Er verkörpert den amerikanischen Traum in seiner plakativsten Form: die klassische Tellerwäscherkarriere. Vom KV-Stift aus dem Bergdorf Sattel zum Erfolgsunternehmer an der Ostküste der USA und gefragten Kontraktor für die Spitzenliga der internationalen Medikamentenindustrie. Milliardenkonzerne wie Merck, Glaxo Wellcome und Pfizer - aber auch die beiden Schweizer Pharmamultis Novartis und Roche - stehen auf Josef von Rickenbachs Kundenliste.
Der erstaunliche Werdegang des Sohnes eines Innerschweizer Tankstellenbetreibers gäbe eine glänzende Schuhputzerstory ab. Doch der Mann mit dem Oberlippenbärtchen wehrt instinktiv ab. Populär dargestellt sieht sich der 44-jährige Auslandschweizer nur höchst ungern, und dass ihn bilanz hiermit dennoch zum «Vorzeigeunternehmer» erklärt, ist ihm eher ein Graus. Wenn man weiss, dass von Rickenbach im Bundesstaat Massachusetts bereits 1997 zum «Unternehmer des Jahres» erkoren wurde, lässt die betonte Zurückhaltung aufhorchen. Bei einem Brancheninsider, der den Pharmabossen tagtäglich ins «Milchbüechli» schaut, erstaunt erhöhter Diskretionsbedarf allerdings nicht.
Logisch sei er «vom amerikanischen Virus befallen», bejaht Joe von Rickenbach die entsprechende Frage. Wenn man ihm seine Meriten in typischer Ami-Manier ans Revers heften möchte, behagt dies dem Wahlexilanten allerdings nicht. Nach zwei Jahrzehnten erfolgreichen Unternehmertums stapelt er lieber tief: «Business is nothing but institutionalized common sense», erklärt der Architekt und operative Leiter einer auf die internationale Pharmaindustrie ausgerichteten Beratungsgruppe mit 45 Niederlassungen rund um den Erdball (frei übersetzt: Gesunder Menschenverstand prägt das Geschäft). «Der Verkauf liegt mir», bekennt von Rickenbach und begründet damit seinen grossen Erfolg.
Parexel ist heute weltweit eine der renommiertesten Adressen, ein wissenschaftlicher Think-Tank mit 4500 Mitarbeitern. Neben dem Highway 128 liegt der Hauptsitz des Unternehmes gewissermassen an der Schlagader des so genannten Silicon Valley of the East. Angeboten werden massgeschneiderte Outsourcing-Lösungen, die den ganzen Komplex der Medikamentenentwicklung inklusive deren Registrierung durch die nationalen Zulassungsbehörden umfassen. In ihrem Kerngeschäft, der Organisation und Überwachung von klinischen Studien am Menschen, ist von Rickenbachs Firma weltweit die Nummer zwei. Um einen solch anspruchsvollen Service erbringen zu können, beschäftigt von Rickenbachs Firma Hunderte von Akademikern - Ärzte, Pharmakologen, Computerfachleute - und unterhält ein weit verzweigtes Netz an Kooperationsverträgen mit Spitälern, HMO und anderen medizinischen Einrichtungen.
Dass es in seiner Karriere glückliche Fügungen gab, streitet der Chef von Parexel gar nicht erst ab. Ein erster Glücksfall ergab sich noch in der Heimat, als der 22-jährige von Rickenbach ohne Matur, jedoch bestückt mit einem Abschlusszeugnis der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) in Luzern, beim Pharmakonzern Schering-Plough eine Anstellung fand. Der Europahauptsitz des amerikanischen Unternehmens galt seinerzeit als echte Kaderschmiede, aus der eine erstaunliche Serie von internationalen Pharmagrössen wie etwa Jean-Pierre Garnier, operativer Leiter von SmithKline Beecham, oder Franz Humer, CEO bei Roche, hervorgegangen sind (siehe «Ein perfektes Pharma-Sprungbrett»).
Bei allem, was er angepackt habe, sei von Rickenbach «unglaublich diszipliniert» vorgegangen, berichtet der Zuger Unternehmensberater Peter Knobel. Ende der Siebzigerjahre leitete Knobel bei Schering-Plough in Luzern die Marktforschung und nahm den jungen Mann unter seine Fittiche. Auf derselben Etage wie das Marketing-Research war ein Teil der klinischen Entwicklung untergebracht. Daraus ergaben sich Kontakte zu Mitarbeitern, die sich tagein, tagaus mit der Prüfung und Registrierung von neuen Medikamenten zu befassen hatten - Berührungspunkte, die sich für die Berufswahl des Einsteigers rückblickend als absolut prägend erwiesen. Von Rickenbach habe sich kaum je eine Minute Freizeit gegönnt, erinnert sich dessen Mentor: «Ein unheimlicher Knüttler.» Nicht zuletzt deshalb, glaubt Knobel, komme dessen Laufbahn in den Augen junger Schweizer «Modellcharakter» zu.
Um die achtköpfige Familie (zwei Erwachsene, sechs Kinder) durchzubringen, ging der Vater, ein gelernter Landwirt, diversen Nebenbeschäftigungen nach. Als Holzfäller, Bauarbeiter und Chauffeur konnte er mit den Jahren genügend Geld zur Seite schaffen, um in Sattel eine kleine Tankstelle zu eröffnen. Als die Zapfstelle wie erhofft zu rentieren begann, wurde der Familienbetrieb um ein von der Mutter geführtes Café, das «Sportstübli», erweitert. «Geld war in unserer Familie nie ein Thema», sagt der Architekt Remy von Rickenbach, 46. «Allein die Leistung war es, die zählte.» Dass Josef schon als Kind zielstrebig war, kann der ältere Bruder bezeugen: «Der hat seine Ziele immer erreicht.»
Mit Rückendeckung durch seine Vorgesetzten beschloss Josef von Rickenbach, sich in den USA weiterzubilden. Ohne falsche Scham bewarb er sich gleich an der Harvard Business School, bestand auch prompt die Aufnahmeprüfung und wurde 1979 zu einem zweijährigen Lehrgang zum Master of Business Administration (MBA) zugelassen. In Harvard traf von Rickenbach auf Kommilitonen mit beeindruckendem wissenschaftlichem Background - ein jeder zumindest mit Hochschulabschluss. «Anfangs war ich von der enormen Konkurrenz schockiert», gibt er unumwunden zu. «Da blieb mir nichts übrig, als mein Herz in die Hände zu nehmen.» Und es wirkte offenbar. Schon bald durfte er realisieren, dass auch die anderen nur mit Wasser kochten. «Von da an wurde das Ganze zu einer Frage der Ausdauer und des gesunden Menschenverstandes», erklärt von Rickenbach befriedigt.
Das begehrte harvard-diplom in der Tasche, heuerte er 1981 bei einer Consultingfirma in Boston an, die sich unter anderem auf Dienstleistungen in Zusammenhang mit der Zulassung neuer Substanzen durch die amerikanische Registrierungsbehörde FDA spezialisiert hatte. Rechtzeitig, bevor der Betrieb in Turbulenzen geriet, setzte sich von Rickenbach nach anderthalb Jahren wieder ab. Im Januar 1983 war es dann so weit: In Boston gründete der Wahlamerikaner sein eigenes, auf die Pharmabranche ausgerichtetes Beratungsunternehmen Parexel (in Anlehnung an den mittelalterlichen Arzt und Naturphilosophen Paracelsus).
Gemeinsam mit der 55-jährigen Anne Sayigh, einer promovierten Chemikerin, die ihm von der Vorgängerfirma in die Selbstständigkeit gefolgt war, konzentrierte sich das Jungunternehmen zunächst auf die Beratung japanischer und deutscher Pharmahersteller. Nur dank der reichen Erfahrung und des Spezialwissens seiner Mitstreiterin, die zudem sehr gute Beziehungen zur FDA unterhielt, konnte von Rickenbach den Sprung in die Selbstständigkeit überhaupt wagen, wie er eingesteht: «Diese Frau war anfänglich enorm wichtig für mich», sagt er. «Ohne sie hätte ich nicht besonders viel zu verkaufen gehabt.»
Wie bei den meisten Neugründungen stand der Überlebenswille am Anfang. Für die ersten paar Monate musste von Rickenbachs private Unterkunft im Bostoner Watertown-Quartier als Provisorium herhalten. Jeder Dollar, der in dieser Phase hereinkam, wurde umgehend in den Aufbau der Infrastruktur gesteckt, denn für den jungen Kleinbetrieb galt es vorab erst einmal, Computer und Drucker anzuschaffen. Als die Einnahmen allmählich in lebenswerte Proportionen hineinwuchsen - was noch vor Ablauf des ersten Jahres der Fall war -, zogen die beiden Parexel-Gründer in ein Bürogebäude nach Cambridge um und kamen überein, sich fortan eine Sekretärin zu leisten.
Um einem Kundenbedürfnis zu entsprechen, wurde die Angebotspalette Mitte der Achtzigerjahre in Richtung Vollservice erweitert. Von der angestammten Beratungstätigkeit auf dem Gebiet der Regulatory Affairs expandierte Parexel in die Beschaffung und Auswertung klinischer Daten. Diese Aktivität, in deren Zentrum aufwändige Testreihen für verschreibungspflichtige Medikamente stehen, bildet heute das Kerngeschäft der Firma. Für Grosskunden aus der Pharmaindustrie ist es ein gewichtiger Vorteil, dass die Kontrakt-Spitäler, welche die Patiententests durchführen, die gewonnenen Daten laufend an Parexel übermitteln, wo diese kontrolliert und ohne Verzug weiterverarbeitet werden. Sobald die Datenlage mit Blick auf den Zulassungsentscheid günstig erscheint, werden die Versuchsreihen gestoppt, woraus sich für den Auftraggeber unter Umständen erhebliche Kostenvorteile ergeben.
Um den Ausbau finanzieren zu können, schrieb von Rickenbach einen Businessplan und machte sich Mitte der Achtzigerjahre auf die Suche nach ein paar risikofreudigen Investoren. Selbst in den USA gab es vor fünfzehn Jahren noch keine Venture-Capital-Szene, die diesen Namen verdient hätte. Verglichen mit den Luxusbedingungen, die aussichtsreiche Start-up-Unternehmer heute vorfinden, war von Rickenbachs Kapitalsuche noch eine Ochsentour. «Die Geldbeschaffung», sagt er, «war eine der schwierigsten Aufgaben in meinem Leben.»
Eine Investorengruppe aus Boston fand sich nach zähen Verhandlungen schliesslich bereit, Parexel ein Startkapital von 600 000 Dollar vorzustrecken. Vor die schwierige Wahl gestellt, die volle Entscheidungsgewalt zu Gunsten eines schnelleren Wachstums aus der Hand zu geben, zog es von Rickenbach vor, «lieber einen kleinen Teil einer grösser werdenden Firma zu besitzen». Mit externem Kapital im Rücken gelang ihm 1987 ein erster Quantensprung: Von einer kanadischen Computerfirma übernahm die kleine Parexel eine auf pharmazeutische Statistiken spezialisierte Geschäftsdivision mit beinahe hundert Angestellten. Kurze Zeit später kam es bereits zum Kauf einer zweiten, ähnlich positionierten Gesellschaft in London, womit dort die erste europäische Niederlassung entstand. 1990 beschäftigte Parexel bereits 250 Mitarbeiter und erzielte einen Umsatz von 25 Millionen Dollar.
Mit aggressiven inneren Wachstumszielen und fortgesetzten Akquisitionen trieb von Rickenbach die Expansion seiner Firma pausenlos voran. Anfang der Neunzigerjahre folgte die Übernahme einer Berliner Arzneimittelfirma, die schwerpunktmässig in der klinischen Forschung (Phase I) tätig ist und von Rickenbachs Gruppe zur Marktführerschaft in Deutschland verhalf. Und im gleichen Tempo ging es weiter: Allein 1998 verleibte sich Parexel mindestens vier artverwandte Konkurrenzfirmen ein, darunter zwei britische Kommunikationsbetriebe, ein niederländisches Kontraktforschungsunternehmen und die auf Zulassungs- und Registrierungsfragen ausgerichtete Logos GmbH in Freiburg im Breisgau.
Im April 1999 endlich schien es, als würde der umtriebige Firmengründer seinem Lebenswerk vorzeitig die Krone aufsetzen: «Covance und Parexel, bisher die Nummern zwei und drei der Branche, schliessen sich zum neuen Weltmarktleader für Medikamentenentwicklung zusammen», hiess es in einer entsprechenden Presseerklärung. Doch der verlockende Deal, aus dem eine Dienstleistungsgruppe mit einem Börsenwert von 2,5 Milliarden und einem kombinierten Umsatz in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar hätte hervorgehen sollen, platzte. Wäre der Merger zu Stande gekommen, hätte unser Vollblutunternehmer den Vorsitz mit dem Chef des grösseren Fusionspartners teilen müssen: «Die Aufgabe der alleinigen Geschäftsführung hätte mir keine Mühe bereitet», lautet von Rickenbachs erstaunliches Bekenntnis. «Bei den Verhandlungen war diese Frage praktisch ohne Belang.»
Woran die Fusion gescheitert sei? Man habe die Synergien anfänglich bei weitem überschätzt, beteuert von Rickenbach. Erst im Verlauf der Verhandlungen sei klar geworden, dass die Integrationskosten wesentlich höher ausgefallen wären als ursprünglich absehbar gewesen war. Nun denn: Die US-Börse reagierte auf den angekündigten Zusammenschluss äusserst ungnädig. Von über dreissig Dollar bei der Fusionsankündigung verloren die Parexel-Aktien an der Technologiebörse Nasdaq innert Wochen zwei Drittel ihres Handelswertes und dümpeln seither in der Nähe von zehn Dollar dahin. Getrieben von übersteigerten Fusionsfantasien, war die Börsenkapitalisierung des Unternehmens auf eine Milliarde Dollar angeschwollen, um bei Übungsabbruch umso brutaler einzubrechen.
Nach einem derartigen Debakel erstaunt es nicht, dass sich der Parexel-Chef gegenwärtig die Wunden leckt und von der Presse nicht allzu viel wissen will. Selbstverständlich hat jeder von uns seine kleinen Geheimnisse und zu denjenigen des schwer durchschaubaren Pharmaberaters gehört es offenbar, dass er partout nicht verraten möchte, welchen Prozentsatz an der börsenkotierten Gesellschaft er - zusammen mit seiner Frau und seinen drei Söhnen - in seiner Familienstiftung hält. Trotz oder gerade wegen persönlicher Rückschläge, mit denen jeder Unternehmer rechnen muss, kann er stolz darauf sein, was er mit Geschick, Durchhaltevermögen und Tatkraft erreicht hat. Von Rickenbachs Laufbahn sei «absolut fantastisch», urteilt der Ex-Rochianer und heutige Pharmaunternehmer Peter Simon, der den gebürtigen Schwyzer von Schering-Plough her kennt. «Man wünschte sich», sagt Simon, «dass sich solche Karrieren in der Schweiz abspielen.»
Der Gerühmte selbst bleibt reserviert und bescheiden. Er empfinde es als grosses Privileg, dass er seinen Berufsalltag bisher ausschliesslich mit Leuten verbringen durfte, die mehrheitlich hochintelligent und super ausgebildet seien: «An keinem einzigen Tag meiner Laufbahn war es mir langweilig», freut sich von Rickenbach. Falls es zwischen einem Glückspilz wie ihm und der Normalbevölkerung tatsächlich einen Unterschied gebe, so sieht ihn der Do-it-yourself-Unternehmer darin, dass die meisten Menschen nicht wüssten, dass sie das, was er beruflich erreicht habe, ebenfalls erreichen könnten. «Es ist absolut machbar», spornt von Rickenbach potenzielle Nachahmer an. «Das Risiko, etwas anzupacken, ist nicht grösser, als dies nicht zu tun.»