Tria statt Savona. Diese Personalrochade liess beinahe einen ganzen Kontinent aufatmen. Extrem war die Erleichterung auch an den Märkten, als klar war, dass der strikte Euro-Gegner Paolo Savona nicht das so wichtige Amt des italienischen Finanz- und Wirtschaftsministers in die Hände bekam.
Savona hatte die Gemeinschaftswährung einen «deutschen Käfig» genannt. Giovanni Tria hingegen, und das hörte man in Brüssel, Berlin oder Paris viel lieber, schlug moderate Töne an. Man wolle im Euro bleiben, liess der neue italienische Superminister direkt nach Amtsantritt verlauten.
Tria wird keinen Sparkurs fahren
Wer sich die Vita und vor allem die Werke des 69-Jährigen jedoch anschaut, weiss aber sofort, dass auch er keinen Kuschelkurs in Sachen Euro fahren wird. Italiens neuer Wirtschafts- und Finanzminister ist Anhänger einer defizitfinanzierten Fiskalpolitik. Hohe Schulden der Vergangenheit würde er am liebsten von der Notenbank tilgen lassen, mithilfe der Geldpresse.
In gleich mehreren Aufsätzen forderte Tria eine koordinierte und vor allem kraftvolle Fiskal- und Geldpolitik auf europäischer Ebene. Bisherige Initiativen würden nicht ausreichen, um die Euro-Krise endgültig abzuhaken. Der Juncker-Plan zur Ankurbelung der Investitionen sei viel zu klein.
Hier müsse ein stärkerer Konjunkturimpuls her. Und auch die Geldpolitik müsse stärker helfen. Bei den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) müsse man überlegen, ob die aufgekauften Schuldtitel den Staaten nicht komplett erlassen werden können.
Sympathie für umstrittenes Instrument
Anfangen könne man schon mal mit Anleihen, die zur Finanzierung von Investitionen von den europäischen Ländern herausgegeben werden, schreibt Tria. Der bisherige Kurs, durch Sparen und Masshalten wieder zu soliden Staatsfinanzen zu kommen, habe nicht funktioniert. «Wir müssen das Tabu der Schuldenmonetarisierung durch die Notenbank überdenken, um den Euro zu retten», ist sogar einer seiner Aufsätze überschrieben.
Unter Experten ist dieses extremste aller geldpolitischen Instrumente als Helikoptergeld bekannt. Die Notenbanken drucken Geld, das sie mit Hubschraubern über der Wirtschaft oder den Regierungen abwerfen, um die Ökonomie wieder flott zu bekommen.
Tria wärmt eine Idee auf, die 2016 schon einmal die Gemüter derhitzte. Als scheinbar nichts helfen wollte, um die Inflationsrate ieder nach oben zu bekommen, adelte selbst EZB-Präsident Mario Draghi das Konzept des Helikoptergeldes auf einer Pressekonferenz als «sehr interessant».
Dreister Vorstoss
Die Regierungskoalition von rechtspopulistischer Lega und Fünf-Sterne-Bewegung in Italien hatte die Idee vom Helikoptergeld ins Spiel gebracht, als sie unter Missachtung sämtlicher europäischer Verträge in Erwägung zog, bei der EZB einen Schuldenerlass von 250 Milliarden Euro zu beantragen.
Der dreiste Vorstoss wurde von den europäischen Partnern in seltener Einigkeit von Finanzministern und Währungshütern postwendend abgelehnt und tauchte im offiziellen italienischen Regierungsprogramm später nicht auf.
Werbung für Idee
Nun könnte Italiens neuer Superminister Werbung für die Hubschrauberidee machen. «Ich stimme überein, dass die Staatsschulden derzeit die grösste Gefahr für den europäischen Zusammenhalt sind», sagt Jan Körnert, Ökonom an der Universität Greifswald. Italien sei das Land, das durch die vom Euro erzeugten Zinssenkungen am meisten profitierte.
«Hätte Italien die eingesparten Zinsen zur Schuldentilgung verwendet, wäre es 2012 schuldenfrei gewesen», sagt Körnert. Stattdessen stehe Italien nun vor einem riesigen Schuldenberg, weil Politiker versagten. Körnert moniert, dass von europäischer Seite dem Schuldenmachen kein Einhalt geboten werde. Juncker habe sogar davor gewarnt, sich in italienische Belange einzumischen, weil man schon den Griechen in der Schuldendebatte ihre Würde geraubt hätte.
Schwere Verteilkämpfe in Sicht
Körnert sieht mit dem neuen Superminister in Italien auf Europa schwere Verteilungskonflikte zukommen. «Am Ende geht es doch offensichtlich immer wieder darum, über verklausulierte Argumente von anderen Geld zu bekommen.» Es müsse für jeden, der 20 Jahre lang mehr Geld ausgegeben habe, als es seinem wirtschaftlichen Potenzial entsprach, nun spürbar sein, was auf solch künstlich erzeugten Wohlstand folgt – nämlich hartes Sparen, sagt Körnert.
Doch von Sparen hält Italiens Superminister nicht sehr viel. Vielmehr solle die EZB einspringen. Der üppige Geldsegen könnte zwei grundlegende Probleme der Währungsgemeinschaft auf einen Schlag lösen. Die zusätzlichen Euro, etwa investiert in die Infrastruktur, wirken wie ein Konjunkturprogramm.
Inflation könnte steigen
Trotz der höheren Ausgaben würde das kostenlose EZB-Geld weder die Verschuldung des Staates noch die der Konsumenten erhöhen. Mehr Geld dürfte auch die Inflation wiederbeleben. Die Kernrate der Teuerung, also die Inflation ohne die volatilen Energie- und Lebensmittelpreise, liegt derzeit bei gut einem Prozent, also deutlich unter dem EZB-Ziel von nahe zwei Prozent.
Den Anhängern der Entschuldung durch die Notenpresse kommt entgegen, dass die EZB bereits der grösste Gläubiger der Euro-Staaten ist. Seit mehr als drei Jahren kaufen die Währungshüter Staatsanleihen. Schuldtitel von mehr als zwei Billionen Euro haben die Notenbanker in ihren Büchern, darunter Bundesanleihen im Volumen von knapp 486 Milliarden Euro, französische Titel in Höhe von fast 400 Milliarden Euro oder italienische Papiere von fast 345 Milliarden Euro.
Sollte die EZB Italien diese Schulden erlassen, wäre der Stiefelstaat immerhin 15 Prozent seiner Verbindlichkeiten los. In Deutschland würden die Schulden um ein Viertel fallen, in Spanien um ein Fünftel. Grösster Profiteur wären die Niederländer, die auf einen Schlag 26 Prozent ihrer Schulden erlassen hätten.
Zurzeit noch Gedankenspiele
Noch allerdings sind das blosse Gedankenspiele. Denn der EZB hat die Schuldenfinanzierung gesetzlich verboten. Und so rechnet auch kein Experte unmittelbar damit, dass die Währungshüter die Motoren anwerfen, um Geld über den Staaten niedergehen zu lassen. Doch in der EZB wird man die Ernennung des neuen italienischen Superministers weit weniger entspannt als an den Finanzmärkten sehen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» mit dem Titel: «Die wirre Ökonomie des neuen italienischen Finanzministers».