Aussen silbergrau, innen himmelblau – eine Kombination, die heute nur noch Mutige für ihr Cabrio wählen. Dem Klassiker steht sie perfekt – der Mercedes 190 SL ringt selbst einem von der Konkurrenz Bewunderung ab: Patrick Huber, Finanzchef bei Toyota Schweiz, konnte sich sichtlich erfreuen an den sinnlichen Rundungen und dem Elfenbeinlenkrad der 55 Jahre alten Dame. Katrin Rau, gerade 29 geworden, hat den Mercedes nach Eglisau am Rhein gelenkt. Überraschend sanft liegt er auf der Strasse, «einer zum ruhigen Dahingleiten», sagt Katrin Rau. Flüssig steuert sie den Mercedes durch das Zürcher Unterland über hügelige Landstrassen, schaltet vor den Verkehrskreiseln knackig zurück und beschleunigt zügig wieder hoch.

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Den Mercedes so sauber zu fahren, ist gar nicht so einfach. Die Lenkung gibt Befehle eher indirekt weiter, die Viergangschaltung wird mit einem schmalen Hebel betätigt, die Schaltgassen muss man gefühlvoll suchen. Die Bremse will kräftig getreten, zugleich aber fein dosiert sein. Es fehlen Servolenkung und Bremskraftverstärker, Hindernisse muss man aufmerksam anfahren und früh vom Gas gehen. «Man ist viel näher beim Auto als in aktuellen Modellen», grinst Rau. Undenkbar, als Fahrer nebenbei SMS zu tippen oder am Radio zu schrauben.

Der 190 SL, sagt Rau, sei einer ihrer Lieblinge. Zumal er noch heute keine Diva ist, sondern ein problemloses Fahrzeug: «Startet immer sauber und überhitzt auch im Stop-and-go-Verkehr nie», sagt Katrin Rau. «Mit dem Mercedes würde ich bedenkenlos übers Wochenende ins Tessin fahren.» Grace Kelly, Cary Grant, Frank Sinatra und Alfred Hitchcock hatten auch so einen. Heinz Frigerio, Jahrgang 1960 und Kapitän des Rheinschiffs «Rhenus» (Jahrgang 1982), riet Katrin Rau eindringlich, die Handbremse anzuziehen – immer wieder rollen in Eglisau Autos in den Rhein.

Rau würde so etwas nie vergessen: Die Frau hat Benzin im Blut. Das hat sie geerbt.

Schreikrampf in Interlaken. Schon als Kind war sie von den alten Autos fasziniert. Vater Peter hatte 1977 die Touring Garage in Oberweningen ZH gegründet, und wenn er abends nach Hause kam («immer mit einem anderen Auto»), schaute sie jeweils neugierig nach draussen – «bald habe ich die Autos am Motorengeräusch erkannt», erzählt sie lachend. Während ihre ältere Schwester mit den Oldtimern, die Peter Rau ankaufte, technisch durchcheckte und wieder verkaufte, nicht viel anfangen konnte, liess sich Schülerin Katrin, so oft es ging, mit dem Auto zur Schule kutschieren, «obwohl es nur drei Meter waren», grinst sie. Auch in die Ferien fuhr die Familie immer «mit irgendetwas Speziellem», und Katrin Rau drängte bald, dass ihr Vater sie auf Auktionen und Händlertreffen mitnahm.

Zu einer Auktion in Interlaken, Katrin Rau war knapp zehn Jahre alt, fuhren sie in einem roten Maserati Vignale Spider, mit 3,5-Liter-Motor und schwarzen Polstern. «Den habe ich damals über alles geliebt», sagt sie. Als sie die Parade der zu versteigernden Autos an sich vorbeifahren liessen, rollte der Maserati in der Schlange mit – Peter Rau hatte vergessen oder nicht für notwendig gehalten, seiner Tochter zu sagen, dass er das Auto abgeben wollte. «Damals war ich so schockiert, dass ich vor Wut den ganzen Saal zusammengebrüllt habe», erzählt Katrin Rau und lacht sich halb kaputt. Peter Rau war nicht sauer, sondern belustigt – und behielt den Maserati vorerst. Von ihm haben die beiden noch heute ein gerahmtes Foto, der Vignale gehört zu ihren «absoluten Lieblingsmodellen».

Etwa im Alter von 15 fiel das erste Mal der scherzhafte Spruch, dass sie dieses Business «später mal machen» wolle. Aber zunächst sorgte sie für solide Grundlagen: Beim Mercedes-Importeur absolvierte sie eine kaufmännische Ausbildung. «Ich habe schnell gemerkt, dass ich nicht den ganzen Tag am Computer sitzen will», erinnert sich Rau: «Ich möchte mit Menschen zu tun haben, an der Front sein.» Als sie nach der Lehre in den Kundendienst wechselte, war sie bereits näher dran – und konnte dabei die Autoverkäufer beobachten. Kunden beraten und verhandeln, das war es! Vater Peter riet ihr, sich noch weitere Bereiche anzuschauen. Also ging sie für ein halbes Jahr nach Miami, um ihr Englisch zu perfektionieren, arbeitete dann in einer Mercedes-Garage in Zürich – und als man ihr beschied, sie sei «mit 22 zu jung, um als Autoverkäuferin eingesetzt zu werden», ging sie für zwei Jahre in die Leasing-Abteilung. Auch ein Bürojob, aber das rundete ihre Kenntnisse ab. Anschliessend zog sie für drei Monate nach Genf, wo sie halbtags Französisch lernte und halbtags in der Garage des Importeurs der Sportwagenschmiede Pagani arbeitete: «Damals war mir schon klar: Ich will zu Hause einsteigen.» Zwölf Monate gab sie sich zum Prüfen und Eingewöhnen in der heimischen Garage, und «es gefiel mir immer besser». Schliesslich absolvierte sie die Ausbildung zum «eidgenössisch diplomierten Verkaufsberater» im Automobilgewerbe; vor einem Jahr schloss sie ab. Im Frühjahr 2011 übernahm sie die Touring Garage.

Gediegene Herren. Als Chefin einer Old- und Youngtimer-Garage ist sie eine weit seltenere Rarität als der schneeweisse BMW 507, den ihr Vater kürzlich verkauft hat. In der Schweiz zumindest dürfte sie die einzige Garagistin sein. Peter Rau ist weiterhin als Berater da, wenn es um die ganz alten Autos geht, die er natürlich besser kennt, und hilft mit seinen Kontakten. Aber Katrin entscheidet, ob ein Auto gekauft wird oder nicht und zu welchen Preisen verkauft wird – oder nicht. «Ganz grosse Freude», sagt Peter Rau, habe er, dass seine Tochter das Geschäft weiterführe. Mit den anderen Händlern hat sie ein gutes Verhältnis, viele kennen Katrin Rau auch schon sehr lange. «Da sind viele gediegene Herren, die sehr korrekt sind und mir mit vielen Tipps helfen», sagt sie. Machismo, wenn man so will, hat sie eher bei Kunden erlebt: Sie testen sie und wollen wissen, welche Art Motor hier eingebaut sei, wie der Kaltstarter funktioniere, wie man die komplexe Mechanik der Motorhaube bediene. Am Anfang, gibt sie zu, hat sie schon «ab und zu geschwitzt». Heute findet sie Versuche, sie aufs Glatteis zu locken, «eher lustig».

Das Geschäft, grundsätzlich krisenfest, schwankt in langen Zyklen mit der Währungsentwicklung. Während zeitweise ein Drittel der Kunden im Ausland sass, vor allem in Deutschland, den Niederlanden, aber auch in Spanien oder Finnland, ist der Euroraum derzeit schwierig zu beliefern. Alte Mercedes, BMW oder Porsches an Deutsche zu verkaufen, ist angesichts des starken Frankens «kaum möglich», sagt Peter Rau. Der hervorragende Zustand vieler Schweizer Oldtimer lockt aber doch immer mal wieder Kunden aus dem «grossen Kanton» nach Oberweningen – wo auch schon arabische Scheichs «in den neunziger Jahren mit Lastwagen» eingekauft haben.

Autos kommen von Händlern, Versteigerungen, Privatverkäufern, die umsteigen wollen, aber auch von Senioren, die ihre alten Schätzchen nicht mehr selber fahren können. Und dann gibt es Glücksfälle wie jenen Scheunenfund vor einem Jahr, als ein Renault Alpine und ein Lotus Europa auftauchten – aufgebockt, seit 20 Jahren nicht bewegt. «Dann müssen wir behutsam wieder Leben in das Auto zurückbringen», sagt Katrin Rau. Also Flüssigkeiten tauschen, Dichtungen prüfen, den Motor aus dem Dornröschenschlaf wecken.

Pro Jahr verkaufen die Raus rund 200 Fahrzeuge, in den besten Jahren waren es fast 300, im vergangenen Jahr 160. Daneben fungieren sie als Experten für Wertschätzungen. Neu denkt Katrin Rau darüber nach, Oldtimer zu vermieten – etwa für Hochzeiten. Das Angebot wäre eine Innovation, Anfragen kommen immer wieder.

Warten auf die Russen.«Als Geschäftsfrau ist sie besser als ich», grinst Peter Rau. Ihm sei selber immer schwer gefallen, «ein Auto zu verkaufen, das ich gern hatte – ein solches habe ich manchmal etwas höher bepreist, damit es nicht sofort wegging». Einer seiner Favoriten ist der Porsche 356 in hellem Gelb. Peter Rau hat über die Jahrzehnte auch die Wanderungsbewegungen im Kundenkreis verfolgt, entlang dem Aufstieg und Fall der grossen Wirtschaftsmächte. Vor 20 Jahren kauften noch viele Japaner. Chinesen und Russen werden dagegen erst langsam zu Kunden. Sie sind derzeit noch nicht so weit, sich mit Oldtimern vom Luxus-Mainstream abgrenzen zu wollen – reiche Leute aus den BRIC-Staaten bevorzugen meist Neuwagen. Aber auch bei ihnen wird im Lauf der Jahre die Lust auf historische Autos wachsen. So wie auf den silberfarbenen Mercedes 190 SL.

Die Freude am Wertzuwachs gibt es gratis dazu: 1978 gab es 190 SL für unter 6000 Franken zu kaufen, erinnert sich Peter Rau. Heute kosten die besten Exemplare weit über 100 000 Franken. In einem sind sich die beiden Generationen Rau einig: Sie freuen sich, wenn ihre Autos nicht nur geschützt in Garagen stehen, sondern auf den Strassen unterwegs sind. Aber selbst wenn der Mercedes verkauft werden sollte – Katrin Rau kann weiter 190 SL fahren. Sie hat noch einen zweiten.