Der Orientierungsläufer Jürg Bucher macht Zusatzrunden: Er bleibt bis 2020 Valiant-Präsident – und das, obwohl er mittlerweile schon 71 Jahre alt ist. Von Altersmilde keine Spur, im Gegenteil: An der Generalversammlung der Bank kritisierte er den «viel zu grossen» ökologischen Fussabdruck der Schweiz und prangerte die «krassen Verfehlungen der Wirtschaft» an.
Herr Bucher, Sie sprechen von «krassen Verfehlungen der Wirtschaft». An wen oder was denken Sie konkret?
Raiffeisen, Postauto, das Baukartell in Graubünden. Die Liste der Verfehlungen ist lang. Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht eine der grösseren Schweizer Banken irgendwo auf der Welt in irgendeinen Skandal verwickelt ist.
Der spektakulärste ist derzeit wohl der Fall Pierin Vincenz, der jahrelang Ihr Gegenspieler war, als Sie Postfinance-Chef waren. Waren Sie überrascht ob allem, was jetzt ans Tageslicht kommt?
Zur Entwicklung der Postfinance hatten wir in der Tat sehr unterschiedliche Meinungen! Aber sonst haben wir uns gut verstanden. Wir sollten aber nicht nur vom Fall Vincenz sprechen, sondern von einem Raiffeisen-Skandal.
Wieso meinen Sie?
Ich kann nicht glauben, dass niemand etwas gemerkt haben will. Die Überwachung durch den Verwaltungsrat hat versagt. Und in der Geschäftsleitung hat auch niemand aufgemuckt. Grundsätzlich sind CEOs und Verwaltungsratspräsidenten für alles verantwortlich – auch für das, wovon man nichts gewusst haben will. Man muss nach einem Skandal hinstehen – und die Konsequenzen ziehen. Führungspersonen müssen Vorbild sein.
«Im Postauto-Fall kann ich mich nicht erinnern, irgendwann irgendwelche Hinweise auf die Verfehlungen bei Postauto erhalten zu haben.»
Jürg Bucher
Gilt das auch für Sie? Können Sie als Ex-Post-Chef tatsächlich behaupten, Sie hätten vom Postauto-Fall nichts gewusst?
Ich habe gewisse Ansprüche an mich, denen ich gerecht werden möchte. Im Postauto-Fall kann ich mich nicht erinnern, irgendwann irgendwelche Hinweise auf die Verfehlungen bei Postauto erhalten zu haben. Dies bestätigen auch die bisherigen Untersuchungsberichte.
Bei der Expansion von Postauto nach Frankreich waren Sie aber dabei.
Ja, das hat angefangen, als Ulrich Gygi Konzernchef war und ich als Postfinance-Chef in der Konzernleitung sass. Das hat dort damals zu vielen Diskussionen geführt. Es ging um die Fragen, was man in Frankreich eigentlich will. Ich war immer der Meinung, dass eine solche Expansion dem Post-Konzern einiges bringen muss. Heute kann man sagen, dass es unter dem Strich sicher viel Erfahrung gebracht hat.
Erfahrungen per se sind aber noch keine Rechtfertigung für irgendwelche Auslandsabenteuer von Staatskonzernen.
Man kann nicht auf der einen Seite vom Post-Konzern fordern, dass er sich unternehmerisch verhalten muss, und bei jedem Experiment, das schiefgeht, empört reagieren. Wenn es gut geht, sagt niemand etwas. Scheitern gehört zum unternehmerischen Risiko. Und man kann Lehren daraus ziehen. Wer nur auf der Tribüne sitzt und grosse Reden schwingt, lernt nichts.
«Jeder Skandal führt zu dicken Schlagzeilen, zu einer weiteren Entfremdung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft – und zu neuen Gesetzen, was wiederum die unternehmerischen Freiheiten einschränkt.»
Jürg Bucher
Gelten für Staatskonzerne nicht härtere Auflagen als für andere Firmen?
Solange man von ihnen die gleiche unternehmerische Dynamik verlangt wie von privaten Firmen, sollte man bei ihnen auch die gleichen Kriterien anwenden. Aber Chefs haben nicht nur die Aufgabe, den Profit einer Firma zu maximieren, sondern sie tragen auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Jeder Skandal führt zu dicken Schlagzeilen, zu einer weiteren Entfremdung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft – und zu neuen Gesetzen, was wiederum die unternehmerischen Freiheiten einschränkt. Letztlich schiesst die Wirtschaft so nur Eigentore. Nehmen wir die Konzernverantwortungsinitiative, die Unternehmen mit Sitz in der Schweiz verpflichten will, weltweit Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Sie ist eine verständliche Reaktion auf die aktuelle Situation. Es ist schade, dass sie überhaupt nötig ist, hat doch der Bundesrat schon vor Jahren entsprechende Empfehlungen festgehalten. Genützt hat es wenig.
Der studierte Ökonom wurde 1998 stellvertretender Chef der Postfinance, bevor er 2003 zum Chef aufstieg. 2009 wurde er Post-CEO. Nach seiner Pensionierung wurde er 2013 Verwaltungsratspräsident der Valiant Bank. Zudem ist er unter anderem Verwaltungsrat beim SC Bern und beim Menuhin Festival in Gstaad.
Das klingt erstaunlich verständnisvoll für einen Wirtschaftsvertreter. Die Wirtschaftsverbände entwerfen in diesem Kontext eher Weltuntergangsszenarien.
Man muss halt mit den Leuten reden. Dann erfährt man, dass es in der Bevölkerung eine kritische Grundhaltung gegenüber der Wirtschaft gibt. Ich bin ja dieser Initiative gegenüber auch skeptisch – insbesondere in Bezug auf die Umsetzung. Aber ich sehe auch, dass sie in einer Volks abstimmung durchaus Chancen hat. Deshalb ist es gut, dass das Parlament nun an einem Gegenvorschlag arbeitet.
Appelle verhallen meist wirkungslos. Wie wollen Sie erreichen, dass Firmen künftig tatsächlich mehr Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen?
Am wirksamsten ist es, zuerst einmal das eigene Haus in Ordnung zu halten. Bei der Valiant haben wir nicht nur ökonomische Zielsetzungen, sondern auch solche im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden. Und wir haben einen Verhaltenskodex, der für alle gilt. Für die Mitglieder der Geschäftsleitung ebenso wie für die Mitarbeitenden in den Filialen oder im Backoffice. Verfehlungen werden sanktioniert. Das kann bis zur Entlassung führen. Und damit wir die Verfehlungen auch frühzeitig erkennen, haben wir ein Meldesystem installiert. Man kann sich an die Vorgesetzten wenden oder auch anonym an eine externe Plattform. In den letzten zwei Jahren sind dort keine Meldungen eingegangen.
«Bei der Nachhaltigkeit müssen wir noch besser werden.»
Jürg Bucher
Wollen Sie die Valiant Bank als Musterschülerin der Banken positionieren?
Wir haben vieles richtig gemacht. Aber wir müssen noch besser werden. Zum Beispiel bei der Nachhaltigkeit. Wir haben zwar in unserer Fondspalette nachhaltige Produkte und finanzieren keine Projekte im Ausland, wo es offene Fragen zu Umweltverschmutzung oder Kinderarbeit gibt. Aber das reicht nicht. Wir arbeiten derzeit an einem verbindlichen Leitbild. Und wir prüfen Ausschlusskriterien bei Finanzierungen und im Anlagegeschäft. Heute sind wir keine grüne Bank.
Sie sprechen von Ethik, wollen aber in der Valiant Ihren CEO zum Präsidenten küren. Das ist nicht Best Practice.
Markus Gygax wird nach Abgabe des CEO-Postens ein Jahr als reguläres Verwaltungsratsmitglied amten ohne Ausschuss-Präsidien. Das Präsidium übernimmt er erst 2020, weshalb ich ja noch zwei Jahre länger bleibe. Es gibt also eine «Cooling off»-Periode von einem Jahr.
«Soll man stur den reinen Corporate-Governance-Regeln folgen? Oder schauen wir, was für die Bank die beste Lösung ist?»
Jürg Bucher
Aber es geht hier doch um das Prinzip: Der CEO sollte nicht Präsident werden.
Das sind nachvollziehbare Einwände. Und ich teile diese prinzipiell auch. Aber man muss auch die jeweilige Situation der Firma berücksichtigen. Wir brauchen einen sehr guten neuen VR-Präsidenten...
... nachdem Ihr designierter Nachfolger, Ivo Furrer, kurzfristig seinen VR-Posten bei der Valiant gegen einen bei Julius Bär eingetauscht hatte.
Diese Alternative fiel weg. Doch wir wussten, dass Markus Gygax in absehbarer Zeit den CEO-Posten abgeben will. Und da stellt sich die Frage: Soll man stur den reinen Corporate-Governance-Regeln folgen und eine hochkompetente Person ziehen lassen? Oder schauen wir, was für die Bank die beste Lösung ist? Wir haben uns für die zweite Option entschieden.
Gygax wird als möglicher Raiffeisen-Chef genannt. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Nachfolgeplanung nicht aufgeht?
Nein. Markus Gygax hat sich gegenüber dem Verwaltungsrat für Valiant verpflichtet und wird an der nächsten Generalversammlung im Mai 2019 für die Wahl in den Verwaltungsrat kandidieren.