An dem Wochenende, als Facebook in die grösste Krise seiner Geschichte stürzt und alle Welt darauf wartet, dass Sheryl Sandberg die Sache erklärt, stellt sie ein Foto ins Internet: Es zeigt die Managerin, wie sie fröhlich mit einer Freundin Kaffee trinkt.
Zu der Zeit verbreitet sich die Nachricht, dass die Firma Cambridge Analytica auf die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern zugriff. Die Amerikaner erfahren gerade, dass ihre persönlichen Informationen vielleicht eingesetzt wurden, um Donald Trump zum Wahlsieg zu verhelfen. Tausende kündigen sofort an, ihr Facebook-Profil zu löschen. Sie fühlen sich von dem Netzwerk, dem sie so viel über ihr Leben anvertrauten, betrogen.
Sandberg auf Tauchstation
Investoren, Datenschützer, Nutzer, sie alle hoffen an jenem Samstag und Sonntag vor zwei Wochen darauf, dass ein Verantwortlicher etwas zu den Vorwürfen sagt. Entweder Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, oder Sheryl Sandberg, seine rechte Hand. Aber Zuckerberg ist vollkommen abgetaucht, und von Sandberg sieht man nur, wie sie vor grossen Pappbechern von Starbucks sitzt.
Sandberg gerät nun immer stärker in die Kritik. Viele Amerikaner sind irritiert, dass die Frau, die so etwas wie das gute Gesicht von Facebook sein soll, weitgehend schweigt. Dabei gilt sie als eine Managerin, die eigentlich immer alles richtig macht. Als eine Überfrau, die ihre Talente schon so oft bewiesen hat.
Ihr Schweigen irritiert
Harvard-Diplom, Job im amerikanischen Finanzministerium, dann bei Google, dann bei Facebook, Bestseller-Autorin, Mutter zweier Kinder. Zudem ist Sandberg eine begnadete Kommunikatorin, sie findet sogar in persönlichen Katastrophen den richtigen Ton: Als ihr Mann vor drei Jahren beim Training in einem Fitnessstudio starb, schrieb sie auf Facebook einen Beitrag, der Millionen zu Tränen rührte.
Aber nun, bei Facebooks Datenskandal, ist alles anders. Sandberg scheint sich plötzlich nicht mehr äussern zu wollen. Und was sie sagt, als sie es doch tut, genügt bei Weitem nicht, um die Menschen zu beruhigen. Am 22. März, Tag sechs der Affäre, tritt Sandberg zum ersten und bis heute einzigen Mal im Fernsehen auf, bei dem Sender CNBC.
Worte können Kritiker nicht besänftigen
Sie blickt betroffen, sie entschuldigt sich, «das war ein grosser Vertrauensbruch», sagt die Managerin, «es tut mir leid, dass wir so viele Menschen enttäuscht haben.» Das sind Worte, wie man sie in Amerika erwartet. Aber es sind sehr wenige, und sie lassen die Kritiker nicht verstummen.
Einer, der sich in der Öffentlichkeit besonders verärgert gibt, ist Roger McNamee. Der US-Investor behauptet, er habe Zuckerberg vor zehn Jahren dazu ermuntert, Sandberg von Google abzuwerben. Nun ist er offenbar enttäuscht.
Sandberg in der Verantwortung
Sie habe viel Applaus dafür bekommen, dass Facebook so schnell wuchs und so profitabel wurde, sagt McNamee. Aber jetzt, da die dunkle Seite des Erfolges sichtbar werde, müsse Sandberg Verantwortung übernehmen.
In den Medien mag sie bisher zurückhaltend auftreten, hinter den Kulissen ist Sandberg sehr umtriebig. Wie es heisst, trifft sie sich in diesen Tagen häufig mit Werbefirmen und Politikern, um die Wogen zu glätten.
Amerika fordert Meia Culpa
Aber gerade in Amerika zählt eben vor allem die öffentliche Busse. Mancher Insider glaubt, dass der Kongress in Washington Facebook-Chef Zuckerberg nicht vorgeladen hätte, wenn Sandberg schneller mit einem Statement gekommen wäre.
Tatsächlich steht Sandberg im Zentrum des Geschehens, auch wenn sie selbst wohl nichts Unrechtes tat. Die Frau entwarf für Facebook das Geschäftsmodell, das nun in Verruf geraten ist: personalisierte Werbung.
Ideengeberin für Facebook
Das Sammeln von Nutzerdaten, die Firmen ermöglichen, gezielt Anzeigen zu schalten. Facebook machte damit im vergangenen Jahr 40 Milliarden Dollar Umsatz. Wenn die Nutzer sich nun darüber empören, dass das Netzwerk Likes und Ortsangaben analysiert, dann ist das ein Angriff auf Sandbergs Schöpfung.
Aber warum bleibt ausgerechnet die Frau, die immer die richtigen Worte findet, jetzt so ruhig? Eine Erklärung könnte sein, dass Sandberg ihrer eigenen Marke nicht schaden will, indem sie sich jetzt in diesen Kampf stürzt.
Vorbild für Frauen
Sandbergs Strahlkraft reicht inzwischen weit über Facebook hinaus, für Frauen weltweit ist die Autorin von «Lean in», eines Managementratgebers für weibliche Führungskräfte, ein grosses Vorbild. Und manche trauen ihr mehr zu, als die Nummer zwei von Facebook zu sein.
Mit ihrer Erfahrung bei den Tech-Giganten des Silicon Valley und ihren Kontakten in die Washingtoner Politik könnte sie, heisst es, zu Höherem Berufen sein. Einige sagen, Sandberg werde Facebook-Chefin, sollte Zuckerberg mal zurücktreten. Andere meinen, sie werde eines Tages Amerikas Präsidentin.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Warum versteckt sich Zuckerbergs Überfrau?».