Prosecco steht auf der Einkaufsliste. Auch Gurken, Brot, Käse und «Oliven und so Scheiss» – also Chips und Salzbretzel. Die Vernissage beginnt in zwei Stunden. Der Apéro darf nicht fehlen. Den Einkaufswagen schiebt Antonella Barone (34). Tanja Breu (35) wählt die Chips aus. Sie sind nicht die Künstlerinnen, sondern die Kuratorinnen. Barone aus dem Liechtenstein, Breu aus Zürich. Zusammen sind sie als Kollektiv Baronebreu unterwegs. Ihre Mission: Kunstschaffende entdecken, fördern, vernetzen und ihre Werke feiern. Kurz: Kunst ist das Leben der beiden Frauen. Was nicht heisst, dass sie davon leben können.
Global
Barone und Breu sind Teil des globalen Kunstmarktes. Im vergangenen Jahr wurden mit Kunst weltweit rund 70 Milliarden Franken umgesetzt. Das ist ein neuer Rekord.
Denner, Winterthur
«Nehmen wir die gleichen Oliven wie immer, oder?» – «Wie immer!» 126.55 Franken will die Kassiererin. Barone schiebt den vollen Einkaufswagen durch die Einkaufspassage Richtung Katharina-Sulzer-Platz. Dort steht der Kunstkasten, den die beiden kuratieren. Antonella Barone hat schlecht geschlafen. Albträume plagten sie – ausgelöst durch die stets gleiche Angst: Was, wenn niemand an die Vernissage kommt?
Global
Ein Prozent aller Transaktionen im globalen Kunstmarkt entfallen auf wenige Künstler wie Warhol, Picasso, Monet und Co. Diese wenigen Verkäufe machen allerdings 60 Prozent der Gesamtsumme aus. So steht es im neusten Bericht von Art Basel und UBS. Die grosse Mehrheit der Kunstschaffenden verkaufen ihre Werke für Summen unter 5000 Dollar. Pauline Cordier, Aramis Navarro und Britta Liv Müller – wir werden alle drei noch kennenlernen – sind damit das Gegenstück zu den toten Altmeistern. (Noch) nicht etabliert auf dem Kunstmarkt, dafür quietschlebendig. Offspace heisst dieser Teil des Kunstbetriebs. Es ist das Reich von Barone und Breu.
Kreis 4, Zürich
Es ist der Vormittag vor der Vernissage. In einem mehrstöckigen Haus, in dem auch viele andere Kreative ihre Büros haben, befindet sich das Atelier von Tanja Breu. Auf dem grossen Tisch der Gemeinschaftsküche haben die beiden Bewerbungsdossiers für eine von ihnen ausgeschriebene Plakatausstellung ausgelegt. Nur die Plakate von den 18 Dossiers, die ins grüne Mäppchen wandern, werden gezeigt. Die beiden vertiefen sich in eine Fachdiskussion. Sowohl Barone wie auch Breu arbeiten neben ihrer Arbeit als Kuratorinnen rund 60 Prozent. Antonella Barone als Projektleiterin im Mobilitätsbereich, Tanja Breu in der Beratung einer Kommunikationsagentur. Damit verdienen sie ihren Lebensunterhalt. Gemeinsam sind sie auch Tourguides im Kunsthaus Zürich. Ihre Arbeit als Kuratorinnen wirft kaum etwas ab.
Wichtig ist ihnen trotzdem, ihren Künstlerinnen und Künstlern eine Gage zu bezahlen. Um das Geld dafür zu bekommen, füllen sie Förderantrag um Förderantrag aus. «Wir verzichten auf Geld, Zeit – und an vielen Abenden auch auf unsere Freunde und Freundinnen. Neue Schuhe müssen wir budgetieren, Ferien sowieso.» Tanja Breu sagt: «Es ist gut, dass wir zu zweit sind. Ohne Antonella hätte ich längst aufgegeben.»
Atelier, Zürich
In Britta Liv Müllers (51) Atelier liegen viele Bleistiftskizzen auf dem Tisch. Eine Malerin ist Müller trotzdem nicht. Sie macht Performances. Aber auch diese entstehen auf einem weissen Blatt Papier. Ihr Atelier teilt sich Müller mit einer Künstlerin aus Griechenland. Eigentlich hätte sie nach der Schule den Gestalterischen Vorkurs machen wollen. Stattdessen wurde sie früh Mutter, machte eine Ausbildung als Primarlehrerin und bekam zwei weitere Kinder. Der Drang, gestalterisch tätig zu sein, liess sie in all den Jahren aber nie los. Vor zehn Jahren holte sie den Vorkurs nach. Jetzt ist sie bereit zum Durchstarten. Festlegen auf eine Disziplin will sie sich nicht. Aktuell ist sie angezogen von Räumen und ihren Möglichkeiten in Bezug auf Performances. Diese Performances bleiben nie lange Bleistiftskizzen, sondern erwachen so oft es geht zum Leben. Müller will raus, ihr Schaffen präsentieren. Für sie ist klar: «Kunst braucht ein Gegenüber.»
Hauptbahnhof, Zürich
Antonella Barone und Tanja Breu sind auf dem Weg nach Winterthur. Am Hauptbahnhof wollen sie einen Prosecco für die Zugfahrt kaufen. Sie müssen dabei über sich selbst lachen: «Wir beratschlagen gerade, welches der beste Dosenprosecco ist. Herzlich willkommen in unserer Welt.» Im Zug ist die emotionale Anspannung spürbar. Die paar Schlucke Prosecco helfen da kaum. Fassen wir darum zusammen: Stress, viel Arbeit, kein Geld. Warum tun die beiden eigentlich, was sie tun? «Weil ich morgens aufstehe und denke, dass ich der glücklichste Mensch der Welt bin», sagt Barone. Breu: «Es ist die pure Leidenschaft.» Barone: «Ich könnte auf einer Bank Tausende von Franken verdienen.» Breu: «Geld ist nice, aber nicht alles.» Barone: «Was ich hier mit Tanja mache, ist ein unglaubliches Privileg.» Breu: «Ausserdem macht es enorm viel Spass, an Vernissagen neue Leute zu treffen und ein Glas mit ihnen zu trinken.» Barone: «Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren davon leben können.» Prost.
Atelier, Zürich
Britta Liv Müller: «Wenn ich eine Idee für eine Performance habe, sehe ich alles in meinem Leben durch diese Linse. Manchmal denke ich schon, dass ich am liebsten alle meine Zeit für die Kunst einsetzen möchte, habe aber Respekt davor, meinen Lebensunterhalt damit verdienen zu müssen.» Deshalb arbeitet Müller weiterhin 50 Prozent als Primarlehrerin. Ihr Ziel ist, die Kunst in den nächsten Jahren zu einem finanziellen Standbein zu machen. Aktuell allerdings legt sie drauf. Unglücklich ist sie trotzdem nicht. Denn auch Britta Liv Müller umgibt etwas, das ansteckend ist. Ist es Glück? Leidenschaft? Oder beides?
Kunstkasten, Winterthur
Es ist 16.00 Uhr. Die Künstlerin Pauline Cordier (30) steht vor dem Kunstkasten. Barone parkiert den Apéro-Einkaufswagen. Die beiden Kuratorinnen umarmen Cordier. Sie sind begeistert. Antonella Barone ist so hingerissen vom Werk der Französin, dass die Spannung der letzten Tage von ihr abfällt – die grosse Sonnenbrille versteckt die Tränen. Pauline Cordier, die ihr Atelier in Genf hat, wirft immer wieder einen prüfenden Blick auf den Kunstkasten – die Farben ihres Werks verändern sich je nach Lichteinfall. Warum sie tut, was sie tut? «Ich glaube, Künstlerin zu sein, ist eine Entscheidung, die letztlich gar keine echte Entscheidung ist», sagt Cordier. «Es ist, was ich tun muss.» Und noch was: «Es macht mich glücklich.» Angespannt und vorfreudig ist Britta Liv Müller, die gleich eine Performance zeigen wird. «Es ist jedes Mal ein magischer Moment, wenn die Performance startet.»
So kommt an diesem Nachmittag auf dem Katharina-Sulzer-Platz in Winterthur alles zusammen. Auch etwa dreissig Menschen. Der Prosecco fliesst, obwohl es nieselt. Oliven und Co. werden verspeist. Die Performance und das Bild faszinieren die Kunstaffinen. Für Barone und Breu sind es Momente wie diese, die sie all den Stress, all die langen Abende vergessen lassen, an denen sie über Förderanträge brüten und Budgets erstellen. «Dieser emotionale Moment, an dem wir als Kuratorinnen Menschen zusammenbringen und zusammen mit der Künstlerin das fertige Werk präsentieren, das ist es. Das zählt. Dafür machen wir es.»