Bis vor kurzem wäre es einem nie eingefallen, wegen der «Jungfrau Stube» im Grandhotel Victoria-Jungfrau nach Interlaken zu fahren. Sehr wohl eine Reise lohnte dagegen das im westlichen Trakt, dem Victoria-Flügel, untergebrachte Restaurant La Terrasse. Die «Stube» mit ihrer rustikalen Holzverkleidung überliess man neidlos den Hotelgästen.

Seit die «Jungfrau Stube» allerdings in enger Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege umgebaut wurde, hinter der Holzschalung eine umwerfende Belle-Epoque-Halle mit originalen, reich stuckierten und bemalten Decken- und Wandmalereien zum Vorschein kam und der immense Raum den passenderen Namen «Jungfrau Brasserie» erhielt, empfiehlt sich auch dieser Abstecher.

Wer die Reise gar bei guter Witterung unternimmt und sich am Landschaftsspektakel delektiert, betritt den Saal prächtig eingestimmt auf die Verheissungen der gazettenartig aufgemachten Speisekarte: eine Küche ausschliesslich aus Schweizer Produkten. Das will nicht heissen, dass Brasserie-Koch Urs Wandeler nun einfach die bekannten regionalen Klassiker auftischt. Zwar finden sich Bündner Gerstensuppe, Zürcher Geschnetzeltes oder Forellenfilet Zuger Art auf der Karte. Doch bloss in der vierten Spalte, gleichsam der Touristenrubrik.

Nein, Wandeler pflegt eine frische, spontane, reduzierte Küche wie sie mit anderen Produkten auch eine Brasserie in Paris anbieten könnte. Nur stammen jetzt eben Lamm und Kalb aus dem Toggenburg oder dem Emmental, die Fische aus den heimischen Seen, und Tomaten etwa gibt es nur, wenn diese im Tessin oder im Wallis reif sind.

Vater des zeitgemässen Konzepts ist Peter Brüderli, Herr über alle Küchen des Grandhotels. Die in den letzten Jahren immer aufwändiger gewordene Suche nach den besten Qualitäten der immer gleichen Luxusprodukte hat ihn nach Alternativen Ausschau halten lassen. Die Suche führte in alle Landesteile und liess ihn fündig werden. Lohn der Anstrengung sind Erzeugnisse wie etwa die kalt gepressten Öle des Moulin de Sévery oder Käse, die keinen Vergleich mit ausländischen Sorten zu scheuen brauchen. Einzig beim Rindfleich muss Brüderli passen. Da hat er bislang keinen Züchter gefunden, der seinen hohen Ansprüchen genügen und die grosse Nachfrage garantieren kann. Rindfleischesser müssen deshalb im «Victoria-Jungfrau» vorläufig noch ins «Terrasse» dislozieren.

Einfach und schwierig zugleich war die Gestaltung der Weinkarte. Es versteht sich, dass die Brasserie nur Schweizer Tropfen ausschenkt. Keine Kunst ist es, die Weinliste mit Schweizer Namen zu füllen. Nur findet sich darunter viel Mittelmass. Die besten Gewächse freilich sind schwer aufzutreiben, verfügen aber meist über ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die «Jungfrau Brasserie» imponiert heute schon mit einer schönen Zahl von Spitzenweinen. Wie man hört, ist das Ziel ehrgeiziger gesteckt: Angepeilt wird eine Karte mit einheimischen Gewächsen, die Massstäbe setzt. Hoffentlich orientiert sich die Kalkulation auch an deren Preiswürdigkeit.

Jungfrau Brasserie
Peter Brüderli, Urs Wandeler
3800 Interlaken
Tel. 033/828 28 28
Fax 033/828 28 80
interlaken@victoria-jungfrau.ch
www.victoria-jungfrau.ch
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