Der Akt entbehrte nicht einer gewissen Symbolik. An einem schulfreien Mittwochnachmittag im letzten Oktober trat Sandrine Gostanian mit der Schere in der Hand vors rote Band und durchschnitt es. Nach vier Jahren Zaudern, Zittern und Zagen war sie endlich am Ziel ihrer Wünsche. Das erste Schweizer Edutainment-Center, «Kindercity» in Volketswil ZH, war eröffnet. Auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern konnten sich seither über 150 000 Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren und ihre Eltern auf spielerische Weise mit Wissenschaft und Technik befassen. «Die Besucherzahlen übertrafen alle unsere Erwartungen», sagt die agile Jungunternehmerin. Offensichtlich hatte sie die perfekte Marktlücke entdeckt, in die sie erfolgreich vorgestossen war.

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So wie die «Kindercity» sind quer durch die Schweiz Tausende von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) daran, den Reichtum der hiesigen Wirtschaft zu mehren – äusserst emsig. Helvetic Airlines etwa, die am Zürcher Flughafen durch ihre pinkrote Flugzeugfarbe auffällt, hat es in zwei Jahren geschafft, die ganze Billigflieger-Konkurrenz zu blamieren. In den ersten zwölf Monaten ihrer Existenz hatte sie mit ihrer Flotte von sieben Fokker über 400 000 Passagiere transportiert. Dieses Jahr sollen es 600 000 Passagiere sein. In einem schwierigen Markt, der von Überkapazitäten, sinkender Auslastung und steigenden Spritpreisen gebeutelt ist, hat Helvetic 100 Jobs geschaffen.

Nicht nur in den grossen Zentren, auch im Hinterland lässt sich komfortabel und erfolgreich geschäften. Die Elektrisola in Escholzmatt, in der tiefsten luzernischen Provinz, ist Weltmarktführerin in ultrafeinem Kupferlackdraht – mit diversen Werken von den USA bis China. Der dünnste von der Firma hergestellte Draht ist feiner als ein menschliches Haar.

Klein, aber fein. Helvetiens KMU-Szene ist mit Perlen gespickt. Was kein Wunder ist. Die Schweiz ist das KMU-Land par excellence. Exakt 305 807 Klein- und Mittelunternehmen gibt es hierzulande, die über zwei Millionen Angestellte oder zwei Drittel aller Arbeitnehmer beschäftigen. Allein in Mikrounternehmen mit einem bis neun Mitarbeitern sind rund 850 000 oder über ein Viertel aller Schweizer Arbeitnehmer tätig. Die rund 1000 Grossunternehmen mit 250 und mehr Angestellten dagegen besetzen lediglich einen Anteil von 0,3 Prozent in der schweizerischen Firmenlandschaft.

Das Bild von den alles beherrschenden Grossunternehmen täuscht. Das Schweizer Sozialprodukt von 440 Milliarden wird zum überwiegenden Teil von den Davids und nicht den Goliaths der Wirtschaft erarbeitet. Ausgehend von einer gleichmässigen Produktivität der Schweizer Arbeitskräfte, dürften dies rund 300 Milliarden Franken sein – ein stattlicher Betrag.

Was macht den Erfolg eines KMU aus? BILANZ wollte es etwas genauer wissen und fragte vier Experten, welches ihre fünf bis zehn ganz persönlichen Top-KMU sind. Fünf hat BILANZ schliesslich ausgewählt. An der Befragung beteiligt haben sich die Beratungsfirmen BDO Visura und KPMG, das KMU-Institut der Universität St. Gallen und das Institut für Jungunternehmen (IFJ), das ebenfalls in St. Gallen domiliziert ist. Die Experten waren BDO-Chef Rudolf Häfeli, Prof. Thierry Volery von der Uni St. Gallen und IFJ-Partner Beat Schillig. Die Top-KMU-Liste der KPMG wurde von Kommunikationschef Stefan Mathys zusammengestellt.

Die Ingredienzen eines reüssierenden KMU waren nicht so einfach zu orten wie die Top-KMU-Listen. Simple Rezepte taugen nichts, zu vielfältig sind die Firmen und ihre Marktbedingungen. Am schlagendsten brachte es Uni-Professor Volery auf den Punkt: «Die Wertschöpfung eines KMU ist der entscheidende Massstab für eine Spitzenstellung.» Volery hat mit seiner Aussage indessen nicht allein den Profit im Visier, sondern die Leistungen an alle Stakeholder wie die Löhne der Mitarbeiter, die staatlichen Abgaben, die Dividenden der Aktionäre, aber auch die Stärkung der inneren Finanzkraft der Firma.

Für Beat Schillig, dessen Institut schon vielen Jungunternehmern auf die Sprünge geholfen hat, besteht der Erfolg eines KMU aus einer Mixtur verschiedener Faktoren: «Es braucht ein klar fokussiertes Business-Modell, eine Differenzierung im Wettbewerb über Innovation und Speed sowie charismatische und visionäre Leadership.» Eine solche Firma ist laut Schillig die 24translate.ch, eine seit drei Jahren bestehende Übersetzungsfirma in St. Gallen. Sie zählt bereits zahlreiche Grossfirmen zu ihrem Kundenstamm. Beat Schillig begründet die Erfolgsgeschichte: «Dank geschicktem Einsatz von Internettechnologien ist das Unternehmen in Bezug auf Kosten, Schnelligkeit und Servicequalität absolut einzigartig.»

Aus Sicht des Bankers muss das erfolgreiche KMU drei Kriterien erfüllen. «Der wichtigste Faktor ist das Management», sagt Christof Wolfer, Relationship-Manager Firmenkunden bei der UBS. Der KMU-Manager dürfe nicht statusorientiert sein, er müsse sich selber hinterfragen und zudem Rat von aussen annehmen können. Wolfer hebt als zweiten Punkt die Finanzen hervor: «Der Cashflow muss reichen, um die eigenen Investitionen und die Zinsen und Amortisationen an die Bank zu zahlen.» An dritter Stelle nennt UBS-Manager Christof Wolfer die Fähigkeit, ein Produkt oder eine Dienstleistung professionell und kreativ zu vermarkten.

Bei Christen Baumann war gleich das ganze Management-Repertoire gefordert, als er 2002 den Chefposten bei den fusionierten Zermatt Bergbahnen antrat. «Als Erstes», sagt er, «musste ich die Kosten in den Griff kriegen.» Er schloss acht Kilometer Piste und sparte damit 200 000 Franken. Er schaffte fünf neue Pistenfahrzeuge an, die jetzt längere Pisten schneller präparieren als die acht alten zuvor. Baumann kannte keine Tabuzonen. Alles stand zur Disposition. Weniger, dafür bessere Leute brauchte man. Er fuhr das Angebot herunter, schloss unrentable Pisten und erklärte sie – geschickter Schachzug – zur Freeride-Zone. Inzwischen hat Baumann die Zermatt Bergbahnen wieder auf Kurs: «Wir haben alle Ziele erreicht.»

Der Umsatz von Maxon Motor wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit um 25 Prozent auf 200 Millionen Franken. Der Hersteller kleiner, leistungsstarker Elektromotoren (der kleinste hat vier Millimeter Durchmesser) ist mit 850 Mitarbeitern allein in Sachseln OW grundsätzlich aus den KMU-Schuhen herausgewachsen. Maxon-Chef Jürgen Mayer versteht sich dennoch durchaus als KMU-Vertreter. Sein Erfolgsrezept bringt er auf eine kurze Formel: «Maxon ist gleich Mensch plus Ansporn mal Offensive plus Neugier.» Über seine Mitarbeiter gerät Mayer ins Schwärmen: «Ich kenne die meisten unserer Leute persönlich.» Sie sind hoch motiviert und lassen ihrem Gefühl für Qualität und Präzision, das den Schweizern besonders eigen ist, freien Lauf.

Liegt die spezielle Stärke von Maxon bei der Präzision, so ist dies bei der Egerkinger Spirig Pharma die Innovation. In schneller Kadenz bringt die auf Sonnenschutz- und dermatologische Produkte spezialisierte Solothurner Firma neue Angebote auf den Markt. Spirig ist ein typisches KMU: Mit 206 Vollzeitstellen schafft es 128 Millionen Franken Umsatz bei einem Wachstum von sieben Prozent. Chef Christian Pflugshaupt hat sich die Latte hoch gelegt. Speed ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Mit der Sonnenschutzcrème Daylong hat er bezüglich Wasserfestigkeit neue Massstäbe gesetzt, und mit der neusten Crème aus der gleichen Produktelinie soll mit Vitaminisierung der Alterungsprozess der Haut verzögert werden. Nicht weniger als Maxon setzt Spirig voll auf motivierte Mitarbeiter: «Sie sind mit 20 Prozent Gewinnbeteiligung substanziell am Erfolg der Firma beteiligt», sagt Pflugshaupt. Technologische Spitzenleistungen sind auch für ihn ein Muss. 15 Prozent des Umsatzes gehen in Forschung und Entwicklung. «Das ist viel. Wir gelten ja als nicht forschende Industrie.»

Einen anderen Weg geht die Weggiser Firma Thermoplan, die 125 Angestellte beschäftigt. Das Familienunternehmen von Domenic Steiner hat die Forschung und Entwicklung ins Wallis ausgelagert, wo 13 Spezialisten unter Leitung der Gebrüder In-Albon seit 2002 in frischer Bergluft und mit Unterstützung der Ingenieurschule Sitten an neuen Kaffee- und anderen Maschinen tüfteln, die in 52 Länder exportiert werden. Thermoplan ist Exklusivlieferant der Kaffeehauskette Starbucks. Jetzt ist Steiner daran, mit Starbucks einen neuen Fünfjahresvertrag zu unterzeichnen. «Wir wollen jedoch nicht mehr als 50 Prozent unseres Absatzes mit Starbucks machen», sagt Domenic Steiner. Sonst sei man zu sehr abhängig. Innovativ ist er auch die Auslandexpansion angegangen. Nicht selber, sondern über ein internationales Netz von Partner-KMU, die Vertrieb und Wartung der Maschinen übernehmen. Als Beispiel nennt Steiner First Choice in London mit mehr als 100 Mitarbeitern. Als das Unternehmen in die Partnerschaft eingebunden wurde, hatte sie vier Personen auf ihrer Lohnliste.

Eine Firma eigener Prägung ist Abacus, die vor 20 Jahren von drei HSG-Absolventen und einem Treuhänder gegründet wurde. Während Thermoplan für ihre Mitarbeiter einen vollamtlichen Englischlehrer beschäftigt, unterhält die in Kronbühl bei St. Gallen residierende Abacus einen Musiksaal für ihr Personal. «Softwareentwicklung ist wie in einem Orchester, verschiedene Module müssen miteinander harmonieren», sagt Thomas Köberl, einer der Abacus-Gründer. Das Start-up wiederum war untypisch für New-Economy-Firmen, die oftmals nur auf Grund einer «gut erzählten Geschichte» entstanden sind. «Wir hatten zuerst ein Produkt, die Firma gründeten wir danach», sagt Köberl. Die vier Jungunternehmer, so meint er rückblickend, waren im Jahr 1984 mit ihrer Finanzbuchhaltung für KMU einfach nur «zur richtigen Zeit am richtigen Ort». Glück gehabt. Die Beratungsfirma OBT suchte damals ein solches Produkt für den PC und sorgte für die Verbreitung des Programms. Heute bietet Abacus unter dem Motto «Wir bringen den Kunden weiter» ein ganzes ERP-System von der Auftragsabwicklung bis zur Lohnbuchhaltung an und setzt mit insgesamt 150 Mitarbeitern geschätzte 25 Millionen Franken um.

«Für ein KMU entscheidend ist nicht das Umsatzwachstum», sagt KMU-Berater Thomas Koller von der OBT, «sondern die permanente Anpassung an sich schnell verändernde Rahmenbedingungen.» Es sei die Unfähigkeit, sich mit neuen Ideen am Markt zu behaupten, die viele KMU scheitern lasse. Nicht Steuern oder andere staatliche Hürden seien der grösste Jobkiller im Bau, in der Beratungs- oder der Gastroszene. «Es gibt keine schlechten Branchen», sagt Koller, «nur schlechte Firmen.»