Jeffrey G. Katz kam 1955 im kalifornischen Napa Valley zur Welt. Nach seinem Studienabschluss an der Stanford University und dem Massachusetts Institute of Technology nahm seine Karriere bei American Airlines während 17 Jahren einen gradlinigen Verlauf, wobei er sich alle Kompetenzen erwarb, die in seiner neuen Funktion an der Swissair-Spitze wichtig sind. Jeffrey Katz ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Die Erwartungen sind gigantisch. Jeffrey G. Katz, 42, ab Januar 1998 Chief Executive Officer der Swissair und bis dahin Chief Operating Officer, soll den Flugbetrieb der SAirGroup in kurzer Zeit wieder in die schwarzen Zahlen führen, was möglicherweise bereits in diesem Geschäftsjahr erreicht wird - ein volles Jahr früher, als Philippe Bruggisser geplant hatte. Er soll bei der nationalen Airline eine neue Kultur etablieren. Er soll den Betrieb ins deregulierte Zeitalter führen, ohne dass dieser dabei Schaden erleidet. Und über allem steht der langfristige Anspruch, die Swissair so zu stärken, dass sie als unabhängiges Unternehmen überlebt.
In Anbetracht der jüngeren Geschichte der Swissair, aber auch der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen könnte man glauben, der arme Mensch müsse von der Last der Verantwortung übermannt sein, von Selbstzweifeln geplagt, ob er dem grossen Anspruch genügen kann. Doch nichts da: Jeffrey Katz ist guter Dinge. An der Wand in seinem Büro im Swissair-Hauptquartier Balsberg hängt ein Bild mit einem chinesischen Schriftzeichen. Das, sagt Katz, sei eine Transkription seines Namens ins Chinesische. «Kat-su» besagt das Zeichen - und das heisst auf deutsch Sieg.
«Ich gewinne gerne und oft», erklärte Jeffrey Katz kurz nach seinem Amtsantritt seinen Mitarbeitern via «SAirGroup News». Im Grunde genommen versteht er den schweizerischen Pessimismus nicht so recht: «Als in Amerika bekannt wurde, dass ich zur Swissair gehen würde, gratulierten mir viele Leute aus dem Reisebusiness. Das sei das beste Unternehmen der Branche.» Das glaubt auch er. «Die Swissair», postuliert Jeffrey Katz, «hat gute Aussichten, eine grosse kleine Airline zu sein.» Probleme, wie sie die Swissair habe, hätten alle Airlines. Aber: Bei der Swissair gebe es genügend grundlegende Faktoren, die besser seien - vom Streckennetz über die Qualität des Personals, den Zustand der Finanzen und der Flotte (Swissair hat eine der jüngsten Flotten aller Airlines) bis zur Qualität des Heimatflughafens.
Vor allem wehrt sich Katz gegen das Argument, der schweizerische Heimmarkt sei viel zu klein, um eine weltweit operierende Fluggesellschaft zu alimentieren. Es komme dabei nämlich nicht auf die Einwohnerzahl innerhalb eines nationalen Territoriums an, sondern auf das Einzugsgebiet der Verkehrsdrehscheibe einer Airline, in der Fliegersprache «Hub» (Nabe) genannt. «Es gibt auch in den USA kaum einen Hub, der einen grösseren Markt bedient», erklärt Jeffrey Katz.«Wichtig ist hingegen, dass wir auf unserem Hub Zürich Kloten einen möglichst hohen Marktanteil haben. Delta Airlines schluckt auf ihrem Hub in Dallas 90 Prozent des Verkehrs, United Airlines in Chicago 70 Prozent.» In diese Grössenordnungen möchte Katz auch Kloten führen. Dies freilich nicht kraft irgendeiner Monopolstellung, wie sie im europäischen Fluggeschäft während Jahrzehnten üblich war: «Wir müssen uns dieses Geschäft verdienen, indem wir gute Qualität, guten Service, ein gutes Network zu einem Preis anbieten, den der Markt schluckt.» Das könnte geradezu als Swissair-Programm für den deregulierten europäischen Markt gelten.
Und wie weit, Mr. Katz, ist die Realität noch von diesen Erwartungen entfernt? «Wir sind auf gutem Wege.» Mit den diversen Kostensenkungsprogrammen der letzten Jahre wurde in der Tat ein Grundstein gelegt. «Ein gezieltes Marketing mit entsprechender Preisdifferenzierung wurde schon unter Führung von Philippe Bruggisser begonnen. Aber das braucht alles Zeit.» Um die Lohnstruktur der Swissair in den Griff zu bekommen, gibt sich Jeffrey Katz zwei bis drei Jahre. Für wichtiger hält er aber jetzt, von der defensiven Strategie der Kostensenkung zur Offensive überzugehen. «Jetzt müssen wir in die Engineering-Phase eintreten, am Produkt und an den Kundenbeziehungen arbeiten. Wenn wir eine Auslastung (seat load factor) von 70 Prozent erreichen bei Kosten pro Sitzkilometer von sieben Rappen - und das bei marktgerechten Preisen -, dann sind wir über dem Berg und können zu einer nachhaltigen Entwicklung übergehen.» Den Auslastungsfaktor hat die Swissair annäherungsweise erreicht; die Kosten pro Sitzkilometer sind in den letzten Jahren von elf auf neun Rappen gesenkt worden, und die sieben Rappen von Katz sind in Reichweite. Für sein Revitalisierungsprogramm veranschlagt Jeff Katz drei bis fünf Jahre.
Wohin soll nun die nachhaltige Entwicklung gehen? Katz will sich auf die grossen Märkte und die Märkte mit grossem Wachstum konzentrieren. Bei den Langstrecken stehen für ihn also eindeutig Nordamerika und Asien im Vordergrund. Und um den «Hub» Zürich Kloten wirklich fruchtbar zu machen, ist auch das europäische Streckennetz extrem wichtig. Der Ausbau der Frequenzen in Kloten auf vier Anflugwellen dient diesem Zweck. Auf die Frage, ob die Swissair nicht schon wegen ihrer relativen Kleinheit gegenüber den grossen europäischen Konkurrenten British Airways, Lufthansa und Air France dazu verurteilt sei, sich als Nischenplayer zu betätigen, reagiert Katz mit Ironie: «Natürlich sind wir ein Nischenplayer. Wir bedienen Nischen wie New York, Tokio oder Bangkok.»
Das grösste Asset der Swissair, und wenn er dieses erwähnt, setzt Jeffrey Katz eine Swissair-Kappe auf und strahlt über das ganze Gesicht, ist der Name Swissair. «Das ist ein Superlabel, ein Killer-Brand», schwärmt er. Am liebsten würde er die rote Fahne mit dem weissen Kreuz patentieren lassen, «dann stünde auf jeder Fahne, die jemand aufhängt, das Swissair-Logo». Und unsere Patrioten würden rotieren. Richtig ist freilich, dass die Swissair nach wie vor und allen Turbulenzen zum Trotz ein nahezu unbeschädigt gutes Image hat. Jüngstes Beispiel: eine Umfrage unter den Lesern des deutschen Wirtschaftsmagazins «Capital». Die Swissair belegt unter den europäischen Airlines deutlich den ersten Platz, gefolgt von der Lauda Air und - das dürfte die Manager der Quality alliance zwischen Swissair, AUA, Delta und Singapore besonders freuen - der Austrian Airlines. Und noch schöner: Im interkontinentalen Vergleich gerät die Swissair zwar auf Platz zwei. Aber: An erster Stelle steht Partner Singapore Airlines.
Und genau das ist der Punkt: Die Swissair und ihre Partnergesellschaften müssen eine Produktequalität anbieten, für die die Kunden mehr zu zahlen bereit sind. «Einerseits sind wir in jedem Preissegment der Konkurrenz ausgesetzt, wir können nicht einfach teurer sein», postuliert Katz, «aber wir können mit einem qualitativ höherwertigen Produkt einen grösseren Anteil an Kunden anlocken, die bereit sind, etwas mehr zu zahlen.» Um das zu erreichen, ist neben dem optimalen Network, den Selbstverständlichkeiten wie Sicherheit und Pünktlichkeit, kurzen Ckeck-in-Zeiten und gutem Service eine ganze Palette von Angeboten nötig, die das Produkt Swissair von den Konkurrenten abhebt.
Ein Schritt in diese Richtung ist die derzeit versuchsweise eingeführte Bordverpflegung auf biologischer Basis - ein Programm, das noch nicht die Handschrift von Jeffrey Katz trägt, aber durchaus seinen Beifall findet. Wenn er auch, das lässt sich aus seiner eher zurückhaltenden Reaktion erkennen, wohl etwas andere Prioritäten gesetzt hätte. Immerhin hatte er in seiner Zeit bei American Airlines, als er für den Inflight-Service verantwortlich war, auch einmal einen einschlägigen Versuch unternommen - mit wenig Erfolg.
«Jeffrey who?» war eine häufige Reaktion, als die Ernennung von Katz zum Swissair-Chef im Frühjahr bekanntwurde. Der Mann, der die Swissair aus ihrer Talsohle managen soll, hatte, so hiess es, noch nie ein grosses Unternehmen geführt. Eine Kritik, die Katz nur ein müdes Lächeln entlockt. Schliesslich war er zuletzt President des Sabre Travel Information Network, Tochtergesellschaft der Sabre Group, die das weltweit grösste Reisereservierungssystem betreibt, das in 76 Ländern tätig ist, einen Buchungsumsatz von 40 Milliarden Dollar und einen Gewinn von einer Milliarde Dollar erzielt. Zuvor hatte sich Katz in verschiedenen Bereichen der American Airlines (AA) seine Sporen abverdient. 1991 bis 1993 war er Managing Director of Sales and Marketing für die Western Division von AA. In dieser Funktion war Katz für ein Umsatzvolumen von zwei Milliarden Dollar verantwortlich. 1989 bis 1991 leitete er die Food and Beverage Services, das weltweite Catering-Programm von AA (Umsatzvolumen rund 700 Millionen Dollar). Zwischen 1980 und 1989 war Katz, immer für American Airlines, zuerst als Operations Research Analyst in den Bereichen Flottenplanung und Network-Optimierung tätig, dann auf verschiedenen Marketingpositionen in den Bereichen Domestic Pricing, International Pricing und Yield Management. Damit hat Katz ziemlich alle Stufen und Kompetenzbereiche durchlaufen, die heute für die Swissair besonders wichtig sind.
Bei AA bedauert man den Abgang von Jeffrey Katz. Michael Durham, Präsident der Sabre-Gruppe: «Jeffs Leistung für die Sabre-Gruppe ist nicht hoch genug einzuschätzen. Wir sind natürlich nicht glücklich darüber, dass er uns verlässt. Aber wir gratulieren ihm zu seiner neuen Position bei Swissair und wünschen ihm dort alles Gute.» Und Frank Morogiello, President Corporate Sales bei AA, tröstet sich gleich selber: «Wir sehen Jeff nur ungern ziehen. Aber wir verstehen es als Kompliment an unser Unternehmen, dass die Wahl auf ihn gefallen ist.» Dieser Meinung ist auch die Fachpresse. Dreimal wählte das Magazin «Business Travel News» Jeffrey Katz unter die 25 einfluss-reichsten Manager der Reisebranche, zweimal gewann er den Leaders Circle Award des «Travel Agent Magazine». Und als er Cateringchef war, erhielt die Bordküche der AA die Auszeichnung Best International Food and Wine Service des «Business Traveler Magazine».
Auch ausbildungsmässig passt Jeffrey Katz ins Anforderungsprofil eines Swissair-Chefs. Nach seinem Ingenieurexamen an der University of California erwarb er seinen Masters Degree in Mechanical Engineering an der Stanford University (1978), und zwei Jahre später schloss er am MIT mit dem Master of Science in Business an Transportation Economics ab - der Mann trägt gleich zwei akademische Titel. Beinahe ebenso wichtig wie Ausbildung und Erfahrung ist das Persönlichkeitsprofil von Jeffrey Katz. Philippe Bruggisser, Präsident und CEO der SAirGroup, suchte als seinen Nachfolger an der Spitze der Swissair so etwas wie eine zu ihm komplementäre Persönlichkeit. Und da Bruggisser eher der harte Betriebswirtschafter ist, wenig kommunikativ, auf Zahlen und Kostensenkung fixiert (eine ungerechte, weil einseitige Einschätzung), musste ein Mann her, der die Rolle des Visionärs gibt, der imstande ist, positive Impulse zu setzen und die Mitarbeiter zu motivieren, sich seiner offensiven Strategie anzuschliessen. Nicht auszuschliessen, dass zwischen Jeffrey Katz und seinem Chef Philippe Bruggisser gelegentlich die Fetzen fliegen werden. Eine Vorstellung, die Katz nicht aus der Ruhe zu bringen vermag: «Natürlich wird es Diskussionen geben. Aber die will doch auch Philippe Bruggisser. Sonst hätte er ja ein Duplikat von sich anstellen können.»
Auch die Harmonie, die Moritz Suter im Umgang mit Jeffrey Katz konstatiert (siehe oben), dürfte vor gelegentlichen Trübungen nicht gefeit sein. Denn Moritz Suter kämpft im Bedarfsfall wie ein Löwe für seine Crossair und schreckt dabei weder vor deutlichen Worten noch vor dem Gang an die Öffentlichkeit zurück. In gewisser Weise ist Katz freilich nicht minder hart als Bruggisser und Suter: Er ist vom Typ «Join the team or step out of my way». Das Kernteam wird er zusammen mit den beiden anderen Neulingen in der Swissair-Spitze bilden: den von British Airways abgeworbenen Managern Ray Lyons (der am 1. September beginnt) und Lee Shave (1. Januar 1998), die für die zentralen Funktionen Network Management und Yield Management zuständig sein werden. Um diese Kerntruppe herum wird sich Jeff Katz seine eigene Hausmacht aufbauen, und diesem Team kann sich anschliessen, wer die Zukunftsstrategie der Swissair mittragen will. Wer querschiesst oder gar die sattsam bekannte Balsberg-Gerüchteküche zum Brodeln bringt, muss sich wohl auf die Variante «Step out of my way» gefasst machen. Was aber besonders ins Gewicht fällt, ist die amerikanische Businessmentalität. «Vergessen Sie es gleich, mit mir alte Schweizer Geschäftsregeln diskutieren zu wollen», schrieb Katz seinen Mitarbeitern ins Stammbuch, «wir beschäftigen uns mit globalen Regeln! Ob amerikanisch, asiatisch, lateinisch oder helvetisch, wir wenden an, was nötig ist, um Wirkung zu erzielen.»
Veränderung ist angesagt - oder auf neudeutsch: Change Management. Und genau das ist auch das Thema der Swissair-Kadertagung in Montreux von Ende Juni. Das Tandem Bruggisser-Katz holt sich dazu das Know-how, wo man es kriegen kann, notfalls auch bei der ärgsten Konkurrenz: Die Swissair hat nämlich nicht nur zwei Topmanager bei British Airways abgeworben. Zu ihrer Tagung hat sie als Gastreferenten Sir Colin Marshal geladen, jenen BA-Chef, der aus der schlingernden britischen Airline eine der besten Fluggesellschaften gemacht hat.
Jeffrey Katz indessen ist mit fliegenden Fahnen zum «Swissair-Bürger» geworden, wie er das nennt. Bis vor wenigen Monaten etwa war Delta Airlines sein erbitterter Konkurrent, jetzt ist sie «ein grosser, mächtiger Partner - für uns von grossem Wert». Er ist mit Sack und Pack nach Zollikon gezogen. Bei der Zusage an die Swissair spielten seine Frau und seine beiden Töchter eine massgebliche Rolle. Aber auch er selber hatte keinerlei Mühe, sich ein Leben in Europa vorzustellen. «Schliesslich bin ich ziemlich europäisch aufgewachsen.» Seine Eltern stammen aus Deutschland, und Jeffrey Katz bemüht sich, die Sprache zu lernen. In seinem Büro ist eine Flipchart aufgestellt, auf dem ein Übungssatz steht: «Ich möchte nach New York fliegen.»
So zielgerichtet Jeffrey Katz im Beruf ist - wenn er seine Arbeit und sich selbst beschreibt, ist da immer ein Hauch von Selbstironie. Er schätzt sich selber als «humorvoll» ein, «wenn auch mein Humor zuweilen sarkastisch und respektlos ist. Ich setze die Mess-latte für mich hoch und kann sehr intensiv sein. Ausserhalb des Büros nehme ich mich aber nicht sehr ernst.» Und wenn er das doch einmal täte, wird ihn seine Frau Karen, die ihrerseits als Publizistin (für die «New York Times») und Autorin von bislang fünf Büchern eine eigenständige Karriere absolviert, schon zur Raison bringen. «Wenn ich heimkomme, sagt meine Frau: "Deponiere deine CEO-Allüren an der Türe!"»
Die Fliegerei ist die Obsession von Jeffrey Katz. Nicht nur verbrachte er sein bisheriges Berufsleben in der Welt der Airlines. In sehr jungen Jahren erwarb er den Pilotenschein und verdiente sich sein Studium teilweise als Fluglehrer. Er besitzt eine kleine Maschine, mit der er über 1000 Flugstunden absolviert hat. Mehr noch: Seit zehn Jahren bastelt er an einem eigenhändig entworfenen Fluggerät, dessen Fertigstellung angesichts der neuen Aufgaben freilich in weiter Ferne liegen dürfte. Denn vorderhand hat Jeffrey Katz an der Swissair genügend zu basteln.