«Je höher die Zimmerpreise, desto nörgeliger die Gäste», sagt Hotelbesitzer Toni Mittermair. «Mir sind sympathische Gäste, die unserem Haus Wertschätzung entgegenbringen, lieber als ein grandioser Profit.» Etwas anderes würde zum «Victoria» in Glion VD auch gar nicht passen. Das leise Belle-Epoque-Hotel hoch über dem Genfersee lebt von der sehr persönlichen Ambiance. Die Gäste fühlen sich vom entspannten Lebensgefühl, von der herzerwärmenden Nostalgie und dem leicht exzentrischen Flair angezogen. Selbst russische Newcomer, die erst einal zwei Flaschen Château Cheval Blanc aufs Zimmer ordern, passen sich nach wenigen Tagen dem Esprit des Hauses an, wo guter alter Stil nie aus der Mode gekommen ist.
Das Besondere am «Victoria» ist, dass man trotz 68 Zimmern nicht den Eindruck hat, in einem Hotel zu wohnen. Mittermair, der das Haus vor drei Jahrzehnten erwarb, vermag jedem Gast das Gefühl zu vermitteln, in einem privaten Anwesen eingeladen zu sein, in dem der Hausherr für alles sorgt.
Seine 140-jährige Geschichte hat im Hotel Spuren hinterlassen, die nicht zugrunde renoviert wurden. Im Gegenteil: Es grenzt fast an ein Wunder, wie wohlbehalten das «Victoria» die Zeiten überdauert hat. Die Hallen und Salons sind voll von viktorianischen Kuriositäten, prächtigen Lüstern und goldgerahmten Spiegeln. Die Bar stammt aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, in den Fluren knarren die Holzdielen.
Kein Zimmer gleicht dem andern, jedes hat seinen eigenen Grundriss, seine spezielle Gestaltung – zu Preisen zwischen 270 und 420 Franken für ein Zimmer. Auch das Essen ist ein Genuss: Vom Wintergarten-Restaurant aus blickt man in den Park mit altem Baumbestand, und die französische Marktküche ist so gut, dass man es hier wochenlang aushalten könnte. Die Kellner bedienen freundlich und bleiben auch angenehm gelassen, wenn ein Gast Extrawünsche äussert. Probleme löst Toni Mittermair persönlich. Das kommt freilich selten vor: Das in Leder gebundene Gästebuch ist ein multikulturelles Zeugnis der Begeisterung von Reisenden aus aller Welt, auch von vielen jüngeren Besuchern. Es scheint so, als ob sie das «Victoria» als Hüter gewisser Grundwerte schätzten. Oder wie es der Patron sagt: «Je mehr Hotels im globalisierten Einheitslook erbaut werden, desto besser geht es dem ‹Victoria›.»
Zuozer Zauberberg. Der Trend, alte Gewohnheiten zu ändern, hat sich in vielen Fällen nicht bewährt. Da in den historischen Glanzzeiten des Schweizer Tourismus so viele Hotels gebaut wurden, gibt es hier und da auch geglückte Beispiele von Umwandlungen alter Hotelkästen in neue Traumpaläste. So gehört das «Castell» in Zuoz ästhetisch und atmosphärisch zum Besten, was die Berghotellerie derzeit zu bieten hat.
Die Empfangsdame checkt den Gast zügig ein, erklärt Details zum Haus und fragt, ob sie sonst noch etwas tun könne – die aufmerksame Art ist beispielhaft für die Mitarbeiter des Hotels. Ihre Worte klingen noch in den Ohren, wenn man bereits mit einem Drink in der Lounge sitzt – und staunt. An den Wänden hängen Fotografien der Kunsthappenings des Sprengstoffvirtuosen Roman Signer, wie er etwa auf der Wiese vor dem Hotel alte Sessel in die Luft jagt. Dazu muss man wissen, dass der Hotelbesitzer, der Zürcher Ruedi Bechtler, Kunstsammler ist. Seine Leidenschaft spiegelt sich in allen öffentlichen Räumen – auf vier Stockwerken verteilen sich ganz selbstverständlich über hundert Werke von Künstlern wie Pipilotti Rist, Fischli/Weiss, Carsten Höller oder Thomas Hirschhorn.
Dass sich in diesem Gesamtkunstwerk ein Gefühl der Gemütlichkeit einstellt, ist einerseits der Sensibilität von Bechtler zu verdanken, der, sich der Gefahr des Überdesigns bewusst, Stilbrüche zulässt. So dürfen der Speisesaal und die Hotelhalle weiterhin ihren verschnörkelten Gründerzeitcharme versprühen. Und anderseits beseelt das Direktionspaar Bettina und Richard Plattner-Gerber das Haus mit menschlicher Wärme.
Für die Zimmergestaltung wurden zwei Architekten engagiert, die einander perfekt ergänzten. Der Amsterdamer Ben van Berkel und der St. Moritzer Hans-Jörg Ruch richteten je 33 unkonventionell-lässige Zimmer ein. Auch der Hamam im wuchtigen Grundgemäuer ist nicht in dem sonst üblichen Wellnessstandard ausgestattet, sondern eine sinnlich erlebbare Skulptur.
Dass sich das «Castell» trotz gestalterischer Konsequenz nicht vorwiegend an reiche Kultursnobs wenden will, merkt man schon bei der Reservation: Die Zimmerpreise bewegen sich zwischen 220 und 470 Franken.
Well-Being in Adelboden. Andreas Richard ist jene Art von Hotelier, die das Berner Oberland braucht: bodenständig und modern, qualitäts- und selbstbewusst. Das Parkhotel Bellevue in Adelboden, das er mit seiner Schwester Franziska in dritter Generation führt, ist der Inbegriff eines soliden zeitgemässen Wellnesshotels für Normalverdiener. Kein Spa-Tempel, der den Besucher zum staunenden Statisten degradiert, sondern ein Ort mit gelebter Hotelkultur, hohem Entspannungsfaktor und gutem Gegenwert.
Das veraltete Hallenbad und die zu kleine Sauna, ein langjähriger Kritikpunkt, wurden eben erst total umgebaut. Dabei wurde die Saunalandschaft stark erweitert sowie das Hallenbad an den puristischen Stil des Spa-Bereichs mit Aussen-Solebad, Ruhepavillons und Behandlungsräumen angepasst. Die Therapeuten sind gut ausgebildet, die Treatments so genussfreundlich kalkuliert wie alles im «Bellevue»: Eine einstündige Massage kostet 85 Franken, der Kultwein Château d’Aiguilhe 2001 wird für bescheidene 75 Franken kredenzt.
Frischen Wind ins Haus brachte das Basler Architekturbüro Buchner Bründler, etwa mit einer neuen Leichtigkeit in den sogenannten «Privilege»-Zimmern und der Umgestaltung der einst fahlen Speisesäle in ein luftiges Restaurant, dessen Materialien Bezüge zur Bergwelt herstellen. Aus allen Fenstern blickt man auf eine Landschaft von berückender Schönheit.
Ein Nachfragerückgang wegen der Finanzkrise ist im «Bellevue» nicht zu spüren. «Die Gäste buchen jetzt jedoch sehr kurzfristig, nachdem sie gemerkt haben, dass sie die Krise persönlich doch nicht so hart trifft wie befürchtet», sagt Andreas Richard.
Stilvoll leben in Venedig. Nicht nur im Gebirge gibt es indes herausragende Hotels, die nicht die Welt kosten, sondern auch in vielen Städten. Doch: Wo es Gutes für wenig Geld gibt, mangelt es nie an Gästen. Wer beispielsweise in der stets lange im Voraus ausgebuchten Pensione Accademia in Venedig ein Zimmer reservieren will, fragt am besten zuerst an, wann ein Aufenthalt überhaupt möglich sei, und plant seinen Städtetrip danach.
Die venezianische Villa aus dem 17. Jahrhundert, die einst die russische Botschaft beherbergte, lässt sich nicht von Designtrends unter Druck setzen und ist dennoch eines der besten Hotels in der «Serenissima». Es punktet mit einer zeitlos unaufgeregten Privathausatmosphäre, alles wirkt entspannt, zugänglich und echt. Aus den 27 gepflegten Zimmern schaut man entweder auf den Canal Grande oder in einen der beiden pittoresken Gärten. Der Salon und der Frühstücksraum atmen lokale Geschichte, in den Fluren folgen einem die Blicke der Ahnen von den Ölbildern an den Wänden. Der Service mag nicht immer sofort zur Stelle sein, doch der Empfang ist kaum zu schlagen: Wenn man nach einem Jahr jeweils wiederkommt, wird man so selbstverständlich begrüsst, als wäre man nur kurz für einen Besuch in die benachbarte Galleria dell’ Accademia aus dem Haus gegangen.
Das Absurde an der Pensione Accademia ist der Umstand, dass die Zimmerpreise (zwischen 140 und 279 Euro inklusive Frühstück) für venezianische Verhältnisse harmlos sind, nämlich nicht teurer als dort, wo ohne jeden Anspruch Gäste empfangen werden. Und wo die Matratzen auf den Sperrmüll gehören.
Stadtoase in Paris. Seit Designhotels keine Marktnische mehr sind, sondern Mainstream, vermögen Hotels mit zelebrierter Gemütlichkeit einen hohen Glamourfaktor zu erreichen. Ein Musterbeispiel ist das «Caron de Beaumarchais», das von der Wirtschaftszeitung «Financial Times» als «Julia Roberts of hotels» beschrieben wurde: charmant, schön, witzig, freundlich und unangestrengt stylish.
Man muss allerdings gut aufpassen, um es zu finden: Wer von der Place des Vosges in westlicher Richtung durchs Marais-Viertel flaniert und in die schmale Rue Vieille du Temple einbiegt, kann glatt am Hotel vorbeilaufen. Die Fassade fügt sich in die umliegenden Bürgerhäuser ein, und abgesehen von einem Schaufenster im Stil eines Antiquitätengeschäfts deutet nichts darauf hin, dass sich hinter der Eingangstür eine kleine Traumwelt eröffnet, die sowohl den Nerv kunstsinniger Stadtbesucher als auch den Geschmack heimatloser Manager trifft.
Der diskrete Auftritt passt zum kultivierten Lebensstil, den das «Caron de Beaumarchais» und seine Besitzerfamilie verkörpern. Ein Cembalo aus dem Jahr 1792, ein antiker Kartenspieltisch, ein Marmorkamin, verschnörkelte Kerzenständer, Spiegel und Pendulen, Stoffe nach historischen Mustern sowie Möbel und Ölgemälde im Louis-XVI-Stil erzeugen die Anmutung eines gepflegten Pariser Stadthauses aus dem 18. Jahrhundert.
Geheimtipp auf Mallorca. Wer das im Dunstkreis der Krise schwelende Gerede vom Revival von Balkonien und Heimaturlaub nicht mehr hören kann, fliegt zum Beispiel nach Mallorca. Wie überall auf der Welt macht man auch hier die Erfahrung: Ein gutes Hotel muss nicht teuer sein – und ein teures nicht unbedingt gut.
Zur neuen Traumklasse der Haute Hôtellerie gehört das «Can Simoneta», eine Zivilisationsflucht für Fortgeschrittene, weit weg vom Alltag und zu vergleichsweise günstigen Zimmerpreisen ab 185 Euro. Die Anlage hoch über den Felsklippen der Ostküste inmitten einer Landwirtschaftszone strahlt hinter robusten Mauern jenen Mix aus Gemütlichkeit und Eleganz aus, den man auf Mallorca zu entdecken hofft, aber nur selten findet. Das Hotel besteht aus zwei hundertjährigen Gebäuden, deren Innenleben mit 18 Zimmern, Restaurant und Lounge-Bibliothek von Weiss- und Ockertönen geprägt wird. Im riesigen Garten begegnet man selbst bei voller Belegung – was meist der Fall ist – kaum anderen Gästen. Und im Restaurant mit mediterranem Flair wird zwar weiss aufgedeckt, doch es wirkt nichts künstlich aufgebrezelt.
Ob «Can Simoneta» oder «Caron de Beaumarchais», «Castell», «Victoria» oder «Parkhotel Bellevue»: Diese Häuser haben die Formel gefunden, um sich vom Durchschnitt ihrer Klasse abzuheben und ihren Gästen ein Verwöhnprogramm der Sonderklasse zu bieten.