Jeremy Corbyn ist kein Mann grosser Gesten. Ein hochgereckter Daumen, ein Lächeln. Das ist alles, was er gewöhnlich im Moment des Triumphs zeigt.

Als der 68-Jährige in der Wahlnacht am Freitag vor die Mikrofone tritt, sieht er erschöpft aus. Er ist in den vergangenen Wochen von Wahlkreis zu Wahlkreis gereist, hat auf unzähligen Veranstaltungen gesprochen.

Die Mühe hat sich gelohnt. In den Morgenstunden wird klar: Theresa Mays Konservative haben ihre absolute Mehrheit in der britischen Parlament verloren. Corbyn forderte sie zum Rücktritt auf.

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Viele hielten ihn für «unwählbar»

Abzusehen war das nicht: Umfragen vor der Wahl zufolge traute nur eine Minderheit der Briten dem Labour-Chef das Amt des Regierungschefs zu. Viele seiner Fraktionskollegen machten keinen Hehl daraus, dass sie ihn für «unwählbar» hielten.

Doch Corbyn wurde nicht zum ersten Mal von seinen Gegnern unterschätzt. Seine vor allem jungen Anhänger verehren ihn wie einen Popstar. Dieses Phänomen hat nun auch bei der Parlamentswahl seine Wirkung gezeigt. Besonders junge Wähler bescherten Corbyn einen Stimmenanteil, der selbst den von Tony Blair bei seinem Wahlsieg 2005 übersteigt.

Ohne schmutzige Tricks

Der dreifache Vater und in dritter Ehe verheiratete Politiker gilt als ehrliche Haut, als einer, der nicht mit schmutzigen Tricks kämpft. Persönliche Angriffe und Schmähungen beantwortet er nicht. «Das ist nicht mein Stil», sagt Corbyn.

Er konzentriert sich ganz auf Sachfragen. Das sind vor allem soziale Themen wie Wohnungsnot, der schlechte Zustand des Gesundheitssystems, Bildung und die Renten.Im Zentrum seiner Forderungen steht ein Ende der Sparpolitik. Corbyn will das Land gehörig umkrempeln.

Gegen Privatisierung

Bahn und Energieversorgung sollen wieder unter öffentliche Kontrolle kommen, die Privatisierung der Post soll rückgängig gemacht werden. Die Renten sollen steigen, Mahlzeiten in der Schule kostenlos sein und die Studiengebühren abgeschafft werden. Finanzieren will Corbyn das durch Steuererhöhungen für Gutverdiener und Unternehmen.

Nach den Terroranschlägen mit den Dutzenden Toten in London und Manchester kommt eine Sicherheitsdebatte dazu. Der EU-Austritt gerät darüber in den Hintergrund.

Prinzipientreu

Corbyn gilt als absolut prinzipientreu. Er soll sich vegetarisch und fast zuckerfrei ernähren, nicht rauchen und keinen Alkohol trinken. Hat er sich einmal auf eine Überzeugung festgelegt, bleibt er dabei. Dafür liebt ihn die Labour-Basis.

Doch dazu muss man wissen: Viele Corbynistas, wie seine Anhänger in der konservativen Presse genannt werden, sind der Labour-Partei erst vor Kurzem beigetreten. Manche gehen soweit zu sagen, Corbyn habe die Partei mithilfe seiner Graswurzel-Bewegung gekapert.

30 Jahre lang ein Hinterbänkler bei Labour

Mehr als 30 Jahre lang ist er ein Hinterbänkler bei Labour im britischen Parlament. Seit 1983 sitzt er für den Londoner Wahlkreis Islington North im Unterhaus.

Corbyn macht sich als Parteirebell einen Namen, der nicht selten gegen die Anträge der eigenen Fraktion stimmt. Er ist einer der Gegner des Irak-Krieges von 2003. Doch seine Chancen darauf, in der Regierung zu gestalten, stehen lange Zeit gleich null.

Das ändert sich, als Labour unter der Führung von Ed Miliband 2015 krachend gegen die Konservativen verliert: Corbyn tritt für den Posten des Parteichefs an. Obwohl ihm nur Aussenseiterchancen eingeräumt werden, gewinnt er mit deutlicher Mehrheit.

Per Urwahl an die Spitze

Noch klarer ist sein Sieg ein Jahr später - als er in einer von der Fraktion erzwungenen Urwahl erneut triumphiert. Zunächst hatte ihm nach dem Brexit-Votum der Briten die rebellierende Labour-Fraktion das Vertrauen entzogen. 172 von rund 230 Labour-Abgeordneten sprachen Corbyn damals das Misstrauen aus.

Mehr als die Hälfte seines Schattenkabinetts lief ihm davon. Sie warfen ihm vor, sich nicht ausreichend für den Verbleib Grossbritanniens in der Europäischen Union eingesetzt zu haben. Doch die Basis hält ihm schliesslich die Treue und befördert ihn per Urwahl wieder an die Spitze.

(sda/ccr)

Das sind die Hauptakteure der britischen Politik: