Das hätte sich Jules-Frédéric Jeanneret sicher nie träumen lassen, als er 1866 in St-Imier seine kleine Uhrenfabrik gründete. Fast 150 Jahre später taucht sein Familienname nämlich auf Zifferblättern von angeblichen Schweizer Uhren auf. Und Jeanneret selbst wird auf der Internetseite von Jeanneret Watches quasi als Stammvater der Marke gefeiert: «In Erinnerung an die Tradition und den Geist von Madame und Monsieur Jeanneret präsentieren wir diese Kollektion von Damenuhren.»
Doch mit Jules-Frédéric und seinen Nachfahren, die im 20. Jahrhundert Chronographen der Marke Excelsior Park herstellten, haben die Jeanneret-Damenuhren nicht das Geringste gemein. Die Uhren kommen direkt aus Fernost. Bis auf zwei Modelle mit Ronda-Quarzmotoren ticken in den Uhren chinesische Automatikwerke. Die Suche nach der Herkunft der Marke führt zu einer Always at Auction Ltd. in Carrollton, einem Vorort der texanischen Millionenmetropole Dallas. Das Domizil 1545 Capital Drive und die Telefonnummer teilt sich Jeanneret mit einer Reihe weiterer Marken, deren Name ebenfalls eine Schweizer Herkunft vortäuscht: Bernoulli, Louis Bolle, Duboule, Rousseau, Wohler.
Gemeinsam ist den chinesischen Uhren aus Texas, dass sie ausschliesslich über Internet-Auktions- und -Verkaufsplattformen vertrieben werden und dass durchwegs ein überrissener Manufacturer’s Suggested Retail Price – ein vom Hersteller empfohlener Verkaufspreis – genannt wird. So soll etwa das Jeanneret-Model Stephanie im Vergleich zu ähnlichen Uhren renommierter Marken 1350 Dollar wert sein. Auf Ebay ist die Uhr dagegen für nur 135 Dollar zu haben – wohl eher ein realistischer Preis.
Der Kaufinteressentin wird aber vorgegaukelt, eine Qualitätsuhr mit Schweizer Abstammung zu einem absoluten Schnäppchenpreis erwerben zu können. In amerikanischen Internet-Uhrenforen hat sich für Ticker von Marken wie Jeanneret der Begriff «Hochstapler-Uhren» eingebürgert: Sie wollen mehr scheinen, als sie sind.
Schweizer Zoll ist alarmiert
«Wir haben pro Jahr Dutzende von Fällen, in denen wir Abmahnungen verschicken mit der Aufforderung, die Swiss-Made-Vorschriften einzuhalten», sagt Yves Bugmann, Chef des FH-Rechtsdienstes. Tausende von Uhren mit irreführenden Angaben werden jährlich am Schweizer Zoll beschlagnahmt. Auf Verstösse aufmerksam werde die FH durch die eigene Marktbeobachtung, aber auch durch Hinweise von Konsumenten. «Wir stossen immer wieder auf Schweizer Uhren, die wir nicht kennen», bestätigt Bugmann.
Online-Uhrenshops lassen das Publikum meist im Unklaren, ob eine Uhr trotz klingendem Namen eine legitime Schweizer Uhr ist oder nicht. In einer SwissStar mit «mechanischem Werk und Alarmfunktion», so angeboten für 139 Euro von einem deutschen Online-Shop, kann aber unmöglich ein Schweizer Uhrwerk stecken. Von den letzten Weckerwerken mit Handaufzug aus den 1970er-Jahren existieren nur noch winzige Restbestände; ein solches Werk würde mehr kosten als die ganze Uhr.
Auf einem Bild im Internet ist durch den Glasboden der Uhr das Werk sichtbar. Ein Blick genügt: Es handelt sich um ein ST28-29 von Tianjin Sea-Gull in der Nähe von Peking. Das gleiche Werk tickt auch in einer Wakmann Swiss, die von einem anderen Internethändler für 145 Euro feilgeboten wird. Wakmann war einst eine angesehene Importmarke in New York, die auf dem US-Markt auch mit Breitling zusammenarbeitete. Heute gehören die Markenrechte einer Teddy Bear Group, einer Briefkastenfirma auf den britischen Jungferninseln in der Karibik.
30 Jahre alte Billigwerke eingebaut
Nachfragen nach der Herkunft der angebotenen Uhren und der verwendeten Werke sind bei den Online-Händlern nicht beliebt. Mails werden ausweichend oder gar nicht beantwortet. «Ich setze jene Angaben auf die Webseite, die mir mein Lieferant mitteilt», sagt am Telefon kurz angebunden Eveline Lohse von ecl trendshop in der Nähe von Lahr im Schwarzwald. Den Lieferanten will sie nicht nennen. Davon, dass sie Uhren mit irreführenden Herkunftsangaben im Sortiment hat, hört Lohse angeblich zum ersten Mal. Andere Online-Händler sind telefonisch nicht erreichbar oder rufen trotz mehrmals auf dem Anrufbeantworter hinterlassenen Mitteilungen nie zurück.
Bei günstigen Uhren ist im Internet selbst dann Vorsicht geboten, wenn in ihnen tatsächlich ein mechanisches Uhrwerk aus der Schweiz tickt. Es könnte nämlich – wie bei einer Chenevard für 135 Euro – sein, dass dem Kunden eine Uhr mit einem einfachen Stiftankerwerk angedreht wird. Solche Werke – wie etwa das Ronda-Kaliber 1215 – werden seit mehr als 30 Jahren nicht mehr hergestellt. Viele genauere Quarzwerke haben sie längst vom Markt gefegt.
«Der Konsument wird in die Irre geführt»
Für Yves Bugmann (37), den Chef des Rechtsdienstes der Fédération Horlogère (FH), des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie, Biel, ist der Umgang mit Fälschungen und «Hochstapler-Uhren» leider bitterer Alltag.
Die Schweizer Uhrenindustrie wird durch Fälschungen von Markenuhren jedes Jahr um Hunderte von Millionen Franken geschädigt. Welche Rolle spielen im Vergleich dazu sogenannte «Hochstapler-Uhren»?
Yves Bugmann:
Im Unterschied zu gefälschten Markenuhren treffen der finanzielle und der Imageschaden bei «Hochstapler-Uhren» nicht in erster Linie ein Unternehmen. Hauptbetroffen ist vielmehr regelmässig der Konsument, der in die Irre geführt wird. Es leidet aber auch der Ruf der Schweiz als klassisches Uhrenland. Zahlenmässig sind solche Imageschäden schwer zu beziffern. Aufgrund unserer Erfahrungen haben jedoch das Phänomen dieser «Hochstapler-Uhren» und das Vorspiegeln einer falschen Schweizer Herkunft vor allem auf einigen ausländischen Märkten schon eine gewisse Dimension erreicht
Welche rechtliche Handhabe hat die Fédération Horlogère gegen solche «falschen» Schweizer Uhren?
Die Schweiz hat die Bedingungen für die Verwendung der Bezeichnung «Schweiz» auf einer Uhr klar geregelt. Etliche europäische Staaten haben gleiche oder ähnliche gesetzliche Bestimmungen erlassen, und auch auf weltweiter Ebene besteht oft ein gesetzlicher Mindestschutz für geographische Herkunftsangaben. Gestützt darauf geht die Fédération Horlogère gegen missbräuchliche Herkunftsangaben auf Uhren vor. Zur Aufdeckung von Missbräuchen führen wir weltweite Markenüberwachungen durch und gehen gegen Anmeldungen vor, die unerlaubt Schweizer Herkunftsangaben im Markennamen führen. Ein bedeutender Teil der Fälle kann aussergerichtlich gelöst werden: Der Hersteller der Uhren oder der Markeninhaber erklärt sich uns gegenüber verbindlich bereit, Schweizer Herkunftsangaben nur dann zu verwenden, wenn die Bedingungen der Swiss-Made-Verordnung erfüllt sind.
Wo liegen die praktischen Schwierigkeiten, gegen angebliche Schweizer Uhren vorzugehen?
Der Schutz von Herkunftsangaben ist international sehr unterschiedlich. In der Schweiz kann eine Uhr nur dann die Bezeichnung «Swiss» oder «Swiss Made» tragen, wenn sie über ein Schweizer Uhrwerk verfügt, wenn dieses in der Schweiz eingeschalt wird und die Endkontrolle der Uhr in der Schweiz durchgeführt wird. Die Gesetzgebung in einigen Staaten, zum Beispiel in den USA oder Hongkong, geht aber viel weniger weit. Dies benachteiligt die Schweizer Hersteller, welche sich an strengere Bedingungen halten müssen und wollen und führt auch zur Verunsicherung der Konsumenten.
Interview: Peter W. Frey
«Swiss»-Regelung: Wo und wie kann die FH reagieren?
Nuancen
Solange auf den Uhren selbst nicht explizit der Begriff «Swiss» verwendet wird, kann die Fédération Horlogère (FH) als Interessenvertreterin der hiesigen Uhrenindustrie wenig ausrichten gegen Marken, die sich ein falsches Schweizer Mäntelchen umhängen. Anders sieht es bei Uhren aus, die ungerechtfertigt «Swiss» im Markennamen führen oder aufs Zifferblatt drucken lassen. Hier pocht die FH auf die Swiss-Made-Verordnung und den gesetzlichen Mindestschutz. Die Verordnung schreibt fest, dass in einer Swiss- oder Swiss-Made-Uhr ein in der Schweiz eingeschaltes Schweizer Uhrwerk ticken muss und die Endkontrolle der Uhr in der Schweiz zu erfolgen hat (siehe Interview oben).