Henri Schürch, Sattler im Waadtländer Valeyres-sous-Rances, ist ein bescheidener Mensch, und in seiner blauen Arbeitskleidung könnte er glatt als Arbeiter der kommunalen Werke durchgehen. Dabei gehört er zu den Grossen der Branche: Wer mit Oldtimern zu tun hat, hat seine Adresse im Notizbuch mit Leuchtstift markiert.
Ohne die Miene zu verziehen, schneidet er mit schnellen Schnitten ein rotes Stück Leder in verschiedene Teile. Erst wenn man ihn anspricht und über seinen Beruf auszufragen beginnt, legt er behutsam das Werkzeug beiseite. Und beginnt mit bedächtigem Bernerakzent Anekdoten aneinander zu reihen. Er redet über genagelte und geklebte Sitze von englischen Autos aus den Fünfzigern und über die Lederqualitäten von damals und heute. Und er tut es mit Leidenschaft.
Schürch, der bei einem Berner Spezialisten für Sammlerautos in die Lehre ging, kennt alle Geheimnisse der Autosattlerei. Nach seiner Lehre zog er nach Yverdon, wo ihn Franco Sbarro, der berühmte Konstrukteur von wilden Autoprototypen in Grandson zu sich holte. Franco Sbarro war damals eine der ganz grossen Nummern im Geschäft; er dominierte als schillernder Magier die Automagazine der Achtziger mit selbst entworfenen Fahrzeugen und Replikas der unsterblichen Klassiker. Seine Garage war ein einträgliches Unternehmen mit Kunden aus dem Nahen Osten, die das Wort «übertrieben» aus ihrem Wortschatz gestrichen hatten, vor allem wenn es um Sbarros Design und den Preis dafür ging.
Schürch blieb fünf Jahre bei Sbarro, ging ein Jahr nach Nyon, kehrte zu Sbarro zurück und machte sich 1986 in Valeyres-sous-Rances selbstständig.
Bei der Sattlerei geht es um Sitze, die Verkleidung des Innenraumes und mitunter auch um die Haubenabdeckung. Gefragt ist vor allem eine grosse Portion an ingeniösem Einfallsreichtum, denn meistens kann der Sattler beim Renovieren von Oldtimern nicht einfach ein Stück nachbauen – es existiert nämlich vielleicht gar nicht mehr. Die zerissene Haubenabdeckung oder die gelöcherte Seitentasche wurden vom Vorbesitzer ahnungslos weggeworfen. Das ist eine Knacknuss für Schürch, denn er muss die exakte Form, das richtige Leder, die korrekte Naht finden, kurz, er muss das Teil so nachbauen, wie es für das Modell im damaligen Jahr genau richtig war.
Reliquien, etwa ein alter Bentley-Sitz, auf dem schon Gras und Moos wuchert, die kleinste Originalschraube, all das sind Indizien, die ihm, wenn er sie hat, bei der Arbeit Stunden von Kopfzerbrechen ersparen können. Am Ende sieht der Wagen wie neu aus – höchstens, dass er mal, wenn er es verantworten kann, ein etwas strapazierfähigeres Material verwendet, als damals üblich war.
Der Star der Branche, der einen schier unerschöpflichen Fundus von Erfahrung hat und liebend gerne seine Triumph Spitfire fährt, ist nie ein Freund der grossen Worte geworden. «Manchmal», so sagt er über seinen Job, «muss man einfach ein bisschen Bastler sein.»