Der Medienandrang war gewaltig, als die Swisscom Mitte Mai zur Probefahrt im Zürcher Westen einlud. Erstmals war auf Schweizer Strassen ein selbststeuerndes Auto unterwegs. Übervorsichtig fuhr es, manchmal ruckartig, aber es fuhr ohne Fahrer. Zwar hat die Swisscom mit der Entwicklung des VW Passat selber nichts zu tun (die Technik stammt von der Universität Berlin), aber es gelang ihr damit, ein Zukunftsthema zu besetzen. Denn das Auto wird gerade neu erfunden. In naher Zukunft ist das Fahrzeug zugleich der Chauffeur, während sich die Passagiere entspannt unterhalten.
Wie wichtig das Thema ist, zeigte die Consumer Electronics Show in Las Vegas Anfang Jahr. Fast ein Dutzend Autohersteller waren präsent und zeigten Innovationen, unter anderem selbstlenkende Fahrzeuge. Audi liess einen A7 Sportback über 900 Kilometer nach Las Vegas fahren, Mercedes führte das futuristische Konzeptauto F 015 Luxury in Motion vor. Dieses bietet nicht nur autonome Fahrkünste, sondern einen salonähnlichen Innenraum mit drehbaren Sitzen und rundum verbauten Displays, welche die Passagiere via Gesten und Eye Tracking steuern.
Die Serienfertigung dieser Vision liegt noch in der ferneren Zukunft, doch Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, bringt die Entwicklung treffend auf den Punkt: «Das Auto wächst über seine Rolle als Transportmittel hinaus und wird endgültig zum mobilen Lebensraum.» Und Google schickt schon seit zwei Jahren selbstgesteuerte Testfahrzeuge durch die Strassen Kaliforniens.
Apps erobern das Cockpit
Kein Zweifel: Der digitale Alltag hält nun auch im Auto Einzug. Pionier ist Microsoft, deren Windows Embedded Automotive Vorläufer dieser Entwicklung war. 2007 führte Ford das auf Windows basiernde System Sync ein, welches das Mobiltelefon mit dem Auto vernetzte. Die aktuelle Version Sync 3 baut neu allerdings auf das Betriebssystem QNX des Handyherstellers Blackberry. In der Pole Position im Rennen um die Vorherrschaft im Cockpit sind aber nun Apple und Google. Letztes Jahr hat Apple am Autosalon in Genf das System CarPlay vorgestellt, dem 34 Autohersteller ihre Unterstützung zugesagt haben. Viele davon fahren zweispurig und setzen zugleich auf Android Auto.
CarPlay und Android sind vom Konzept her ähnlich. Sie bringen Inhalte des Smartphones auf das Cockpit-Display. Allerdings sind die Benutzeroberflächen der Infotainment-Systeme oft wenig intuitiv. Die Apps laufen auf dem Smartphone, das lediglich den Monitor des Bordsystems nutzt und dafür per Kabel (bei Apple auch drahtlos) verbunden ist. Die Steuerung der Apps erfolgt per Finger, Sprachbefehl und je nach Automodell auch über die Lenkradtasten.
Trotz der grossen Unterstützung fahren beide Projekte noch auf der Kriechspur. Mercedes, Volvo und Ferrari kündigten schon für 2014 Automodelle mit CarPlay an, als Erster war der italienische Sportwagenbauer mit dem FF und dem California T am Start. Aber noch immer ist das Angebot von CarPlay sehr überschaubar. Hat man ein iPhone 5 oder 6 mit dem System verbunden, stehen Apples Anwendungen iTunes, Maps, iMessage und Podcast zur Verfügung sowie in der Schweiz die Audio-Anwendungen Spotify, Stitcher und Umano.
Stärken und Schwächen
Bei unserem Test in einem California T zeigte CarPlay seine Stärken und Schwächen. Die Apps auf dem Touch-Display im Dashboard arbeiten in gewohnter Zuverlässigkeit, sofern sie per Finger oder über die Tasten am Lenkrad des Ferraris gesteuert werden. Für die ablenkungsfreie Bedienung ist Sprachassistent Siri zuständig, der im Test allerdings mehr durch Kapriolen als Können auffiel. Statt ein Gespräch zu einem Kontakt im Adressbuch aufzubauen, wollte er zu dessen Wohnort navigieren, und in der Musik-App peilte Siri statt einen gewünschten Song der Rolling Stones einen Wikipedia-Artikel zur Band an.
Dennoch ist Thomas Emmisberger, Verkaufsdirektor beim Ferrari-Händler Auto Pierre Sudan in Zug, von der vernetzten Lösung überzeugt: «Die Bedienung über die bekannte Benutzeroberfläche mit grossen Symbolen ist gelungen, und die Karten sind im Gegensatz zu einer fest eingebauten Navigationslösung immer aktuell.»
Android am Start
Android Auto hat Google erst im März lanciert, erste damit ausgerüstete Fahrzeuge sind dieses Jahr zu erwarten. Bereits zu haben ist das System wie auch CarPlay als Einbau-Kit. Android Auto funktioniert nur mit neuen Smartphones und der Android-Version 5.0 (Lollipop). Hat man auf dem Handy die App Android Auto installiert, stehen auf dem Dashboard Google Maps samt der Navigationsfunktion Directions sowie Verkehrsinfos zur Verfügung. Man kann händefrei telefonieren, das Gerät per Tasten und Sprachbefehl steuern und über ein Dutzend Apps nutzen, darunter auch die Messaging-Dienste Skype und Threema.
Glaubt man den Zahlen der Marktforscherin IHS Automotive, wird sich das Smartphone-Duell Google versus Apple auf dem Armaturenbrett fortsetzen. Demnach sollen bis 2020 rund 37 Millionen Autos mit CarPlay ausgerüstet sein und 31 Millionen mit Android Auto. Die zögerliche Umsetzung durch die Autohersteller setzt aber ein Fragezeichen hinter diese Prognose. Entwicklungszyklen in der Fahrzeugindustrie sind länger als in der IT, Autohersteller fürchten ausserdem die Vorstellung, dass Computerkonzerne indirekt bei der Entwicklung mitreden.
Sicher werden die zwei Giganten das Feld nicht unter sich aufteilen können. In China, dem grössten Markt, hat die führende Suchmaschine Baidu Anfang Jahr die Infotainment-Plattform CarLife angekündigt, einige Autobauer setzen zudem auch auf die Technik MirrorLink, die auf offenen Standards basiert. Damit lassen sich geeignete Smartphones, darunter viele Android-Modelle, per Kabel mit dem Bordsystem des Autos verbinden, um ausgewählte Apps auf dessen Display zu spiegeln. Als einer der ersten Hersteller hat Skoda die MirrorLink-Technologie im Modell Fabia vorinstalliert.
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