Sanft in die Kurve reinbremsen», mahnt der Beifahrer, «Geduld, du musst Geduld haben.» Wieder und wieder. Und dann noch mal «Jetzt brems!» vor der nächsten Biegung, die Anlage gleicht formal einer Pferderennbahn: zwei lange Geraden, verbunden mit weiten, kreisrunden Bögen. Gemächlich soll man in die Bögen einfahren, «erst im Scheitel Gas geben und dann schön rausdriften», sagt Sébastien Dhouailly, der Mann nebenan.
Er macht einen derart freundlich-harmlosen Eindruck, dass man ihn googeln muss, um zu erfahren, dass in seiner gemütlichen Hülle ein beinharter Rennfahrer steckt. Aber auch nicht so beinhart, dass er sich von den 690 Pferden im Motorraum anstecken lassen würde, das Ganze etwas waghalsiger anzugehen – zudem zählt sein Instruktorenvertrag mit Sicherheit zu den vornehmsten Pflichten, das Auto heil durch den Tag zu bringen.
Also beschleunigen wir auf der Geraden bis knapp 100 km/h, was die Winterreifen auf blankem Eis eben hergeben, bis Sébastien englisch «brake!» anordnet, gefolgt von nicht enden wollendem Rollen bei 50 km/h bis zum Scheitel dieser Linkskurve, dann endlich angasen und die Vorderräder zackig links einschlagen – doch driften wollen die Pferdchen wieder einmal nicht. Geht man es mit dem Gasfuss zu ehrgeizig an, dann gerät der Drift zum Kreisel, und ist man zu zaghaft, rollt man schlicht weiter durch die Kurve und versucht es am Ende der Gegengeraden erneut.
Längst nicht so willig wie ein Hecktriebler
Hier und da klappt es zur Freude der Insassen aber – und falls nicht, kann gar nichts passieren. Die Streckenbegrenzung besteht nicht wie üblich aus mannshohen Schneewällen, sondern nur aus kniehoch zusammengeschobenen Mäuerchen. Die an sich verlockende Aussicht, den Supersportwagen einmal sportlich in die Wand krachen zu lassen, bleibt also ein Wunschtraum. Dafür bleiben aber auch jene 690 Pferde, die zusammen einen Wert von 310 000 Franken repräsentieren, bis zum Abend unbeschädigt.
Zur Ehrenrettung ist zu sagen: Es ist schon eine kleine Kunst, den Ferrari GTC 4 Lusso zum Seitwärtsfahren zu bringen. Als Allradler folgt er dem einfachen Driftbefehl (zu viel Gas in der Kurve) längst nicht so willig wie ein Hecktriebler, weil es die Elektronik seltsam findet, wenn bei eingeschlagenen Vorderrädern der Gasfuss trotzdem am Bodenblech klebt.
Mit 140 Stundenkilometern in die Kurven
Allerdings – was machbar ist, zeigt Ferrari-Cheftestfahrer Raffaele de Simone. Der driftete bei sogenannten Taxifahrten – er am Lenker, daneben ein staunender bis verängstigter Beifahrer – mit 140 Stundenkilometern in die Kurven hinein. Wir mussten bis zum Scheitel stillhalten, und der fährt schon vor der Kurve quer.
Klar, der Mann macht den lieben langen Tag nichts anderes, freundlich und bescheiden ist er auch noch. Dennoch war es verwirrend, wie viel Präzision bei so hohem Tempo möglich war – und so fanden wir bei einer Sonderinspektion seines Autos heraus: Seine Reifen waren mit Spikes ausgerüstet; das verschafft mehr Kontrolle und besseren Grip. Aber ganz ehrlich: Auch mit Spikes hätte ihm keiner folgen können.
30 mal 40 Kilometer Fläche
Im weiten Nichts von Lappland, rund um das Kleinstädtchen Arjeplog beim Polarkreis, testet die halbe Armada europäischer Autohersteller ihre Produkte. Hier sind die Seen bis weit in den Frühling zugefroren, in Ruhe können die Ingenieure Fahrwerke auf Eis und Schnee abstimmen und die Vertriebsabteilungen und Händler gute Kunden zu Fahrertrainings einladen, die auf Asphalt gar nicht möglich sind oder zumindest die Gefahr unschöner Kaltverformungen in sich tragen.
Jener See, auf den Ferrari eine strom- und Wi-Fi-bespielte, Firmenfahnen-umflatterte Holzhütte gepflanzt hatte, misst satte 30 mal 40 Kilometer. Genug Raum für Handling-Parcours mit unterschiedlichsten Kurvenkombinationen, Driftkreisel in diversen Radien oder Flächen mit Hütchenalleen für Brems- und Ausweichübungen. Sogar eine komplette Rennstrecke hat Ferrari auf dem Eis nachgebildet.
Und wenn schon das Driften nicht bei jedem Teilnehmer klappte, hat sich zumindest eine Erkenntnis breitgemacht: wie einfach der Monstersportler sogar auf glattestem Untergrund zu beherrschen ist; wer das Auto nicht willentlich jenseits der physikalischen Grenzen bewegt, kann die Pferdchen kaum dazu bringen, dem Reiter durchzugehen. Hilfsmittel namens «4RM Evo mit F1-Trac», «E-Diff», «PTU», «ESC 9.0», «SSC4» oder eine Hinterachslenkung ohne Geheimcode halten den Italiener, der im Trockenen bis 335 km/h beschleunigt und die 100 schon in 3,4 Sekunden erreicht, auf eisigen Seen in der Spur.
Mehrere Monate stationiert
Nicht immer ist hier oben im Norden den Uneingeweihten ganz klar, welche Automarke wo arbeitet, bisweilen teilen sich mehrere Hersteller die Zufahrtsstrassen zu den zugefrorenen Seen. Während dieser «Esperienza on Snow» von Ferrari passierte man unter anderem Testgelände von Mercedes-AMG, den Zulieferern Continental und Knorr-Bremse, und am nahe gelegenen Flugplatz Arvidsjaur, dem Einfallstor der Ingenieure, Fahrschüler, Instruktoren und Eventmanager, trafen die Ferraristi auf Teilnehmer eines «Drive» mit Museumsfahrzeugen einer deutschen Sportwagenmarke Richtung Süden.
Wochenlang sind die Abordnungen der Autofirmen hier oben stationiert, manche sogar mehrere Monate. Da liegen durchaus kleine Ausflüge drin wie ins «Iglootel» in Arjeplog, eine Iglu-Stadt mit zehn Hotelzimmern, die unter deutschem Management steht. 35 000 Kubikmeter Schnee werden jedes Jahr über Ballons aus Lastwagenplanen-Material verteilt und verdichtet, dann die Luft allmählich aus den Ballons abgelassen, bis die Iglus bombenfest stehen.
Während die Temperaturen im Freien bis minus 30 Grad Celsius sinken können, isoliert der Schnee die Innenräume zu angenehmen null bis minus zwei Grad. Wer hier übernachten will, schläft auf und unter kuscheligen Rentierfellen. Alternativ hält das Bar-Iglu Flüssigkeiten vor, um sich von innen aufzuwärmen.
Fototermin und Fahrerwechsel
Was dem Ferrari mit seinem bärigen Zwölfzylinder angemessener scheint als Eistanz auf dem See, ist der «Scenic Drive» zum Polarkreis. Durch endlose, lichte Wälder, vorbei an Bächen, Seen und Schneemobilwegen, 70 Kilometer über eisbedeckte Nebenstrassen. Ein unscheinbares Schild am Strassenrand markiert den Breitengrad, wo die Sonne zur Sonnenwende im Sommer nicht untergeht, Fototermin, Fahrerwechsel, dann wendet die Karawane.
Für den «Drive» hat Ferrari keine Instruktoren in die Autos gesetzt, sondern je zwei Teilnehmer teilen sich die Fuhre. Nebenan am Steuer pilotiert nun ein sympathischer Reporter der «Züri-Ziitig», der zu Hause offensichtlich Winterfahr-Erfahrung gesammelt hat – und sich mehrmals absichtlich zurückfallen lässt, um es dann mit Vollgas kurz krachen zu lassen. Nimm das, Sébastien Dhouailly!
Leider bleiben uns nur wenige erregende Sekunden, bis wir die Lusso-Gruppe wieder eingeholt haben. Doch im Zeitalter der Drei- und gar Zweizylinder sind zwölf Töpfe ein wohltuend altmodischer, garantiert gottgefälliger Luxus-Fahrspass. Nichts ist eben besser als Hubraum, sagt das Sprichwort – ausser noch mehr Hubraum. Umso mehr, wenn die Fahrbahn einmal abgetrocknet ist.