Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wissen sei in der modernen Gesellschaft das wichtigste Kapital, heisst es. Und genau darin erblickt André Gorz, der 1923 in Wien geborene Wahlfranzose und vehemente Kapitalismuskritiker, den grundlegenden Widerspruch: Wissen kann gar nicht Kapital sein.

Denn Wissen ist keine Ware wie jede andere. Sie eignet sich nicht dazu, als Privateigentum behandelt zu werden. Wer sein Wissen verkauft, gibt es nicht wirklich ab: Es bleibt in dem Speicher verfügbar, den wir alle in unserem Kopf mit uns herumtragen. Eine Gesellschaft ist umso reicher, je mehr Wissen in den Köpfen ihrer Mitglieder vereinigt ist und je freier der Zugang aller zum gemeinsam angehäuften Wissen ist. Der Eigentumsanspruch, zum Beispiel in Gestalt von Patenten für die Nutzung von Wissen, behindert die freie Ausbreitung von Wissen und dient deshalb nicht der Weiterentwicklung der Gesellschaft.

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Eine Wissensgesellschaft wären wir erst dann, wenn Wissenschaft und Ökonomie auf gesellschaftliche, ökologische und kulturelle Ziele ausgerichtet wären und nicht auf den Prozess der Kapitalverwertung. Denn Wissen ist ein freies Gut, während die Grundlage der Kapitalverwertung knappe Güter sind.

Der Versuch, Wissen zu Kapital zu machen, ist für André Gorz ein im Wortsinn widernatürlicher Vorgang.

Er ist gegen die Natur gerichtet und damit auch gegen den Menschen als Teil der Natur. «Künstliche Intelligenz» ist für ihn eine Chiffre für die Abschaffung des Menschen: nämlich der Versuch, das menschliche Gehirn durch «intelligente Maschinen» zu ersetzen.

Während das Gehirn frei verfügbares Wissen produziert, das sich der Kapitalverwertung entzieht, unterliegen die Maschinen, die künstliche Intelligenz herstellen, diesem Prozess sehr direkt. Nur deshalb sind sie wirtschaftlich interessant und nicht, weil sie Wissen effizienter hervorbringen als das menschliche Gehirn.

Mit den Thesen von André Gorz kann man einverstanden sein oder nicht. Sich mit ihnen auseinander zu setzen, lohnt sich allemal.

André Gorz
Wissen, Wert und Kapital
Rotpunkt Verlag, Zürich, 133 Seiten, Fr. 24.–