Es ist keine Krankheit, und doch fühlen sich manche dadurch krank: das Älterwerden. Die Ausdauer beim Joggen lässt nach, die Lesebrille muss ran, die Haut wirft sich in Falten, die Haare fallen aus und werden weiss. Alt wird man schon ab dem Moment, wenn man lieber jünger wäre, als im Pass steht – und bei vielen beginnt dieser Wunsch schon zeitig. Nur bei Teenagern ist das noch genau umgekehrt: Sie möchten gern schon für mindestens 18-Jährige gehalten werden. Doch manche 30-Jährige freuen sich bereits, wenn sie für 25 durchgehen. Jugend ist längst zum Schönheitsideal geworden, das Alter gilt es zu bekämpfen.

Derzeit werden die Hormone als besondere Waffe gegen den Verfall des Körpers angepriesen. Die so genannte Anti-Aging-Medizin liegt im Trend, und Hormonkuren verheissen ein Leben mit mehr Spass und weniger Leiden. Bücher, Websites, Zeitschriftenartikel und viele Privatkliniken werben um neue Kunden. Das Fazit der Hormon-Begeisterten: Wer nicht Östrogene, DHEA, Melatonin schluckt oder sich Testosteron und Wachstumshormon spritzen lässt, ist hinterher selbst an der Gebrechlichkeit schuld.

Und die Zipperlein fangen oft schon früh an. Wie bei dem 63-jährigen Baugutachter, der sich aktiv im Geschäftsleben befand und unter Konzentrationsstörungen, Nervosität, Schwäche und Potenzproblemen litt. Nachdem ihm Peter Ivanits vom European Life Extension Institute in Frankfurt einen Hormon- Vitamin-Cocktail verordnet hatte, waren alle Probleme auf einen Schlag weg. «Das hört sich märchenhaft an, aber es ist so», schwärmt Ivanits. Durch die Hormonbehandlung straffe sich ausserdem die Haut, und die Muskeln würden stärker. Die Natur habe den Menschen nur bis zur Reproduktion, so um die 40 Jahre, mit Hormonen vernünftig ausgestattet. Ab dann gehe alles nur abwärts. Die Ärzte müssten dann eingreifen.

Oftmals greifen die Patienten auch selbst ein – ohne ärztlichen Rat. In den USA wird das Dihydroepiandrosteron, kurz DHEA, seit einigen Jahren als «Nahrungsergänzungsmittel» in vielen Supermärkten verkauft – und gilt als der Klassiker in der eher halbseidenen Anti-Aging-Medizin. Dieses Hormon produziert die Nebennierenrinde jedes gesunden Menschen; im Alter sinken die Spiegel im Blut. Nach Ansicht der DHEA-Jünger folgten daraus Muskelschwäche, verringerte Libido, geringe Knochendichte, nächtliches Schwitzen, Schlafstörungen und sogar ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Doch unter Experten ist der Nutzen des Hormons in Form von Pillen durchaus umstritten.

«Die Datenlage bezüglich der Vorteile einer Behandlung ist vollkommen unklar», sagt Renzo Brun del Re, Sekretär der Swiss and Austrian Association for Better Aging (SAABA). Die unterschiedlichen handelsüblichen Produkte, die hauptsächlich aus den USA stammen und per Internet vertrieben werden, böten zudem eine sehr schwankende Qualität mit grossen Unterschieden bei der Konzentration des Hormons pro Tablette. Die amerikanische Mayo-Klinik warnt ausserdem, DHEA könne Leberschäden hervorrufen, das Herzinfarktrisiko erhöhen und möglicherweise auch Krebs begünstigen.

Ist das DHEA also doch eher ein gefährliches Placebo? Wer auf das Hormon schwört und sich vermeintlich durch tägliches Einwerfen fit fühlt, will das nicht glauben. «Doch meist tun genau die Leute, die DHEA schlucken, besonders viel für ihre Gesundheit und sind deshalb in guter Form», glaubt der Geriater Laurent Dukas vom Kantonsspital Basel. Die körperliche Aktivität und die Ernährung seien mit Sicherheit viel wichtiger als jedes Hormon aus der Apotheke, um gesund alt zu werden. «Derzeit kann ein seriöser Wissenschaftler nicht beantworten, ob Hormone das Altern überhaupt aufhalten können», sagt Dukas.

Der Name des European Life Extension Institute aus Frankfurt suggeriert sogar eine Lebensverlängerung. Der Orthopäde Peter Ivanits, der die Praxis mit dem verheissungsvollen Namen leitet, ist auch nicht zimperlich beim Verordnen von Hormonen. Seine Messmethoden der Hormone sind so angelegt, dass mit grosser Sicherheit dem Patienten ein Mangel schwarz auf weiss belegt werden kann. Wird das volle Programm inklusive Wachstumshormon fällig, muss der Patient monatlich bis zu 600 Euro berappen, um seinen Körper in Schuss zu bringen und Hormonwerte wie 25-Jährige zu haben. Von diesen Kosten übernimmt die Krankenversicherung meist nur einen Bruchteil. «Wenn Sie ein schönes Leben führen wollen und guten Whisky trinken möchten, dann bezahlt die Krankenkasse das ja auch nicht», meint Ivanits.

Der Zeitgenosse ist es immerhin gewohnt, für Wohlfühlmedizin grosszügig in die Tasche zu greifen – und murrt dabei nicht einmal. Es geht hier immerhin um ein jugendliches Image. Doch diese Methoden sind nicht so sanft wie jene vom Heilpraktiker, und die Konsequenzen für den Körper sind grösstenteils unbekannt. «In einer Gesellschaft, in der man immer fit sein muss, um mithalten zu können, wird das Altern als bedrohlich empfunden», sagt die Psychologin Monique Beutler vom geriatrischen Kompetenzzentrum des Felix-Blatter-Spitals in Basel. Es gebe grosse individuelle Unterschiede, wie jeder Mensch seine körperlichen Veränderungen verarbeite. Eine psychologische Begleitung kann deshalb in einigen Fällen mehr nützen als das verzweifelte Schlucken von Hormonen oder der regelmässige Besuch beim Schönheitschirurgen.

Alternde Menschen müssten von einem Team aus Internisten, Gynäkologen, Andrologen, Psychologen und Sozialarbeitern betreut werden, sagt Renzo Brun del Re von der SAABA. «Allein den Begriff ‹Anti-Aging› finde ich diskriminierend. Denn den Kampf gegen das Altern werden wir immer verlieren», sagt der Gynäkologe. Er selber ist 61 Jahre alt und macht sich Gedanken, wie er seine eigene Gesundheit fördern kann. Acht Kilo hat er kürzlich abgenommen, schon um seinen Patientinnen ein gutes Beispiel zu sein. Hormone nimmt er nicht ein. Doch sollten bei ihm Defizite auftreten, würde er sie nehmen. Für die Senioren wünscht sich Brun del Re mehr speziell ausgebildete Ärzte und weniger Scharlatane. Die Mediziner müssten verständnisvoller werden und den Menschen dabei helfen, besser zu altern.
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