Gleich zu Beginn des Films «Master Of The Universe» ist von Rechtsanwälten die Rede – alles sei abgesprochen und so in Ordnung. Vor welchen Reaktion fürchten Sie sich denn?
Das ist die falsche Frage. Ich hätte im Stile eines Michael Moore einen Film machen können, der über Banken ablästert – und alle liegen sich daraufhin in den Armen, haben grossen Spass daran und freuen sich über das, was wir immer schon wussten: Alle Banker sind Schweine. Aber damit ist niemandem geholfen.

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Weshalb haben Sie es nicht getan?
Weil ich auf Grund meiner Vita die Legitimität für diese Form der Kritik verloren habe. Ich kann nicht 25 Jahre in einer Branche arbeiten, gut verdienen – und mich dann umdrehen und sagen: Ihr seid alle doof! Das ist unglaubwürdig und unredlich zugleich.

Es werden im Film keine Banknamen genannt.
Das hat keinen juristischen Grund, sondern würde vom Wesentlichen ablenken: Hinter dem Film steht für mich eine gesellschaftspolitische Vision, die weit über den Tellerrand der Banken hinausgeht. Das ist kein Film über Banken, sondern ein Film über den Zustand einer Gesellschaft, die ihren Kompass verloren hat.

Trotzdem gehen Sie mit den Banken aber hart ins Gericht. Unter anderem wärmen Sie die These auf, dass Privatanleger an der Börse immer verlieren.
Das ist natürlich eine emotional aufgeladene Aussage. Aber ich kenne wirklich wenige Leute, die an der Börse wirklich Geld verdient haben.

Weshalb funktioniert das nicht?
Weil die Art und Weise der Börsengeschäfte heute nicht mehr viel mit Markt zu tun hat. Wenn Sie heute an der Börse Geld verdienen wollen, müssen Sie auf die Kursbildung Einfluss ausüben können. Ich meine das nicht in illegaler Form, sondern durch Marktmacht auf Grund der schieren Grösse. Oder Sie müssen über asymmetrische Informationsbildung, also über eigene Kanäle, verfügen – sonst funktioniert das nicht.

Keine Chance für Privatanleger.
Doch, natürlich. Aber es ist doch wie beim Roulettespieler, der sich an den Gewinn von 8000 Franken erinnert – den fünfmaligen Verlust von 2000 Franken aber verdrängt.

Sie sprechen im Film Derivat-Produkte an, die grundsätzlich sinnvoll sind, aber den falschen Personen verkauft worden sind.
Lassen Sie mich ausholen: Ich teile Bankprodukte in drei Kategorien ein. Unproblematisch ist das traditionelle Bankgeschäft, wie Sie und ich es aus der Vergangenheit kennen – dagegen ist nichts einzuwenden. Am anderen Ende des Spektrums steht aber der Hochfrequenzhandel: Wenn Reto Francioni, Chef der Deutschen Börse, in einem Interview eindringlich erklärt, was für eine tolle Sache das ist, kann ich diese Meinung nur nach Einnahme von bewusstseinsverändernden Drogen teilen. Der Hochfrequenzhandel erfüllt keine gesellschaftliche Funktion und kann deshalb verboten werden.

Tut man aber nicht. Weshalb?
Weiss ich nicht. Das müssen andere beantworten.

Das waren die beiden Extreme: Was ist mit der dritten Kategorie?
Das sind die von Ihnen angesprochenen Derivatprodukte. Im Grunde genommen etwas Tolles: Eine Fluggesellschaft weiss nicht, wie teuer das Kerosin in drei Monaten sein wird. Also sichert sie sich mit einem entsprechenden Kontrakt ab – und als Resultat wissen Sie, wie teuer Ihr Flugticket wird. Derivate sind nützlich? Ja. Aber die zentrale Frage ist: Wem verkaufe ich sie?

Gerade in Deutschland war der Aufschrei rund um Derivate nach der Lehman-Pleite riesig.
Ja.

Weil zu vielen Privatkunden eine solche «Kerosin-Absicherung» verkauft wurde?
Sie fokussieren sich bei dieser Frage zu stark auf die Finanzindustrie. Mir geht es um die Sprachlosigkeit zweier Systeme – der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft –, die völlig unterschiedlichen Logiken folgen: Beim einen ist das oben, was beim anderen unten ist. Deswegen können die nicht miteinander reden. Das wäre so, als ob sie Ptolemäus und Kopernikus an einen Tisch setzen und sagen: «Diskutiert mal das mit der Sonne.» Funktioniert nicht. Da brauchen sie einen Mediationsprozess.

Ptolemäus und Kopernikus ersetze ich mit Real- und Finanzwirtschaft.
Können Sie, ja. Aber mit der Zivilgesellschaft, also dem Volk auf der einen Seite, und der Wirtschaft auf der Gegenseite, funktioniert das noch besser. Uns wird doch immer gesagt: Das ist zu kompliziert für euch, die Politiker machen das schon. Bleib mal schön ruhig. Dabei sollten wir richtig schön wütend werden. Die Schweiz hat hierbei einen Wut-Level erreicht, den Deutschland noch erreichen muss. All die Abstimmungen und Diskussionen hierzulande beweisen doch, dass Wut auch eine positive Kraft entfalten kann. Ich beneide die Schweiz darum.

Warum sind ausgerechnet die nach Klischee so lauten Deutschen in diesem Punkt derart leise?
Weil die Deutschen ein anderes Beharrungsvermögen haben. Die wollen in Ruhe gelassen werden. Kommt hinzu, dass wir eine Regierung haben, die uns laufend das «Gefühl des Ohrensessels» vermitteln will. Alles unter Kontrolle. Und man fragt uns: Wo ist das Problem?

Heisst für Sie: Nie mehr in die Finanzbranche?
Das will ich nicht ausschliessen.

In welchem Bereich?
Ein Ansatz ist der, dass Banken bei der Kreditvergabe faul und gierig geworden sind. Es sind nicht mehr Menschen, die Anträge abwickeln, sondern reine Fabriken: Oben werden Zahlen eingefüllt – und unten wird Ihnen dann ein Kredit bewilligt oder abgelehnt, beispielsweise abhängig davon, ob Sie auf der «richtigen» oder «falschen» Strassenseite wohnen. Lösen Sie sich von der Idee, dass hier Menschen involviert sind. Vor diesem Hintergrund sind in Grossbritannien als Gegenreaktion sehr viele Nichtbanken entstanden, die sich mit speziellen Finanzierungen beschäftigen: Fünf Biochemiker und fünf Banker gründen beispielsweise ein Finanzierungstool für biochemische Startups. So etwas finde ich spannend.

Lesen Sie im ersten Teil des Interviews: Rainer Voss über Reichtum, die Parallelwelt der Investmentbanker und die Suche der Banken nach dem verlorenen Wertekanon. Filmstart von «Master Of The Universe» in der Schweiz ist am 28. November.