BILANZ: Herr Kühne, Rekordgewinn, Rekordumsatz, Rekordvermögen, sogar ein Fracht-Jumbo der Lufthansa trägt Ihren Namen. Was will man noch mehr?
Klaus-Michael Kühne: Der Jumbo ist inzwischen verkauft worden. Das war wohl eher ein Werbegag der Lufthansa, allzu wichtig nahm ich das nicht.
Mit 69 Jahren auf dem Karrierehöhepunkt?
Für den Peak bin ich schon zu alt. Aber es ist richtig, dass es bei uns stetig bergauf geht und sich dieser Trend in den letzten Jahren beschleunigte.
Sie sind Vertreter der dritten Generation im Unternehmen. Vater Alfred Kühne wäre zufrieden mit Ihnen?
Ich glaube, ja. Er war sehr ehrgeizig, ich bin es auch. Die Entwicklung der Firma gibt uns Recht – Umsatz, Gewinn und Aktienkurs zeigen nach oben.
Sie sind in einer Branche tätig, die man lange belächelte. Spedition roch nach Holzpaletten und feuchtem Laderaum.
Wir wurden tatsächlich lange mit Fuhrunternehmern verwechselt. Dabei bieten wir komplexe Dienstleistungen an. Der Stellenwert der Logistik und der Dienstleistungslogistik begann sich vor 15 Jahren zu entwickeln. Die Globalisierung wäre heute ohne spezialisierte Logistiker nicht denkbar.
Trug der Börsengang von Kühne + Nagel 1994 zur Akzeptanz bei?
Zunächst eher nicht. Man nahm ihn anfänglich kaum zur Kenntnis. Wir hatten ja nur einen kleinen Free Float von 18 Prozent. Der Aktienkurs zog zuerst nur langsam an. Nach ein paar geglückten Deals und dem Wachstum der letzten Jahre erweiterte sich der Aktionärskreis auf über 40 Prozent. Da wir global agieren und eine kritische Grösse haben, erleben wir jetzt einen Schneeballeffekt – indem wir am Welthandel überdurchschnittlich partizipieren.
Sie erlebten in Ihrer fast 40-jährigen Karriere nicht nur Höhenflüge. Ihr grösster Flop?
Ende der siebziger Jahre kauften wir Schiffe. Dann stiegen wir bei den Camions ein, obwohl dies eigentlich unserer Philosophie widersprach, weil uns die Truckermentalität abgeht. Diese Ausweitung hätten wir lieber unterlassen. Mit den Frachtschiffen und Lastwagen sind wir auf den Bauch gefallen.
Wie viel haben Sie mit Ihrer Reederei in Panama versenkt? 100 Millionen?
Ja, die Summe kommt etwa hin.
Damals haben Sie nie daran gedacht, den Bettel hinzuschmeissen?
Nein, eben nicht. Nach diesen gescheiterten Abstechern haben wir gekämpft und uns durchgebissen.
Kasse machen und ab nach Mallorca – das hat Sie nie gereizt?
Einige Banker rieten mir: Ziehen Sie sich ins Private zurück, dann bleibt Ihnen wenigstens noch etwas von der Firma. Für mich war das nie ein Thema.
Warum nicht?
Weil ich Freude am Geschäft hatte und den eisernen Willen, Rückschläge zu überwinden. Kühne + Nagel war ein Familienunternehmen, entsprechend fühlte ich mich verpflichtet. Und: Ich wollte die Firma zum Erfolg führen. Ein paar Berater haben mich unterstützt.
Zum Beispiel?
Der Anwalt Thomas Staehelin, den ich seit Jahrzehnten kenne und der bei mir im Verwaltungsrat sitzt. Und dann war noch der eine oder andere Berater aus Hamburg.
Alles externe Leute?
Ja. Wenn ich in einer Sache klaren Durchblick habe oder mir das mindestens einbilde, gehe ich unbeirrt meinen Weg. Aber wenn ich unsicher bin, dann tausche ich mich gerne mit Beratern aus. Durch diese Gespräche gewinnt man Sicherheit. Hat man diese gewonnen, muss ein Entscheid durchgezogen werden. Da lasse ich mich kaum mehr beirren und bin ich nicht leicht vom Gegenteil zu überzeugen.
Sich nicht vom Kurs abbringen lassen: die Charaktereigenschaft eines hanseatischen Unternehmers?
Das ist tatsächlich eine Eigenschaft, die man in Deutschland eher dem Norden als dem Süden zuschreibt. Wir Norddeutsche sind Macher, haben Durchsetzungsvermögen – und machen davon in reichhaltigem Masse Gebrauch, manchmal vielleicht zu stark.
Inwiefern?
Ich bin ungeduldig, beschleunige Dinge. Das hat auch Tücken: Man kann Fehler machen, ausserdem ist man unbequem. Aber es hat sich ausbezahlt. Ohne Reibungsverluste ging es nicht.
Haben Sie zwecks Reduzierung des Reibungsverlusts Ihre siebenköpfige Geschäftsleitung mit fünf Deutschen bestückt?
Nein, wir hatten auch schon andere Nationalitäten im Topmanagement, Schweizer, Holländer, Österreicher. Aber ich gebe zu: Derzeit ist es in der Tat etwas deutschlastig. Nicht dass Sie glauben, ich hätte etwas gegen die Schweizer. Im Gegenteil, ich arbeite gerne mit ihnen zusammen. Im Finanzmanagement haben wir viele Schweizer, die Chefs in Fernost und in den USA sind Schweizer. Im Verwaltungsrat hab ich bewusst der deutschen Dominanz gegengesteuert. Da haben wir gleich viele Schweizer wie Deutsche.
Es gäbe neben Schweizern und Deutschen ja auch noch ein paar andere Nationalitäten, Inder, Engländer, Amerikaner. Ihr Geschäft ist global.
Mitteleuropäische Unternehmungen unserer Branche waren bei der Ausbreitung in die Welt besonders erfolgreich. Da gibt es eine Fremdenlegionärs-Mentalität: Man zieht mal los und beisst sich im Ausland fest. Offenbar liegt das anderen Nationen weniger. Engländer oder Amerikaner waren jedenfalls in der Branche weniger erfolgreich, wenn es darum ging, im Ausland Fuss zu fassen und sich zu assimilieren.
Sich festbeissen und durchhalten: weitere Kerntugenden, wenn man einen Weltkonzern aufbaut?
Bei mir sind das Charaktereigenschaften. Ich bin ein Kämpfer, wie mein Vater. Wir haben sehr kritische Situationen bewältigen müssen, da lernt man viel. Man wird hart und konsequent. Und: Wenn man einmal richtig auf den Bauch gefallen ist, weiss man, wo die Tücken lauern und wie man sie meistert.
Auch in China setzten Sie sich früh fest, jetzt profitieren Sie vom Exportwunder.
Als ich in den siebziger Jahren erstmals nach China reiste, war noch vieles sehr primitiv, die Transportmöglichkeiten, die Kommunikation, das Essen, die Unterkunft. Das Peking Hotel, das beste Haus vor Ort, war heruntergewirtschaftet. Die Leute sprachen kaum Englisch, zudem bekam jeder von uns einen Chinesen zugeteilt, einen Beschatter, würde man heute sagen. Wir eröffneten in China eine Reihe von Büros, hatten aber keine Lizenz, um dort voll tätig zu sein. Die Kooperation mit lokalen Agenten war schwerfällig und kostete Geld.
Und heute?
Da geht es viel einfacher. Unser CEO, Klaus Herms, der 30 Jahre in Fernost wirkte, hatte so seine besonderen Ansichten. Er sagte immer: «Wir machen kein Joint Venture mit den Chinesen, da blockiert man sich.» Also haben wir gewartet und versucht, eine volle Handelslizenz zu bekommen. Das hat zwar etwas länger gedauert, doch seit zwei Jahren sind wir mit einer eigenen Tochterfirma vor Ort. Die meisten Konkurrenten haben immer noch einen chinesischen Partner, wir aber können freier agieren. Das hilft.
Sie gelten als unbequemer Patron. Wie mühsam sind Sie als Chef?
Ob ich mühsam bin? Kann sein. Aber dass ich anstrengend, ungeduldig und unbequem bin, würde ich nicht zurückweisen.
Wann werden Sie anstrengend?
Wenn kapitale Fehler gemacht werden, wenn man Mitarbeiter ungerechtfertigt vor den Kopf stösst, wenn Geld unnötig ausgegeben wird, etwa für überflüssige Gutachten, oder wenn wichtige Entscheide an mir vorbeilaufen. Ich kann mich schnell aufregen, werde unter Umständen mal laut, aber ich beruhige mich wieder schnell.
Wie kann man Sie umstimmen?
Man muss da unterscheiden. Bei Strategiefragen versuche ich schon, die Linie durchzuhalten. Nur: Da gibt es etwa mit der Geschäftsleitung keine riesigen Diskussionen, weil unsere Vorstellungen nicht wesentlich voneinander abweichen. In Einzelfragen nehme ich mich manchmal zurück und akzeptiere, dass es halt nicht so schnell geht, wie ich mir das vorstelle. Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall: Wenn sich die Geschäftsleitung in meinen Augen etwas gar viel Zeit gönnt, versuche ich zu beschleunigen und setze Termine. Dann zieht jeder den Kalender hervor, und wir finden ein verbindliches Datum. Insgesamt ist die Diskussion sehr konstruktiv, sehr auf Erfolg ausgerichtet.
Sie fordern viel von Ihrem Management, machen Druck. Wie hielten Sie trotzdem die Fluktuation tief?
Loyalität zum Unternehmen gilt bei mir viel. Wir haben nicht nur in der obersten Geschäftsleitung, sondern auch auf den anderen Hierarchiestufen eine Menge tüchtige Leute, von denen viele bei uns ihre Karriere begonnen haben. Natürlich sehen die Leute, dass wir erfolgreich sind. Das motiviert. Dann werden bei uns schnelle Entscheide getroffen, die Leute können Risiken eingehen. Weiter haben wir ein hoch entwickeltes Bonussystem. Das motiviert und bindet auch. Und, seien wir ehrlich: Es gibt in unserer Branche nicht viele besonders attraktive Jobalternativen.
Jahrelanger Erfolg birgt Gefahren. Was tun Sie dagegen?
Unsere Mitarbeiter neigen tatsächlich manchmal zur Euphorie, da bremse ich gelegentlich und stelle Projekte oder deren Finanzierung in Frage. Ich bin stolz auf das Erreichte und auf den Börsenkurs, aber meine persönliche Einschätzung ist, dass der Aktienkurs der Firma fast ein bisschen überhitzt ist.
Überhitzt? Der Kurs müsste Sie als Grossaktionär freuen.
Für mich hätte er auch etwas weniger spektakulär steigen können. Da fragt man sich natürlich immer: Gibt es nicht irgendwann mal einen Rückschlag? Ich sag das auch unseren Mitarbeitern: Im Leben geht es nicht immer nur bergauf. Meine Devise vor dem Personal lautet: trotz Erfolg nie den Boden unter den Füssen verlieren, die Kosten stets im Auge haben.
Wie setzen Sie das durch?
Indem ich vorexerziere, wie man die Kosten tief hält, indem ich selber sparsam bin. Indem ich vor zu hohen Fixkosten warne, indem ich dafür plädiere, Büros im Ausland nicht auf zehn, sondern bloss auf drei Jahre hinaus zu mieten, dann kann man gegensteuern, wenn es mal schlechter geht. Indem ich dafür besorgt bin, dass die Hauptverwaltung in Schindellegi nicht zu stark wächst oder dass man bei den Reisespesen nicht überbordet.
Rigoroses Sparen als Programm?
Es ist nicht so, dass wir nur in der Economy rumfliegen. Aber ausgeprägtes Kostenbewusstsein kann nicht schaden. Mit meinem Ceterum censeo habe ich mich wohl ab und zu unbeliebt gemacht – aber schlecht ist es dem Unternehmen nicht bekommen.
Was geben Sie der Mannschaft sonst noch mit?
Es ist ein Kampf um die Marktführerschaft im Gang. Da sind grosse Gruppen involviert – die Deutsche Post, die Deutsche Bahn, FedEx, UPS und ein paar andere. Dann gibt es neue Mitspieler aus Kuwait und Dubai. Die haben vom Geschäft zwar keine Ahnung, aber sie haben das Geld und kaufen Firmen zusammen. Es ist also ein sehr munterer Wettbewerb. Da muss die Mannschaft hellwach sein, damit man nichts verpasst und weiterwächst.
Sie haben mehr als 40 000 Mitarbeiter. Mit einer einzigen Person sind Sie per Du, richtig?
Ist mir nicht bekannt, nein, ich bin mit niemandem per Du. Das ist bei uns nicht üblich. In der Schweiz ist dieser Brauch verbreiteter, aber für mich ist das kein Thema und für die andern auch nicht. Die Kollegen untereinander in der Geschäftsleitung duzen sich zum Teil, das kommt von unserem flinken Holländer her, dem Finanzchef, der für einen eher lockeren Umgangston in der Geschäftsleitung steht. Aber mit dem CEO sind sie alle per Sie, der hält den gleichen Abstand wie ich.
In letzter Zeit haben Sie begonnen, Ihre Nachfolge vorzubereiten – der Weltkonzern Kühne + Nagel bald ohne Klaus-Michael Kühne?
Ich muss Sie enttäuschen, ich denke nicht an Rückzug. Solange ich mich fit fühle, mache ich weiter. Für mich gibt es keine fixe Altersgrenze und keinen terminierten Rückzugsplan.
Gleichwohl haben Sie kürzlich die Kühne Holding aufgebaut, die dereinst Ihr Vermögen verwalten soll.
In der Holding sitzen nun sechs Leute – Familienunternehmer und Vermögensverwalter. Für mich war das ein langer und wichtiger Prozess, den mir auch meine Berater empfohlen haben. Ich hatte die Möglichkeit, mir nahe stehende Deutsche in diese Kühne Holding hineinzunehmen. Aber ich wollte bewusst Schweizer, weil das Unternehmen hier verankert ist und ich mich hier wohl fühle.
Neu sitzen SVP-Nationalrat und Unternehmer Peter Spuhler und die Investorin Carolina Müller-Möhl in Ihrer Holding. Wie sind Sie auf die beiden gekommen?
Frau Müller-Möhl ist mir empfohlen worden. Ich habe sie vorher nicht gekannt. Vor ein paar Monaten habe ich sie dann mal kennen gelernt – eine sympathische Dame, die ihre diversen Beteiligungen sehr bewusst disponiert und sicher auch gute Berater hat.
Was erwarten Sie von ihr?
Ich glaube, dass sie sich mit Themen wie Portfolios, Nachfolgeregelung und Vermögensverwaltung intensiv auseinander setzt und sehr klug ist.
Peter Spuhler?
Kannte ich persönlich auch nicht. Ich habe ihn bei Gelegenheit getroffen, da hat man, obschon jeder von uns viel zu tun hat, gleich gemeinsame Interessen gefunden. Ich freue mich, dass er sich interessiert, in der Holding mitzudenken. Spuhler ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit.
Als Unternehmer und Politiker ist er voll ausgelastet. Und jetzt soll er auch noch Ihr Aktienportfolio verwalten.
Na ja, da gibt es zurzeit nicht sehr viel zu tun, weder Herr Spuhler noch Frau Müller-Möhl haben eine operationelle oder strategische Verantwortung im Konzern. Beide sitzen in einem Gremium, das eines Tages Bedeutung bekommen soll, wenn ich nicht mehr da bin. Diese Holding ist eine Art Vorsorgemassnahme zwecks späterer Verwaltung meines Vermögens. Ein Aufwand ist diese Arbeit derzeit nicht: Da gibt es gerade mal zwei Sitzungen im Jahr.
Zu einem sechsstelligen Honorar?
Nein, nein. Das sind bescheidene Honorare. Der Austausch und der besondere Charakter eines Halbfamilienunternehmens stehen im Vordergrund, nicht die Bezahlung.
Was sagt Ihnen Geld?
Ich bin eher anspruchslos.
Sie sind Milliardär, gehören zu den Reichsten Europas.
Das Geld steckt in der Firma. Mein Luxus sind drei Häuser, eines auf der Lenzerheide, eines auf Mallorca, eines in Schindellegi. Dann fahre ich gerne in den Süden oder in die Berge, spiele oft Tennis. Und ich unternehme mit meiner Frau ab und zu eine Schiffsreise.
Auf dem Frachter?
Nein, in der gehobenen Klasse eines Passagierschiffes. Aber es ist richtig: Grosser Luxus sagt mir nicht allzu viel. Um diese Annehmlichkeiten geniessen zu können, hab ich gar keine Zeit. Triebkraft war bei mir persönlich immer der Gestaltungswille, nicht die Maximierung des Vermögens.
Welchen Preis haben Sie für Ihren unternehmerischen Erfolg bezahlt?
Mein Leben war stets geprägt von zu viel Arbeit und zu wenig Freizeit. Umso mehr geniesse ich nun etwas mehr Privatleben.