Die grösste Kunstmarkt-Hausse aller Zeiten treibt seltsame Blüten. Sammler gebärden sich wie Händler, indem sie Werke wie Aktien auf den Markt werfen. Gleichzeitig verkaufen Auktionshäuser atelierfrische Kunst, als wären sie Galerien. Galeristen wiederum sammeln selber und stellen ihre Kunst werbewirksam im Museum aus.
Ein Avantgardist des multidisziplinären Handelns ist Pierre Huber, Genfer Galeristenlegende, Sammler, Kunstproduzent und seit neustem Messegründer.
Vor kurzem war seine Sammlung internationaler Gegenwartskunst im Kunstmuseum Lausanne ausgestellt. Jetzt kommen 78 kapitale Werke bei Christie’s in New York auf die Auktion; acht Prozent seiner Sammlung, wie Huber sagt.
Vertreten sind mit On Kawara und Dan Flavin die amerikanische Minimal Art und die Konzeptkunst, mit einer 60-teiligen Serie von Thomas Ruff und Werken von Cindy Sherman die Fotografie und mit Albert Oehlen die deutsche Malerei. Vor dem Rockefeller Center wird zudem eine sieben Meter hohe Installation des indischen Künstlers Subodh Gupta zu stehen kommen, die erst vor wenigen Monaten auf die FIAC in Paris hin entstanden ist (geschätzt auf 200 000 bis 300 000 Dollar). Ausserdem gibt es raumfüllende Installationen von Kader Attia, Mike Kelley und John Armleder zu erwerben, darunter eine Installation mit 150 lebenden Tauben, die sich an aus Vogelfutter geformten Kinderfiguren zu schaffen machen.
Der Verkauf ist zugleich ein Statement. Huber kritisiert ein System, in dem sich Galeristen als mächtige Zuteiler aufspielen, die für künstlich verknapptes Gut die Sammler selektionieren. «Es ist für mich heute praktisch unmöglich geworden, an wichtige Werke heranzukommen. Ich will aber selber entscheiden, was ich kaufe – und nicht von Galerien Werke zugeteilt bekommen. Darum orientiere ich mich um.»
Huber, ein ehemaliger Sportlehrer und Restaurantbesitzer, öffnete 1984 seine Galerie in Genf. Er kam mit John Armleder in Kontakt, schärfte sukzessive seine Kenntnisse in der Kunst, stellte früh Cindy Sherman und Paul McCarthy aus. Er kaufte Teile von Charles Saatchis früherer Sammlung, schloss seine erste und öffnete eine zweite, kleinere Galerie, wo er Sylvie Fleury, Fischli/Weiss, Olivier Mosset und John Armleder vertritt. Gleichzeitig begann er, im grossen Stil zu sammeln.
Künftig setzt er den Sammelschwerpunkt auf Kunst aus Asien. In China, wohin er seit 1995 jährlich zwei- oder dreimal reist, unterstützt er eine Kunstklasse für neue Medien. Ausserdem wird Huber zusammen mit Lorenz Rudolf, dem ehemaligen Leiter der «Art Basel», im September eine Kunstmesse in Shanghai aus der Taufe heben.
Sammler und Galerist Huber als Kurator und Verkäufer, die Auktionsräume voller Grossinstallationen wie im Museum: Dies ist in der novitätensüchtigen Kunstarena eine Premiere, über die sich keiner so sehr ins Fäustchen lacht wie Huber selbst. «Ich habe mir Christie’s quasi angeeignet: Ich veranstalte die erste kuratierte Auktion», sagt er.
Hubers Aktivitäten tragen die Züge von Performances. Wenn er das Auktionshaus als eigene Bühne nutzt, werden die wichtigsten Museen und Grosssammler um die Werke buhlen. Im Mittelpunkt steht dabei Huber, und nebenbei wird ein Scheinwerfer darauf geworfen, wie sehr Auktionshäuser zu den neuen Bewertungsinstanzen für museale Kunst geworden sind.
Huber, 65-jährig und selbst längst Teil des hyperventilierenden Kunstmarktes, kritisierte jüngst wiederholt die Kommerzialisierung der Kunstwelt. Während 14 Jahren sass er im Beirat der «Art Basel», deren Expansion nach Miami er von Beginn weg skeptisch gegenüberstand. «Die ‹Art Basel Miami Beach› ist der Club Méditerranée der Kunstwelt», sagt er. Die «Art» verzettle sich, ihr Niveau werde dadurch nivelliert, und die Messen hätten die Fabrikation von Kunst beschleunigt.
Huber ist also selbst ein Rad im Getriebe – mit dem Unterschied, dass er in einer Art paradoxer Intervention das System ausreizt: Im Rückblick wirkt die Museumsausstellung seiner Sammlung, die kaum mehr als 10, 15 Jahre alt ist, wie eine besonders gerissene Promotion für den Verkauf bei Christie’s. Doch Huber räumt ein, erst an den Verkauf gedacht zu haben, als der Plan eines Museumsbaus in Lausanne an der Politik gescheitert sei.
Insider und Kollegen finden Hubers sinnfällige Provokationen mehr amüsant als anrüchig und loben seinen Geschäftssinn. «Er könnte auch Bilder verkaufen, wenn sie verkehrt an der Wand hingen», sagt Victor Gisler von der Galerie Mai 36. Gisler schätzt ihn als genialen Ideengeber, von dem die «Art Basel» profitierte. Als Beirat der Basler Kunstmesse erfand Huber etwa die kuratierte Schau für Grosswerke, die «Art Unlimited», und die Talentschau «Statements». Er propagierte als Erster die Einladung von Galerien aus China und Indien; in seiner Galerie zeigte er schon Kunst aus China, bevor Harald Szeemann sie 1999 an die Biennale in Venedig holte. «Die ‹Art Basel› wäre ohne Pierre Huber nicht das, was sie heute ist», sagt Victor Gisler, selbst Beirat der Kunstmesse.
Hubers Auftritte in der zusehends auf Glamour und Spektakel getrimmten Kunstwelt sind oft gerissene Inszenierungen. Die Messen macht er sich zunutze, indem er regelmässig intelligente Kunstspektakel kuratiert und so dem Kunstmarkt den Spiegel vorhält. Sein Messestand an der «Art» ist dreimal so gross wie seine Galerie an der Rue des Bains in Genf – ein Fingerzeig
darauf, wie sehr sich das Geschäft von der Galerie in Richtung Messe verschoben hat. An der Pariser FIAC 2005 stellte er 1000 identische rote Bilder aus, gemalt von einem chinesischen Flachmaler für 100 Euro: ein Konzept des französischen Künstlers Raphaël Julliard. Der ganze Stand war ein Echo des Kunstbooms und des China-Runs – und flugs ausverkauft.
Huber benutzt die Veränderungen im Kunstbetrieb wie Wellen, auf denen er zu immer neuen Ufern surft – derzeit nach Asien, zur Selektion für die Kunstmesse «ShContemporary» in Shanghai.
ArtTalk
Zum Ereignis zu werden verspricht die Werkschau von Auguste Rodin (1840–1917), der die Bildhauerei seiner Zeit revolutionierte. Eine Kooperation mit der Royal Academy in London.
Rodin, Kunsthaus Zürich. Bis 13. Mai. www.kunsthaus.ch