Mitte der achtziger Jahre sei er bei der Waro in den Detailhandel eingestiegen. So jedenfalls steht es in Hansueli Looslis Curriculum, und so wird es auch in der Presse weiterverbreitet. Falsch ist das natürlich nicht, aber es ist alles andere als richtig. Denn in den Detailhandel ist Loosli sozusagen schon mit der Geburt eingestiegen. Schon als Knirps tummelte er sich an der «Verkaufsfront», im Volg-Laden seiner Mutter im aargauischen Würenlos nämlich. Das Wesen des Detailhandels, den Kunden jene Waren schnell und preisgünstig zu verschaffen, die sie zu kaufen wünschen, dieses Wesen hat er schon als Kind mitbekommen. Und das treibt ihn auch heute noch um. Nur füllt er heute nicht mehr Zucker in Tüten, er packt auch nicht mehr Früchte und Gemüse ein, sondern er leitet, gemeinsam mit seinen Geschäftsleitungskollegen, die zweitgrösste Detailhandelsgruppe des Landes, Coop. Und dies mit einer Begeisterung, die auf viele seiner Mitarbeiter ansteckend wirkt, die andere aber auch erschreckt. Denn Loosli ist im Begiff, die Coop vom Kopf auf die Füsse zu stellen, und das kann schmerzhaft sein.
Coop oder zuvor VSK (Verband Schweizerischer Konsumvereine), das war während vieler Jahre der Inbegriff eines etwas betulichen Unternehmens, das im Schatten der dynamischeren Migros stand. Coop, das war für viele Menschen der Laden um die Ecke, wo man dem Verkaufspersonal noch nachbarschaftlich verbunden war, wo man im Bedarfsfall auch schon mal anschreiben lassen konnte. Coop, das gab es zum Beispiel in Basel gar nicht, dort hiess das ACV (für Allgemeiner Consum Verein), in anderen Landesteilen hiess es Lebensmittelverein, Konsum oder «Konsi». Im «Konsi» gab es Rabattmarken, das verkappte Sparbüchlein der Hausfrau. Coop war ein Kind des einfachen Volkes, genossenschaftlich organisiert, hochgradig dezentralisiert (in einigen hundert Teilgenossenschaften, die nahezu autonom geschäften konnten). Kurz: Coop war eine gut eidgenössische Veranstaltung, föderalistisch bis zum Exzess, deshalb häufig ineffizient, aber liebenswürdig - ein wenig folkloristisch also, aber während vieler Jahre auch sehr erfolgreich. Seit den dreissiger Jahren, seit Gottlieb Duttweilers Migros den Markt aufrollte, befand sich Coop hingegen stets in der Defensive.
Dies hat sich gründlich geändert - nicht erst, seit Hansueli Loosli das Ruder übernommen hat, aber seither besonders deutlich. Schon eine ganze Reihe seiner Vorgänger hatten den genossenschaftlichen Wildwuchs ausgeforstet, die Zahl der regionalen Genossenschaften auf knapp zwanzig reduziert. In dieser Phase geschahen zwei nur scheinbar widersprüchliche Dinge: Zum einen nahm wegen der geringeren Zahl das Gewicht der einzelnen Genossenschaften zu, zum anderen gewann in der Umbauphase die Basler Zentrale der Coop Schweiz zunehmend an Bedeutung. Die Coop wurde vom unübersichtlichen Lädeli-Konglomerat zur Vereinigung von mehreren mittelgrossen Detailhandelsunternehmen mit zahlreichen zentralen Funktionen, mit Tochtergesellschaften und Produktionsbetrieben, die im wesentlichen von der Zentrale kontrolliert wurden.
Die Coop-Gruppe wurde zum «einkaufsgetriebenen Unternehmen», wie Loosli das nennt. Das heisst, die Sortimentspolitik wurde zwar sowohl zentral als auch dezentral bestimmt, in den Verkauf gelangte aber, was eingekauft worden war. Genau diese Logik will Hansueli Loosli umkehren: Die Coop-Gruppe soll ein verkaufsgetriebenes Unternehmen werden; die Zusammensetzung des Sortiments soll sich an dem orientieren, was durch die Kassen der Coop-Filialen läuft, denn dort erweist sich, was die Kunden wünschen. Diesem Anspruch ordnet Hansueli Loosli alles andere unter, seit er 1992 in der Coop-Geschäftsleitung als Direktor Warenbeschaffung und Leiter von Coop Zürich antrat, und erst recht, seit er im Januar 1997 als 42jähriger den Vorsitz der Geschäftsleitung übernahm. Und entsprechend dieser Vorstellung ordnet er auch seinen Laden um. Wobei er der erste wäre, der sich gegen den Begriff «sein Laden» verwahren würde, und zwar nicht, weil «Laden» ein abschätziger Begriff für ein so grosses Unternehmen wie Coop wäre («Laden» ist für ihn eher eine Ehrenmeldung), sondern weil es nicht «sein» Laden ist. Hansueli Loosli versteht sich vielmehr als Teamplayer, als Bestandteil einer Organisation, die dem obersten Ziel zu dienen hat, die Kunden zufriedenzustellen. Insofern «bin ich nicht wichtig; wichtig ist, was in den Läden passiert».
Bei den meisten anderen Unternehmern würden derlei Aussagen wie das Kokettieren mit der eigenen Bedeutungslosigkeit wirken. Nicht so bei Hansueli Loosli. Denn weder hält er sich für bedeutungslos, noch neigt er dazu, die Dinge nicht beim richtigen Namen zu nennen. Für ihn steht lediglich fest, dass der Detailhandel im wesentlichen dort stattfindet, wo der Kunde mit der Ware konfrontiert ist, und dass alle anderen Funktionen, die in einem so grossen Gebilde wie Coop vorkommen, sich daran messen lassen müssen, ob diese Konfrontation in einen Kauf mündet. Deshalb war er auch nicht davon angetan, sich in seinem Chefbüro an der Basler Thiersteineralle ablichten zu lassen - dort findet man ihn ohnehin eher selten. Loosli zieht es immer wieder an die Front, sei es in eine der Verkaufsstellen, sei es in eines der Regionallager. Das Gespräch mit den bilanz-Redaktoren fand folgerichtig in einem Konferenzraum des Coop-Zentrallagers in Wangen bei Olten statt; um das Gespräch mitten im Lager kamen wir nur herum, weil dort keine Besucher zugelassen sind. Der Fototermin schliesslich war in einer Basler Coop-Filiale, dort also, wo auch die Action stattfindet. Seit Hansueli Loosli im Januar 1997 die Führung der Coop Schweiz übernommen hat, geht es in der Zentrale turbulent zu. Die Geschäftsleitung wurde von fünf auf vier Personen reduziert. Neben Hansueli Loosli amtieren nun noch Anton Felder, Jörg Ackermann und Hanspeter Schwarz in diesem Gremium. Wobei Loosli der Vorsitzende der Geschäftsleitung ist und nicht mehr Primus inter pares, wie das früher gehandhabt wurde. Neben der Geschäftsleitung gibt es die Gruppenleitung, in der neben der GL die Chefs der regionalen Genossenschaften versammelt sind. Und ebenfalls im Unterschied zu früher nimmt diese Gruppenleitung tatsächlich Führungsfunktionen wahr: Sie ist nicht mehr Konsultativorgan, sondern sie entscheidet. Zum Beispiel über alle Investitionsvorhaben innerhalb der Gruppe, die 20 Millionen Franken übersteigen. Das optimiert die Allokation der Ressourcen.
Zunächst beglückte Hansueli Loosli die zentrale Einheit der Gruppe, die Coop Schweiz, mit zwei Effizienzsteigerungsprogrammen. Mit «Elan 1» stellte Loosli die Organisation vom Kopf auf die Füsse. Nicht mehr die Einkäufer allein haben nun das Sagen, wenn es um die Sortimentsgestaltung geht, sondern sogenannte Category Manager, 23 an der Zahl, die jeweils ein Segment des Sortiments betreuen und zusammen mit einem Logistiker, einem Einkäufer, einem Verkaufschef und einem Controller den Sortimentsmix und den Warenfluss steuern. Diese Teams treffen sich wöchentlich und können auf die Scanning-Daten aus allen Coop-Filialen zurückgreifen. Mit «Elan 2» ging Loosli die zentralen Dienste in ähnlicher Weise an.
Der nächste Schritt wird die einzelnen Genossenschaften betreffen. Hier möchte Loosli zum einen ihre Zahl von bisher noch 15 auf «acht bis zwölf» reduzieren, «aber das wird dauern», auch wenn der nächste Schritt, Winterthur, bereits angekündigt ist. Und zum anderen will er deren Arbeits-prinzipien vereinheitlichen. Das Instrument dazu heisst «Best Practice». Damit sollen gruppenweit die Abläufe erfasst und eruiert werden, wer was am besten macht, und der jeweils beste Ablauf soll dann umgehend zum Standard in der ganzen Gruppe werden. Dadurch wird sich die Lieferzeit in die Filialen von 10 bis 24 Stunden auf 6 Stunden reduzieren. Überdies wurde im Rahmen dieses Programms zum Beispiel das ganze nationale Transportgeschäft ausgelagert. Und entsprechend reduzierte sich der Personalbestand der Zentrale. Auch beim «Best Practice»-Projekt dürfte es hilfreich sein, dass mit der Gruppenleitung ein Gremium besteht, in dem zentrale und regionale Verantwortliche direkt miteinander kommunizieren, streiten und entscheiden können Das Hansueli Loosli kräftig mitstreiten wird, daran lässt er keinen Zweifel. Und wer sein Talent erlebt hat, blitzschnell von grossen strategischen Überlegungen auf das tägliche «Bread and butter«-Geschäft umzuschalten, der hat keinen Zweifel, wer in diesen Debatten den Ton angibt: an detaillierten Faktenkenntnissen lässt sich Loosli so schnell von niemandem übertreffen.
Nun nützt die beste Unternehmensstruktur nichts, wenn das Produkt nicht stimmt. Aber auch in diesem Bereich hat Coop das betuliche Image abgeschüttelt. «Frische, Convenience, Ökologie - und Service», das sind die Richtlinien, an denen sich in Looslis Augen das Coop-Sortiment zu orientieren hat. Mit der Natura-Linie, die mittlerweile 380 Millionen Franken zum Umsatz beisteuert und so gewaltige Wachstumsraten aufweist, dass Loosli die Milliardengrenze schon für das Jahr 2008 ins Auge fasst, hat Coop die grosse Konkurrentin in Zürich abgehängt. Dieser Produktebereich wurde ganz wesentlich unter der Federführung des Geschäftsleitungsmitglieds Anton Felder ins Leben gerufen, gegen zum Teil heftigen internen Widerstand. Die ProfitCard - diesmal unter Looslis Federführung - bescherte der Coop 300 000 neue Genossenschafter, den Verkaufsstellen entsprechend höhere Umsatzziffern und der «Coop-Zeitung» eine höhere Leserzahl. Dies wiederum wirkt sich auch auf die Beziehungen zu den Lieferanten segensreich aus; denn das Massenblatt aus dem Hause Coop ist für die Neulancierung und das begleitende Marketing von Markenprodukten ein kaum zu überschätzendes Instrument, und das dürfte sich auch in den Lieferkonditionen niederschlagen.
Die Erweiterung des OK-Tankstellennetzes um Convenience-Läden war ein weiterer Handstreich, der zwar nicht allenthalben auf Begeisterung stiess, aber von Anfang an ein Erfolg war. Die meist passanten- und autofreundliche Lage der Filialen und ihre tägliche Öffnungszeit von bis zu 20 Stunden bescheren diesen Shops einen Quadratmeterumsatz, von dem die Konkurrenz nur träumen kann. Kein Wunder, denkt Loosli auch darüber nach, allfällig überzählig werdende Kleinverkaufsstellen in Convenience-Shops umzuwandeln - die sich liberalisierenden kantonalen Ladenöffnungsgesetze könnten da hilfreich sein. Hansueli Looslis Tempo und seine Entschlossenheit, einmal für richtig erkannte Ziele auch zu verwirklichen, machen ihn zu einem begeisternden Chef - und zu einem schwierigen. Auf kritische Anmerkungen reagiert er mit leiser Ungeduld. Was haben die Coop-Bank und -Versicherung eigentlich mit dem Kerngeschäft zu tun? «Nichts, aber nach den Grossfusionen in diesen Branchen haben sie einen neuen Stellenwert bekommen.» Wollen Sie eigentlich für immer die Nummer zwei bleiben? «Wir fühlen uns wohl als Nummer zwei, und in vielen Bereichen sind wir die Nummer eins.» Das Geschäft von Radio TV Steiner und Interdiscount geht schleppend. «Das war einmal. Die Simeco (in der die beiden zusammengefasst sind, Red.) ist die Nummer eins in der Unterhaltungselektronik, mit markant steigenden Marktanteilen.» Die Kosmetiklinie Impo ist in den roten Zahlen. «Das war sie 1996; 1997 war sie rosa und 1998 schwarz.» Welche Genossenschaften schreiben Verluste? «Keine; das Tessin ist seit 1997 schwarz, Genf ist schwarz, das Wallis ist rosa.»
Die Eigenkapitalbasis der Coop sei schlecht. «Mag sein, aber das wollen wir ja gerade verbessern.» In den Coop-Bilanzen seien die Immobilien überbewertet. Da wird Loosli ganz energisch: «Blödsinn.» Und legt eine Liegenschaftsbewertung vor, nach der «bei einer stark gewichteten, vorsichtigen Ertragswertbetrachtung stille Reserven auf unseren Liegenschaften von rund 40 Prozent beziehungsweise 2,5 bis 3 Milliarden Franken» bestehen. Wie gesagt, in sachen jederzeit abrufbarer Detailkenntnisse macht dem Coop-Chef so schnell niemand etwas vor. Dass Hansueli Loosli seine Ziele nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten verteidigt, hat er in seinen bislang sieben Coop-Jahren mehr als einmal bewiesen. Sein Meisterstück - und wohl auch der entscheidende Anstoss, dass er die Spitze erklimmen konnte - war die Sanierung der Coop Zürich. Wofür er bis heute von den damals Betroffenen gelobt wird. Für Lilian Uchtenhagen, ehemalige Coop-Verwaltungsrätin und langjährige Coop-Zürich-Präsidentin, ist Loosli «der beste Direktor, den Coop je hatte».
Man sollte meinen, dass derlei seine Vorgänger doch ein wenig wurmt. Doch auch Rolf Leuenberger, der bei Coop ausschied, weil er genau den Kurs, den Loosli jetzt fährt, nicht steuern wollte, bescheinigt ihm herausragende Qualitäten: «Er ist ein Chrampfer, ein guter Handwerker und sehr schnell.» Kleine Einschränkung: «Er ist kein Politiker.» - Genau deshalb hat ihn der Coop-Verwaltungsrat wahrscheinlich an die Spitze des Untzernehmens gesetzt. Dass sich Loosli mit seinen hemdsärmligen Macherqualitäten nicht nur Freunde macht, erwies sich bei der späteren Sanierung des Konsumvereins Zürich, die manche Kritiker eher als die Zerstörung dieses Unternehmens bezeichnen. Dessen Tochter, die Discountkette Billi, lobte er noch über den grünen Klee als vielversprechenden künftigen Umsatzträger, als intern schon längst klar war, dass Coop das ungeliebte Kind loswerden wollte. «Ja, hätte ich denn bekanntgeben sollen, dass wir für Billi innerhalb der Gruppe keine Zukunft sehen?» stellt er die rhetorisch gemeinte Gegenfrage. Wohl kaum, denn dann hätte Coop beim Verkauf an Denner wohl noch draufzahlen müssen. Auch dass er beim Wechsel von der Waro zur Coop einige Mitarbeiter «mitnahm», was man ihm beim alten Arbeitgeber doch eher verübelte, kommentiert er gelassen: «Was hätte ich denn tun sollen? Das sind gute Leute, und die wollten mit mir zusammenarbeiten.» Nachtragend freilich ist niemand. Sein damaliger Chef Beat Curti: «Hansueli Loosli ist ein erfahrener Macher, der spürt, was am Markt passiert. Er setzt sich durch. Er ist zuverlässig und steht zu seinem Wort.»
Die Zahlen geben Hansueli Loosli recht. 1998 konnten die Coop-Verkaufsstellen ihren Umsatz um vier Prozent steigern und liessen damit die grosse Konkurrentin zum wiederholten Mal hinter sich. Das heisst: Der Marktanteil der Coop-Gruppe hat abermals zugenommen. In ein Wettrennen um Platz eins um jeden Preis will sich Loosli aber nicht einlassen. Umgekehrt aber hat er keinerlei Angst vor dem grossen nationalen Konkurrenten - und schon gar keine vor ausländischen Invasoren. «Die hätten es in der Schweiz mit den gleichen Rahmenbedingungen zu tun wie wir, und da wären wir durchaus konkurrenzfähig», meint er. Was ihn nicht daran hindert, sich im Ausland umzuschauen. Nicht auf der Suche nach Akquisitionen, sondern «um zu schauen, wie die das machen.» Grosse Hochachtung hegt er vor der britischen Tesco-Gruppe («die sind von den Ladengrössen her mit Coop vergleichbar»): «Verkaufsfront super, hervorragende Warenbewirtschaftung, ausgezeichnete Beziehungen zu den Lieferanten - und gut ausgebildete Leute.» Den letzten Punkt betont er besonders. Denn: «Detailhandel hat mit Menschen zu tun, sie entscheiden über Erfolg oder Misserfolg; Waren kann man überall beziehen.»