Es war eine normale Stabübergabe ganz ohne grosses Theater oder grobe Enttäuschung, als SP-Präsidentin Christiane Brunner unlängst durch den Genossen Fehr ersetzt wurde. Und schon zu Beginn des Amtes war Brunner weder zur grossen Hoffnungsträgerin noch zur Heilsbringerin verklärt worden. Daran gemessen, hat sie einen erfolgreichen, soliden Job gemacht. Brunners SP-Präsidentschaft steht für eine Gelassenheit und eine Normalisierung bezüglich Frauen in Spitzenpositionen, die ziemlich neu sind.
Denn die Schweiz brauchte besonders lange, bis Frauen und fortschrittliche Kreise 1971 das Stimmrecht erkämpften. Entsprechend enthusiastisch wurden deshalb erste Mandatsträgerinnen gefeiert, und die Hoffnungen konzentrierten sich 1983 in der Person von Lilian Uchtenhagen. Die Ökonomin und SP-Nationalrätin gehörte zusammen mit Helmut Hubacher zur so genannten Viererbande, die in den Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre de facto die SP-Leitung innehatte. Als Bundesrat Willy Ritschard 1983 zurücktrat, nominierte die SP als einzige Kandidatin Uchtenhagen, die als erste Frau in die Landesregierung ziehen sollte. Die Ringier-Presse trommelte für Uchtenhagen, hoch waren die Erwartungen. Umso grösser war der Katzenjammer, als statt Lilian Uchtenhagen Otto Stich zum Finanzminister gewählt wurde. Zum Verhängnis wurden Uchtenhagen verschiedene Faktoren: Es gab nach wie vor die Ewiggestrigen, die gar keine Frau wollten. Es gab Parlamentarier, die keine Frau wie Uchtenhagen wollten, weil sie ihnen zu kämpferisch und zu intellektuell war. Es gab Parlamentarier, die keine Uchtenhagen im Finanzministerium wollten. Und dann gab es die weitsichtigen bürgerlichen Strategen, welche die erste Frau im Bundesrat aus den eigenen Reihen stellen wollten, um diesen Triumph nicht den Sozis überlassen zu müssen.
Uchtenhagen wechselte nach der Niederlage in die Privatwirtschaft, hatte diverse VR-Mandate inne, tauchte in der Öffentlichkeit aber kaum mehr auf. Was aber blieb, war ein enormer Druck, dass unbedingt eine Frau hermüsse. Als die FDP deshalb Elisabeth Kopp nominierte und Kritik an den geschäftlichen und testosteroninduzierten Eskapaden ihres Ehemannes Hans W. Kopp laut wurde, stellte sich ein Mechanismus ein, der lange nachwirken sollte: die Frauenimmunität.
Die berechtige Kritik an Herrn Kopp und der Umstand, dass Frau Kopp sich schon damals in Nibelungentreue vor ihren Mann stellte, wurden mit dem Argument abgeschmettert, nur eine Frau werde so kritisiert. Peter Hartmeier schrieb in «Politik und Wirtschaft» von «Gerüchten, die am Männerstammtisch fröhlich Urständ feierten», der Publizist Oskar Reck unterschob den Kritikern, sie hätten sich «auf den Mann geworfen, um die Frau zu treffen». Allerorten wurde erklärt, es werde eine Schmierenkampagne geführt, bloss weil die Kandidatin eine Frau sei. Wer sich an der «Schlammschlacht» beteiligte, wurde automatisch zum Frauenfeind, denn nochmals wollte man sich eine erste Bundesrätin nicht vermiesen lassen.
Eine vernünftige Debatte war nicht möglich, Kopp wurde mit Glanz und Gloria ins Amt gewählt und als erste Bundesrätin gemäss dem Kalkül der bürgerlichen Strategen zu einer Hoffnungsträgerin ersten Ranges. Bis sie sich zwischen Amt und Ehemann so verstrickte, dass sie am 12. Januar 1989 unter Tränen aus dem Amt scheiden musste.
In ihrem Buch «Kopp & Kopp» zieht Catherine Duttweiler das Fazit: «Die erste Bundesrätin ist nicht über ihr ‹kurzes Telefongespräch› gestolpert, wie sie selber noch immer glaubt, sondern über die mehrfache Irreführung von Volk, Parlament und Regierung.» Kopp wies jeglichen Fehler weit von sich und verpatzte auch ein mögliches Comeback als geläuterte ältere Staatsfrau. Stattdessen nimmt die Öffentlichkeit bis heute Akt um Akt im Abstieg des verschuldeten Ehepaars zur Kenntnis.
Der Mechanismus von Frauenimmunität und überschwänglicher Heilserwartung hielt aber auch nach Kopp vor.
Überschwang löste Beatrice Werhahn aus, die 1988 dank einem Formfehler im Testament Chefin der Skischuhfirma Raichle wurde. «Energisch hat sie das Zepter übernommen», wusste «Blick», «der Boss ist eine Frau», staunte bewundernd der «SonntagsBlick», zum «weiblichen Wirtschaftsstar» verklärte sie die «SonntagsZeitung», zur «Vorzeige-Patronne» kürte sie «Cash», und 1991 wurde Werhahn folgerichtig Unternehmerin des Jahres. Vier Jahre später war Raichle bankrott. Raichle-CEO und Werhahn-Gatte Franco Bianchi liess der VR-Präsidentin und Gattin kurz vor Schluss noch ein Darlehen zurückzahlen, was eine sehr schlechte Presse und einen Prozess nach sich zog, in dem die Bianchi-Werhahns letztes Jahr vorläufig freigesprochen wurden, derweil der Staatsanwalt in die Revision ging.
Zum Paradefall für Frauenimmunität und Überhöhung aber wurde das Expo.01-Projekt mit dem «Frauenpower-Duo» Jacqueline Fendt und Pipilotti Rist. Die Frauenillustrierte «Annabelle» etwa schalmeite: «1997 ist für die Frauen ein Triumphjahr. Als Paradebeispiel erachten wir die Expo.01.» Denn da schien eine moderne, erfolgreiche Managerin zusammen mit einer verrückten und erzkreativen Künstlerin die Schweiz neu zu erfinden.
Wer Fendt sprechen hörte, war be-geistert. Oder konsterniert. Der Schreibende erinnert sich an einen informellen Fendt-Auftritt vor der «SonntagsZeitungs»-Leitung, der Sympathie hätte schaffen sollen. Alle Anwesenden aber marschierten mit unguten Ahnungen von dannen – und dem Gefühl, dass Fendts Sprechblasen einer gründlichen Prüfung nicht standzuhalten vermöchten. Kritik allerdings war schwierig, denn sogleich tauchte der Vorwurf auf, wäre die Expo-Chefin ein Mann, würde ihre Arbeit nicht derart bekrittelt. Das Gegenteil war der Fall. Gerade weil Fendt und Rist als das grosse Hoffnungsträgerinnenduo und ihr Expo.01-Projekt als das ganz grosse visionäre Irgendetwas hochgejubelt wurden, galt Kritik als tabu und stand immer im Ruch frauenfeindlicher Neiderei, war Fendt- und Rist-Beleidigung.
Wäre Fendt ein Mann gewesen, die Kritik wäre früher und ungehemmter auf das Projekt niedergeprasselt; wäre Rist ein Mann gewesen, hätte man vielleicht früher die Fragen gestellt, ob sich die künstlerische Direktion als Teilzeitjob neben der Weiterverfolgung der privaten Künstlerkarriere erledigen lasse und was denn nun eigentlich zu erwarten sei. Kaum hätte sich der sonst so nüchterne NZZ-Mann Max Frenkel darauf eingelassen, einem Herrn Rist eine NZZ-Seite für eine hübsche, aber wenig aussagekräftige Collage zu überlassen, statt nach Auskunft zu verlangen, und nach Rists Abgang weder von «blauen Augen» zu berichten noch zu titeln «Schräger Vogel, sing doch weiter».
Denn Pipilotti Rist seilte sich noch rechtzeitig ab, derweil Jacqueline Fendt von den eigenen Leuten weggeputscht wurde, sodass der grosse Frauentriumph Expo.01 in einem Debakel endete.
Grossspurig begann auch ein anderes Unternehmen im Frauentriumphjahr 1997: «Hier ist ein Weltwunder geschehen», staunte selbst Ursula Koch, als sie in Thun zur SP-Präsidentin gewählt wurde. Aber nicht nur ein Weltwunder: «Wir feiern heute eine intergalaktische Premiere: Auf der ganzen Welt hat es noch keine Partei gegeben, die von drei Frauen geführt wurde.» Der Parteitag, erinnert sich Helmut Hubacher, jubelte minutenlang. Und noch euphorischer war das SP-Fussvolk, als die neue Präsidenten versprach, erst einmal eine Wertedebatte an der Basis zu starten, statt sich im Labyrinth der Berner Realpolitik zu verlieren.
Sechs Monate später war das intergalaktische Wunder Historie, Generalsekretärin Barbara Haering Binder verkrachte sich mit Koch und kündigte. Und auch die Wertedebatte wurde ein Flop und verpuffte im folgenfreien Palaver irgendwelcher SP-Sektionsstammtische. Präsidentin Koch fasste in Bern nicht nur nie richtig Tritt, sondern richtete ein Chaos an, das ihre Nachfolgerin Christiane Brunner in der «Sonntags-Zeitung» folgendermassen zusammenfasste: «Die Partei war tief in den roten Zahlen, Strukturen funktionierten schlecht, und es gab heftige interne Spannungen: Sekretariat gegen Präsidentin, Präsidentin gegen Fraktion. Kurz: alle gegen alle.» Koch tingelte den Sektionen entlang, zankte sich in Bern mit den Mitgenossen und warf dann den Bettel dermassen entnervt hin, dass man in politischen Belangen seither nie wieder etwas von ihr gehört hat. Bei Koch und dem intergalaktischen Wunder galt der SP-Jubel noch dem Einlösen von Emanzipationspostulaten und der Hoffnung, Frauen würden alles anders, ja besser machen. Derweil tauchte ausserhalb der SP plötzlich ein neuer Hoffnungstypus auf: die junge Frau.
Als 1998 die 36-jährige Esther Girsberger überraschend Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers» wurde, gab es sogleich die symbolische Rose der «Schweizer Illustrierten» für die «Powerfrau» und «Senkrechtstarterin». In der Tat: Gerade mal sieben Jahre Medienerfahrung hatte Girsberger vorzuweisen, dazu einen Doktor iur. und einen Korporalswinkel des freiwilligen Frauenmilitärs. Nicht nur die Branche staunte, dass eine so junge Frau Chefin eines grossen Blattes wurde; die Besetzung wirkte ähnlich kühn wie die Berufung von Rist zur Expo.01 und verschaffte dem «Tages-Anzeiger» Sympathie. Hinter den Kulissen war dann aber bald die Rede von Überforderung, und nach etwas mehr als einem Jahr hiess es, Girsberger trete wegen publizistischer Divergenzen zu-rück. Um gleich noch weiter hinaufzusteigen, nämlich zur weltweiten Kommunikationschefin von Novartis, ein Job, den Girsberger exakt einen Monat und vier Tage wahrnahm. Dann trat sie «aus persönlichen Gründen» zurück. Heute ist Girsberger Mutter, als Journalistin trat sie wieder ins Glied zurück und arbeitet in Teilzeit für die «SonntagsZeitung».
Fast zeitgleich mit Girsberger tauchte aus dem Nichts eine junge Halbtagesfinanzdirektorin aus Appenzell Inner-rhoden auf. Ruth Metzler affichierte allerorten, es sei der Jugend eine Chance zu geben und mit ihr werde ein neuer Stil im Bundesrat einziehen. Prompt wurde die Jugend gewählt. Ausschlaggebend waren drei Gründe: Erstens passte Metzler in den austarierten Kriterienkanon, der bezüglich Partei, Herkunftskanton, Region und damals auch Geschlecht die Bundesrats-Papabili massiv einschränkte. Zweitens führte sich ihre Konkurrentin Rita Roos so ungeschickt auf, dass ein regelrechter Alles-ausser-Roos-Effekt einsetzte. Drittens erhoffte sich die bürgerliche Rechte von der Coopers-&-Lybrand-
Juristin Metzler eine genehmere Politik als von der Linkskatholikin Roos.
Die Wahl Metzlers beruhte auf einigen Zufällen, aber auf keinem irgendwie gearteten Leistungsausweis. In bundespolitischen Belangen unbeleckt und an Lebenserfahrung nicht eben reich, konnte Metzler bestenfalls als Experiment durchgehen. Trotzdem trompetete der Medientross, man habe eine Hoffnungsträgerin. Eine Hoffnungsträgerin! Einen «politischen Frühling» verspürte die «Weltwoche», «frischen Wind» fühlte die BZ, doch schon nach nur hundert Tagen konstatierte der «Tages-Anzeiger» ernüchtert: «Frischer Wind ist laues Lüftchen.»
Kein Wunder, denn programmatisch hatte Metzler kaum etwas zu bieten. Und auch die «Hoffnung für die Jugend» blieb, was sie immer gewesen war: eine Nullformel. In Zeiten atomisierter Lebensstile gibt es «die Jugend» nicht mehr, schon gar nicht in politischen Belangen. So beschränkte sich Metzlers Innovation als Hoffnungsträgerin der Jungen darauf, dass sie im Bundesrat Gel-gestärkte Stirnfransen sowie sehr bunte Anzüge einführte. Politisch amtete sie als Sprachrohr ihrer Chefbeamten und mauserte sich nie zum schwergewichtigen Player. Ebenso zufällig, wie sie gewählt worden war, wurde sie wieder abgewählt – weil ein CVPler überflüssig war, wegen der Wahlreihenfolge und weil die dominierende Rechte von Wirtschaftsminister Deiss doch mehr Zuverlässigkeit erwartete.
Metzler war nie das brillante Ausnahmetalent, das sich trotz Jugend unbedingt aufgedrängt hätte, sondern sie war ein zufälliger kleinster gemeinsamer Nenner. Was alles kein Unglück wäre: Mediokre Bundesräte kommen und gehen. Was den Casus Metzler so ernüchternd macht, was jeden Frauenabgang zur Tragödie macht und was es so vielen Frauen in Spitzenpositionen verunmöglicht, unbeschwert zu agieren, sind all die Vorschusslorbeeren und Projektionen, ist der besinnungslose Jubel über «Hoffnungsträgerinnen», ist die Verklärung von weiblichem Top-Personal zu lichtgestalthaften «Powerfrauen».
Wenn etwas Hoffnung macht, dann ist es die tamtamfreie Wahl und Abwahl einer Christiane Brunner – und die Feststellung, dass Frauen in Spitzenpositionen nicht mehr zwingend eine grosse Sensation, sondern Normalität sind.