Diese hoch komplexe Armbanduhr kann mehr als nur die Zeit anzeigen. Viel mehr sogar. Ausserdem besticht sie durch ein bei der Schaffhauser Manufaktur bisher nie gekanntes Mass an Individualität. Doch alles schön der Reihe nach, denn hinter diesem Opus technicum stehen summa summarum nicht weniger als zehn Jahre Entwicklungsarbeit. Das Ende aller technischen, wissenschaftlichen und uhrmacherischen Mühen markiert ein doppelseitiges Œuvre fürs Handgelenk, welches der unwiederbringlichen Zeit ausdrucksstarke Gesichter verleiht.
Von vorne dezent und bescheiden ...
Bei aller inneren Komplexität präsentiert sich der tickende Newcomer von vorne betrachtet eher dezent und auch relativ bescheiden. Abgesehen natürlich von dem nachgerade gewaltigen, linksseitig in einem extrem markanten Zifferblattausschnitt rotierenden Tourbillon zur Kompensation negativer Gravitationseinflüsse.
Mit seinem Durchmesser von rund 18 Millimetern lenkt der Drehgang die Blicke beinahe magisch auf sich. Beim Betrachten des Springenden Sekundenzeigers dürfte manch einer stutzig werden. So etwas erinnert heutzutage an die verbreiteten Quarzuhren.
Doch Vermutungen solcher Art gehen gänzlich ins Leere. Beim Kaliber 94900 handelt es sich um Mechanik in Reinkultur. Den akkuraten Sekundensprung verantwortet eine innovative Konstantkraft-Hemmung. Dieses aufwendige System wirkt dem im Laufe der Zeit kontinuierlich nachlassenden Zugfeder-Drehmoment und dem damit zwangsläufig einhergehenden Sinken der Unruh-Amplitude entgegen. Im Falle dieses Handaufzugwerks erhält das Schwing- und Hemmungssystem über 48 Stunden hinweg eine weitgehend gleiche Energiezufuhr. Diese Gleichförmigkeit dient selbstverständlich der Ganggenauigkeit. Wie ausgiebige Messungen zeigen, bewegt sich die Präzision im engen Spektrum der amtlichen Chronometernorm. Wie in guten alten Zeiten vollzieht die riesige Unruh mit variablem Trägheitsmoment samt der in eigenen Ateliers geformten Breguet-Spirale stündlich 18000 Halbschwingungen. Spätestens nach gut 80 Stunden führt am manuellen Spannen des Federspeichers kein Weg vorbei. Aber die grosse Gangreserveanzeige zwischen 4 und 5 weist rechtzeitig auf die Erfordernis des energiespendenden Drehens an der Krone hin.
Neben dem zentralen Zeigerpaar für die Stunden und Minuten findet sich unterhalb der 12 ein zweites, umrahmt von einer 24-Stunden-Indexierung. Vorschnell könnte man hier auf die Indikation einer zweiten Zonenzeit schliessen. Dem dürfte in aller Regel die Stellung der Zeiger widersprechen. Ausserdem haben die Designer per Aufdruck klipp und klar formuliert, worum es sich handelt: Eine Anzeige der Sternzeit (siehe Kasten).
... zum Geheimnis auf der Rückseite
Der uhrmacherische Aufwand, sowohl Sonnen- wie Sternzeit mit rein mechanischen Mitteln darzustellen, erklärt sich spätestens nach dem Umdrehen des 46 Millimeter grossen und 17,5 Millimeter dicken Portugieser-Gehäuses. Die Rückseite bietet durch den kunstvoll gestalteten Sternenhimmel in der Tat ein echtes Aha-Erlebnis. Logischerweise präsentiert sich das Himmelsschauspiel von Ort zu Ort unterschiedlich. Deshalb offeriert IWC ihr astronomisches Spitzenmodell ausschliesslich in individualisierter Form. Nach Unterzeichnung des Kaufvertrags und Festlegung der geographischen Koordinaten berechnet Professor Ben Moore, aktuell Inhaber des ehemaligen Einstein-Lehrstuhls an der Universität Zürich, das rückwärtig abgebildete Firmament exakt so, dass es mit der Realität über dem gewünschten Ort übereinstimmt.
Fortan können Wolken die Freude am Studium der Sternbilder nicht mehr trüben. Damit endet die Kundenorientierung keineswegs. Sofern gewünscht, führt IWC die Sterne ganz oder teilweise in Super-Luminova aus. Das lässt sie nachts leuchten. Bei den Beschriftungen ist der Kunde einmal mehr König. Zwei polarisierende Scheiben unter dem natürlich in Sternzeit-Tempo rotierenden Geschehen lassen den Taghimmel grau, den der Nacht in dunklem Blau erscheinen. Während die auf dem Saphirglasboden fix verewigte gelbe Zone den Horizont des glücklichen Eigentümers markiert, bildet eine rote Linie die Ekliptik, also die Drehung der Sonne im Kontext der Sterne, ab. Zudem zeigt der tickende Tausendsassa rückwärts die natürlich auf den Wohnort bezogenen Zeiten des Sonnenauf- und -untergangs und dazu nochmals die mittlere Sonnenzeit und die Sommerzeit (DST) an.
Zum exakten Einstellen braucht es ein Ewiges Kalendarium der besonderen Art. Es stellt allein die Zahl der Tage seit Jahresbeginn sowie die Jahre des Schaltjahreszyklus dar.
Ohne die geschickten Hände eigens geschulter Handwerker bliebe alles nur Wunschdenken. Mehr als 520 Komponenten benötigt ein spezialisierter Uhrmacher für die Montage eines einzigen Uhrwerks. Dass solch ein himmlisches Meisterwerk seinen Preis besitzt, mag sich am Ende ganz von alleine verstehen. 750000 Franken kostet ein Exemplar der Portuguese Sidérale Scafusia. Dabei spielt es keine Rolle, ob die opulente Schale aus Platin, Gold, Titan oder vielleicht auch nur edlem Stahl besteht. Auch die Zifferblattfarbe ist wählbar. Und wer es ganz reduziert möchte, bekommt die vorderseitige Scheibe, vor der die Zeitzeiger unterschiedlich schnell ihre Runden drehen, selbstverständlich auch ohne Guckloch. Vive la discrétion!
Nach der Kaufentscheidung heisst es übrigens, Geduld aufbringen. Die Wartezeit beträgt etwa ein Jahr. Aber gemessen an den beinahe unendlichen Zeitspannen im fernen Universum ist das ja so gut wie nichts.
Die sechs Väter der Sidérale Scafusia
(v.l.n.r. Stefan Brass: Chef-Uhrmacher IWC, Thomas Gäumann, Entwicklungschef IWC, Stefan Ihnen: Technischer Direktor IWC)
(v.l.n.r. Mario Klein: Produktmanager IWC, Jean-François Mojon: Designer und Entwickler, Ben Moore, Astro-Physiker, Uni Zürich, IWC)
Sternzeit: Fast vier Minuten kürzer als der Sonnentag
Der kleine Unterschied
Wie die mittlere Sonnenzeit, nach der unser tägliches Leben abläuft, ist auch der Sterntag in 24 Stunden unterteilt. Allerdings weisen beide Tag-Typen eine unterschiedliche Dauer auf. Der mittlere Sonnentag währt 86400 Sekunden und bemisst die durchschnittliche Zeit der Sonne für zwei aufeinanderfolgende Meridiandurchgänge. Hingegen bezieht sich ein siderischer Tag auf einen Fixpunkt am Himmel, den sogenannten Frühlingspunkt. Der Sterntag beschreibt ergo eine komplette Umdrehung der Erde um ihre Achse. Weil Mutter Erde zudem auch noch einen Bogen um die Sonne beschreibt, ist ein mittlerer Sterntag um 3 Minuten und 56,555 Sekunden kürzer als ein Sonnentag. Die Präzision des Räderwerks für die Sternzeit lässt die Indikation im Laufe eines Jahres maximal um 11,5 Sekunden von der astronomischen Norm abweichen.