Schwer und kühl liegt das Gehäuse aus gebürstetem Stahl in der Hand. Das getönte Saphirglas funkelt im Sonnenlicht. Geschmeidig fühlt sich das Alligatorleder an. Die Verarbeitung gewohnt makellos. Ein optisches wie haptisches Vergnügen. Kein Zweifel, das jüngste Produkt der Uhrenschmiede TAG Heuer erfüllt alle Kriterien einer Luxusuhr.
Ausser, dass es keine Uhr ist. Sondern ein Handy. Fünf Jahre lang hat TAG Heuer im Geheimen daran gearbeitet, zum Weihnachtsgeschäft wird der Meridiist (der Name soll an Reisende erinnern, die den Meridian passieren) offiziell lanciert. Stückpreis: je nach Modell zwischen 6000 und 30 000 Franken. Ein 148 Jahre alter Uhrenhersteller, der Handys baut? «Die DNA unserer Marke steht für Design, Technologie, Performance und Präzision», sagt TAG-Heuer-Chef Jean-Christophe Babin. «Da liegt es nahe, ein Handy zu entwickeln – sicher viel näher als Schmuck, den viele andere Uhrenhersteller machen.» Schliesslich, so Babin, hätten fünf der zehn wichtigsten Handyfunktionen mit der Zeit zu tun – neben der Uhr selber etwa Wecker oder Kalender. Um die Verwandtschaft zu unterstreichen, trägt der Meridiist an seiner Stirn ein zweites Display. Es erlaubt ein diskretes Schielen auf die Uhrzeit, wenn das Handy in der Brusttasche steckt.
Auch die Materialien des Meridiist sind aus der Horlogerie wohlbekannt: Stahl, Titan, Gold oder Platin für das Gehäuse wie bei der Uhr, Saphirglas wie bei der Lünette für das Display, edles Leder wie beim Armband für die Intarsien, Diamanten für die Verzierung. Und beim Zusammenbau des Handys muss man mit uhrmacherischer Präzision vorgehen – oder sogar noch genauer: Denn während eine mechanische Uhr aus 200 bis 300 Einzelteilen besteht, sind es beim Meridiist 400. Mehrere zehn Millionen Franken hat Babin in das Projekt investiert. Die Materialauswahl, das Design und das Marketing macht TAG Heuer selber, das technische Innenleben hat die französische Firma Modelabs nach Babins Anforderungen hergestellt. «Es war uns wichtig, von Anfang an ein eigenes Gerät zu kreieren, statt nur unser Logo auf ein fertiges Produkt zu setzen», sagt Babin.
Seit den frühen neunziger Jahren, als sich Ascom aus dem Markt verabschiedete, gab es in der Schweiz keine Handyindustrie mehr. Jetzt ersteht sie wieder auf – klein und fein, im obersten Segment der Luxusgeräte, getragen vom Know-how der Schweizer Uhrenindustrie. Aus diesem Grund hat sich auch Michael Morren den Standort Genf ausgesucht für seine Firma Goldvish. «Die Schweiz ist berühmt für Uhren und Juwelen», sagt der gebürtige Holländer. «Es gibt viel Know-how hier, die Produktionsstätten sind gut, die Qualität hoch.» Goldvish produziert Edelhandys in der Preisklasse von 20 900 bis 124 600 Euro. Mehr als tausend Geräte «made in Switzerland» verkauft Morren jedes Jahr an eine Kundschaft, die hauptsächlich aus Russland, China, Indien und dem Mittleren Osten stammt. «Wenn man Schmuck oder eine Uhr am Körper trägt, ist das aus Gold oder einem anderen Edelmetall. Wenn man dann das Handy zückt, ist es aus grauem Plastik. Das bricht die Harmonie», erklärt Morren, warum er vor fünf Jahren auf die Idee des «Jewel that communicates» (Werbespruch) gekommen ist. Inzwischen steht Goldvish im Guinness-Buch der Rekorde – als Hersteller des teuersten und exklusivsten Handys überhaupt: Nicht weniger als eine Million Euro kostete das Modell Le Million, entworfen von Emmanuel Gueit, einem Juwelier aus Pully VD. Preise spielen – ähnlich wie im Uhrenmarkt – keine Rolle. Die Kleinstserie des Millionenhandys (es wurden nur drei Stück produziert) ist ausverkauft. Und von einem anderen Goldvish-Modell orderte ein besonders wohlhabender Kunde gleich 17 Stück auf einmal für die ganze Familie. Die Rechnung belief sich auf über eine halbe Million Euro.
Da bekommt die Industrie feuchte Augen. Denn in anderen Branchen, bei den Uhren, Autos oder Lederwaren, entfallen rund zwei Prozent der verkauften Stücke auf den Luxusbereich. Jährlich gehen weltweit 1,15 Milliarden Handys über den Ladentisch. Setzt man für Luxushandys den Durchschnittspreis bei 8000 Franken an (bei einem normalen Handy beträgt er 150 Franken), dann bringt jedes Promille Marktanteil einen Umsatz von rund zehn Milliarden Franken. Heute ist der Markt erst ein paar hundert Millionen Franken schwer, übernächstes Jahr sollen es bereits acht Milliarden sein.
Nokia erkannte die Chance als Erste und gründete vor zehn Jahren die Tochtergesellschaft Vertu. «Wir waren die Pioniere», erinnert sich Nordeuropa-Chef Eckhard Köhler. 2002 eröffnete Vertu die erste Manufaktur im englischen Church Crookham, einem idyllischen Ort mit engen Gassen, eine Autostunde von Heathrow entfernt. Nach einem holprigen Start ist man heute hochzufrieden: «Die Nachfrage nach handgefertigten Luxustelefonen hat sich sehr gut entwickelt, so wie wir das geplant hatten», sagt Köhler. Die Preise liegen zwischen 3900 und 250 000 Euro, Umsatzzahlen gibt die Firma keine bekannt. Im Markt schätzt man den Vertu-Absatz auf bereits 30 000 Stück, Tendenz stark steigend.
VEREDELUNGEN. Die logische Folge: «Immer mehr Hersteller springen auf den Zug auf», sagt Sam Mehta, Verkaufschef von Knalihs Athem. Knalihs Athem? Hinter der exotischen Firmenbezeichnung verbirgt sich ein medienscheuer, 48-jähriger Schweizer Juwelier gleichen Namens aus Carouge GE. Der hatte bislang Diamantuhren für weltweit bekannte Luxusuhrenhersteller entworfen. Seit Juli nun wagt er sich an Handys, die er mit Hunderten von Edelsteinen verziert. Etwa ein Apple iPhone 3G mit Diamanten von 3,75 Karat für 11 200 Dollar. Oder zum doppelten Preis ein Nokia 8800 mit tausend Brillanten im Gewicht von 7 Karat. «Das sind an sich schon begehrte Handys», sagt Mehta. «Wir legen die Latte noch höher» – auch, weil die aufgemotzten Versionen nur in limitierter Stückzahl erhältlich sind. Drei, vier weitere Modelle nimmt Knalihs Athem demnächst ins Sortiment und erwartet, pro Jahr insgesamt 130 bis 150 Geräte in seiner Manufaktur herstellen zu können.
Auch der österreichische Juwelier Peter Aloisson hat sich auf die Veredelung gängiger Markentelefone spezialisiert. Neun verschiedene Modelle von allen grossen Herstellern hat er inzwischen im Sortiment, zu Preisen zwischen 31 000 und 1,45 Millionen Franken. Auch Aloisson setzt in seiner Manufaktur auf die klassischen Materialien Gold, Platin und Diamanten. Doch es geht auch origineller: Der russische Edelhersteller Gresso etwa produziert Handys aus 200 Jahre altem Ebenholz, Mobiado aus Kanada verbaut besonders widerstandsfähige Flugzeugmaterialien und Saphirkristall.
Klar, dass solche edlen Konversationsstücke nicht über den normalen Fachhandel abgesetzt werden oder sich gar das Regal mit einem 30-fränkigen koreanischen Plastikhandy teilen müssen. Die Exklusivhersteller setzen für den Vertrieb auf Juweliere und den Uhrenfachhandel. Vertu wird in der Schweiz etwa über Bucherer verkauft (Köhler: «Ein sehr guter und fähiger Partner»). Daneben betreibt Vertu weltweit 30 eigene Shops. Eine Strategie, die Goldvish nachzuahmen beginnt: Mitte September wird am Quai du Général-Guisan in Genf die erste eigene Boutique eröffnet, direkt neben Louis Vuitton. TAG Heuer kann auf ihr Uhrenvertriebsnetz zurückgreifen und hat dort Grosses vor: Zuerst wird der Meridiist in 10, später in 80 Ländern eingeführt. Anfangs will TAG Heuer einige zehntausend Stück pro Jahr absetzen; 2013 sollen es jährlich schon bis zu einer Million sein.
Dabei wehte TAG Heuer ein kalter Wind entgegen, als die ersten Fotos des Meridiist auf den einschlägigen Internetforen auftauchten. Das eigenwillige Design des Gerätes provozierte viele ablehnende, gar harsche Kommentare in den Techno-Blogs. «Luxus muss polarisieren», entgegnet Babin. «Wenn 90 Prozent sagen, ich hasse es, und 10 Prozent, ich liebe es: Bingo!»
BASISFUNKTIONEN. Ein anderes Problem ist gravierender: Diamonds are forever – Technologie nicht. Wer mehrere zehn-, vielleicht sogar hunderttausend Franken für ein Handy ausgibt, will nicht nach zwei Jahren ein neues kaufen, weil das Innenleben veraltet ist. TAG Heuer versucht das Problem zu entschärfen, indem man von Anfang an auf bewährte statt auf die letzte Technologie setzt. So fehlen beim Meridiist Funktionen wie ein Navigationssystem oder auch der schnelle Datenempfang über UMTS. «Wir behaupten nicht, in allen denkbaren Dimensionen die Besten zu sein. Eine Casio-Uhr hat auch mehr Funktionen als eine TAG Heuer. Wir beschränken uns auf die wichtigsten», sagt Babin. Schliesslich würden viele Funktionen eh nicht benutzt: Drei Viertel aller Handy-User fragen niemals E-Mails auf ihrem Gerät ab, MMS und das Internet bleiben von der Hälfte ungenutzt. Der Meridiist setzt auf andere Stärken: eine exzellente Empfangsqualität, einen guten Lautsprecher, ein sehr leicht zu bedienendes Interface und die rekordverdächtige Stand-by-Zeit von 28 Tagen.
Gewinn durch Verzicht – eine Idee, von der Vertu wieder abgekommen ist. «Anfangs wollten wir uns auch nur auf das Nötigste beschränken. Aber jetzt haben wir acht Jahre Erfahrung und dabei gelernt, dass wir Luxus nur mit ausgefeilter, moderner Technik verkaufen können», sagt Köhler. Heute findet manche neue und damit teure Technologie gar zuerst Eingang in die Exklusivgeräte von Vertu, bevor sie durch das Mutterhaus Nokia demokratisiert wird. Goldvish löst das Dilemma, indem sich Soft- und Hardware später aktualisieren lassen – ein Modell, das auch Babin prüft. Technisch ist dies allerdings schwierig umzusetzen, weshalb sich Vertu von diesem Konzept wieder verabschiedet hat. Stattdessen versucht sich die Nokia-Tochter durch eine besondere Dienstleistung zu positionieren: Ein Knopfdruck verbindet den Handynutzer mit einem Concierge, der die gleichen guten Dienste bietet wie sein Pendant im Hotel: Konzertkarten besorgen, Plätze im Restaurant reservieren oder einen Flug buchen. Sinn und Qualität dieser Dienstleistung sind in der Branche jedoch umstritten.
Wohl auch deshalb hat TAG Heuer auf den persönlichen Assistenten verzichtet. Die Uhrmacher aus La Chaux-de-Fonds setzen lieber auf Hardware. Vor einigen Jahren nahmen sie bereits Sonnenbrillen ins Programm auf. Die machen heute bereits sechs Prozent des Umsatzes aus. «Die Brillen stärken unser Markenbild und führen Tausende neue Kunden an die Marke heran», sagt Babin. Gleiches erwartet er vom Meridiist. Und die Chancen stehen nicht schlecht. «Wenn TAG Heuer Markenwerte und die Qualitätsansprüche ihrer Uhren auch bei den Handys einhält, wird sie erfolgreich sein», sagt Konkurrent Morren von Goldvish. «TAG Heuer ist ein ernst zu nehmender Player», sagt auch Vertu-Mann Köhler mit Respekt. «Es wird spannend in diesem Markt.»