Seit dem Amtsantritt von Präsident Trump ist der Handelsstreit ein Dauerthema. Unser wahrscheinlichstes Zukunftsszenario ist, dass wir vor einer langwierigen und umfassenden Neukalibrierung der internationalen Beziehungen stehen. Die USA und China werden keine einfache gemeinsame Basis finden. Beide Staaten befinden sich im Wettbewerb, und dabei geht es letztlich um technologische Vorherrschaft.

Wer setzt die technologischen Standards für die kommenden Jahre? Wer hat bei den Dual-Use-Technologien wie 5G die Nase vorn und gewinnt daraus einen Vorteil im Mächtegleichgewicht? Wer die Schlüsseltechnologien bestimmt, bestimmt die Zukunft und verschafft seiner eigenen Wirtschaft einen Vorteil. Angesichts dieser Dimension erscheint der aktuelle Streit um Zölle auf Stahl oder Motorräder lediglich wie eine Ouvertüre.

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Der Autor

Zeno Staub ist seit Mai 2011 CEO der Bank Vontobel. Zuvor arbeitete er dort als CFO, Leiter des Investment Banking und Leiter des Asset Management. Er studierte und promovierte an der Universität St. Gallen. Diesen Gastbeitrag verfasste er für BILANZ.

In diesem Ringen um technologische Vorherrschaft befindet sich Europa in einer Zwickmühle. Da beide Parteien aus guten Gründen eine direkte Konfrontation meiden werden, dürfte Europa einer der Stellvertretermärkte für den Wettkampf um die Zukunft sein. Europa ist aber unter den drei grossen Wirtschaftsregionen gegenüber Abkühlungen des globalen Wirtschaftsklimas, induziert durch einen Handelsstreit, besonders exponiert.

Erwartungen können nicht gleichzeitig erfüllt werden

China wird in diesem Zukunftsszenario das Werben um Europa erhöhen. So könnte China westlichen Unternehmen den Zugang zu bisher verschlossenen Sektoren im eigenen Land geben oder Zölle für Waren und Dienstleistungen von nichtamerikanischen Unternehmen senken. Andererseits wird China um weiterhin offene Türen für seine Auslandsinvestitionen in Europa werben. Europa wird sich derartigen Avancen nicht verschliessen, aber sich mit diesen Fragen auch nicht leichttun.

Auf Dauer wird es nicht möglich sein, die Erwartungen beider Seiten gleichzeitig zu erfüllen.

Die USA werden Europa nicht die Möglichkeit geben, neutral zu bleiben. Andererseits scheint es aber auch unwahrscheinlich, dass sich Europa vollständig den Wünschen der USA unterwirft. Die Bedeutung chinesischer Produkte für die europäische Infrastruktur ist bereits zu gross. Damit läuft Europa Gefahr, zwischen die Linien zu geraten und zum Verlierer zu werden.

USA wird als Produktionsstandort wichtiger

Gewinner werden Vietnam, Indonesien, Thailand, Bangladesh, Taiwan, Malaysia und Mexiko sein – zumindest in der frühen Phase der Streitigkeiten. Chile, Argentinien und Brasilien könnten zudem davon profitieren, dass sich die USA im Zuge der selbst auferlegten Sanktionen als Zulieferer für China selber aus dem Rennen nehmen.

Gleichzeitig werden die USA als Produktionsstandort wieder an Bedeutung gewinnen. Die Klimadebatte steht gegen lange Transportwege. Neue Technologien wie 3-D-Drucker reduzieren die Produktionskosten auch in Hochlohnländern auf ein wettbewerbsfähiges Niveau. All diese Verschiebungen in den globalen Wertschöpfungsketten werden natürlich auch Investoren vor massive Herausforderungen stellen.

Schweizer Neutralität als Leitstern der Navigation

Für die Schweiz bergen diese Entwicklungen Chancen und Risiken zugleich. Als Exportnation lebt sie von offenen Märkten. Eine Welt, in der nur das Recht des Stärkeren gilt, ist nicht im Interesse eines hoch spezialisierten Kleinstaates. Entsprechend gilt es, das Engagement für eine Welt mit freien Märkten und hoher Rechtssicherheit auszubauen. Und die Schweiz muss im eigenen Markt alle grossen Spieler mit derselben Elle messen.

Wird die Welt multipolarer, wird die Neutralität wieder zum Leitstern der Navigation. Die Schweiz ist klein und spezialisiert genug, um unabhängig zu navigieren. Immer im Sinne eines internationalen Dialogs für freie Märkte und friedliche Koexistenz, aber auch ganz pragmatisch im Sinne der Schweizer Wirtschaft.