten arbeiten 1300 im Scandicci-Werk. Hier werden neue Modelle entwickelt, die Materialien überprüft, die Prototypen, die Musterkollektion und die Sonderaufträge gefertigt. Der Grossteil der Produktion findet in kleinen, familienbetriebenen Werkstätten mit drei bis maximal zehn Handwerkern statt, die über die ganze Toskana verteilt sind. Im Idealfall gehören diese Miniunternehmen ehemaligen Mitarbeitern, die sich selbständig gemacht haben, aber trotzdem für Gucci weiterarbeiten. Sie kennen den Job und die hohen Ansprüche des Unternehmens, ihnen ist es zu verdanken, dass Gucci hinter Louis Vuitton die zweitstärkste Modemarke der Welt ist. 56 Prozent der 3,14 Milliarden Euro Umsatz, die das Unternehmen 2011 generiert hat, entfallen auf die Lederwaren, da ist es sinnvoll, in diesen Bereich zu investieren.

Gucci hat eine eigene Gerberei im Florentiner Santa-Croce-Viertel, es ist eine der weltweit grössten, in der mit Edelleder gearbeitet wird. Deshalb sind in Scandicci immer genügend Anakonda-, Python- und Echsenhäute, Straussen-, Lamm- sowie Kalbslederteile vorhanden, und alle sind erste Wahl. Um auch in Zukunft keine Nachwuchsprobleme zu haben, gründete das Unternehmen eine Täschnerschule in Scandicci und schickt regelmässig Mitarbeiter als Lehrer vorbei. Vor allem aber werden junge Menschen inhouse in den verschiedenen Abteilungen geschult.

Auch Claudio Parrini hat in Scandicci gelernt, seit 17 Jahren biegt er Bambus für die Bamboo Bag, mittlerweile gilt er als Experte. Verwendet werden nur die Wurzeln der Pflanzen – jeder, der einmal Bambus im Garten hatte, weiss, wie unkontrollierbar das Wurzelwerk wuchert und wie unproblematisch es ist, Teile davon zu entfernen. Die rund 50 Zentimeter langen Stangen werden über einer Flamme erhitzt und gebogen, die Kunst ist es, dafür den richtigen Moment zu erwischen.

Italienische Handwerkskunst. Um dem Griff seinen Vintage-Look zu verleihen, röstet ihn Claudio Parrini mit einer Stichflamme, dann wird er mit einem natürlichen Lack behandelt und mit einem Gummi in Form gehalten. Parrini entscheidet, wann ihm die Färbung gefällt, und es spielt keine Rolle, wenn die Teile Varianten aufweisen. «Jede Tasche ist anders, denn schon die Häute der Tiere unterscheiden sich untereinander», sagt er. «Diese Taschen wurden eben nicht am Fliessband produziert, sondern sind das Resultat eines Handwerks, das niemand so gut beherrscht wie wir Italiener.» Er sagt das mit einem selbstverständlichen Stolz, der kein bisschen überheblich wirkt. Und er weiss, dass es stimmt. Die Zahlen sprechen für sich: In den vergangenen vier Jahren wurden 15 neue Gucci-Läden in der Welt eröffnet, bis Ende 2012 sind 50 weitere in Planung.

Die Auftragsbücher sind voll, die Mitarbeiter kommen kaum nach mit dem Produzieren. «Crisi?» Paolo Carniani schaut, als höre er das Wort zum ersten Mal. «Als ich hier im Jahr 2000 anfing, wurden drei oder vier Schrankkoffer im Jahr produziert. Jetzt müssen wir ganz schön Gas geben, um mit den Aufträgen Schritt zu halten. Bei uns gibt es keine Crisi.»