In den Auktionssälen von Sotheby’s und Christie’s in New York bot sich anlässlich der «Asian Week» im September das gleiche Bild wie im Frühjahr: Elegant gekleidete Inder lieferten sich Bietgefechte für Kunstwerke, deren Urheber bis vor kurzem nicht einmal die Angestellten der beiden Auktionshäuser buchstabieren konnten. Wer hat schon von Tyeb Mehta gehört, von Francis Newton Souza, Subodh Gupta, Atul Dodiya oder Shibu Natesan?
Es sind die Namen, die Christie’s, dem Marktleader im Bereich der indischen Kunst, einen Umsatz von 17,8 Millionen Dollar beschert haben – das höchste Total, seit das Auktionshaus indische Kunst versteigert. Bereits letztes Jahr hat Christie’s die Millionen-Dollar-Grenze für ein Werk eines indischen Künstlers überschritten. Tyeb Mehtas «Mahisasura», ein Werk, das eine vom Büffelgott aus der hinduistischen Mythologie inspirierte Tier- und eine Menschenfigur wild ineinandergeschlungen zeigt, ging für 1,6 Millionen Dollar an einen indischen Hedge-Fund-Manager.
Im Unterschied zum China-Boom wird der Markt für indische Kunst von Indern geprägt: Vor allem auf den Kunsthunger der NRI, der Non-Resident Indians, sind die Preissteigerungen von bis zu 1000 Prozent in fünf Jahren zurückzuführen. Es sind jene gutbetuchten Expat-Inder, die in den USA und England Karriere gemacht und Kunst zur gesellschaftlichen Distinktion auserwählt haben. Sie steigern online beim florierenden indischen Auktionshaus Saffronart.com ebenso wie in den Sälen der westlichen Kunstversteigerer.
Hinter dem Boom am Markt verbirgt sich aber tatsächlich auch eine der zurzeit vitalsten Kunstszenen.
Parallel zur späten Anerkennung und Valorisierung von Tyeb Mehta, Francis Newton Souza und Maqbool Fida Husain, die zur «Progressive Artists Group» gehörten – jener Künstlerbewegung, die, inspiriert von den Expressionisten, nach der Unabhängigkeit des Landes 1947 mit indischen Themen den Anschluss an die westliche moderne Kunst suchten –, tauchen jetzt Künstler der jüngeren Generation auf dem internationalen Kunstparkett auf. Dank Stipendien weit herumgekommen, wissen sie die ästhetische Sprache der Postmoderne mit indischen Themen zu verknüpfen. An der Biennale 2007 in Venedig werden sie laut dem Direktor Robert Storr, der im Sommer auf längerer Indien-Visite war, einen gewichtigen Teil der renommierten Kunstschau bestreiten.
Die Eigenständigsten unter ihnen, etwa Subodh Gupta, Jitish Kallat, Shibu Natesan, Anju und Atul Dodiya, schöpfen aus dem eigenen kulturellen Erbe und reflektieren in allegorischen Installationen, Video, Malerei und Zeichnung indische Geschichte und aktuelle Themen. So etwa die sozialen Umwälzungen nach der wirtschaftlichen Liberalisierung seit 1990, die Umarmung von westlichem Konsum durch die neue urbane Mittelklasse und die Verbreitung westlichen Lifestyles durchs Satellitenfernsehen.
Als einer der einflussreichsten Väter der jüngsten Künstlergeneration entpuppt sich Atul Dodiya, ein 47-jähriger, in Mumbai lebender Künstler. Sein Werk «Mirage» (2002), bei Sotheby’s in der letzten Herbstauktion für 216 000 Dollar an einen Händler verkauft, ist eine Malerei auf einer der typischen Rollladenfronten, die, mit realistisch-kruden Bildern versehen, von jedem noch so kleinen Laden in Indien als Werbefläche benutzt werden. Dodiyas Variante, die den Weg von Mumbai ins edle Environment des New Yorker Auktionshauses Sotheby’s geschafft hat, zeigt einen grinsenden Gandhi, wie er von zwei britischen Sicherheitsoffizieren abgeführt wird; dahinter kriechen auf einer Leinwand Ratten um Brancusis «Endless Column» herum. Gandhi und Brancusi –Dodiya lässt in Bildzitaten nationale Symbolik mit westlicher Kultur verschmelzen.
Ein Paradebeispiel für das Destillieren global relevanter Themen und indischen Belangen in einer westlich inspirierten formalen Sprache ist Subodh Gupta. Gupta, ein 42-jähriger ehemaliger Strassentheaterschauspieler aus Bihar, einem der ärmsten Staaten Indiens, sorgt seit einiger Zeit mit seinen Installationen und seiner Malerei zwischen London, Paris und Peking für Aufsehen. Bernard Arnault, Präsident der LVMH-Gruppe, gehört zu seinen Sammlern. Gupta transformiert Alltagsgegenstände wie Milchbehälter und Ambassador-Autos zu Fetischobjekten eines Indien, das sich im Transitzustand von ruraler zu global vernetzter Gesellschaft befindet.
Edelstahl-Küchenutensilien, wie sie in jedem indischen Haushalt zu finden sind, arrangiert er zu raumfüllenden Installationen, die in ihrer klinischen Sauberkeit auf das rigide indische Reinheitsgebot und die Kastentrennung im Hinduismus anspielen; für den westlichen Betrachter ruft dies in seiner dramatischen Schlichtheit die minimalistische Kunst eines Donald Judd in Erinnerung. Ein Werk aus dieser Serie, «Feast for Hundred and Eight Gods 1», 2005 in einer Editon von drei Stück produziert und von der Genfer Galerie Art & Public an der Frieze Art Fair für 30 000 Dollar angeboten, wurde bei Sotheby’s ein Jahr später bereits für 72 000 Dollar weiterverkauft.
Paradoxerweise trägt zum Bekanntheitsgrad dieser Künstler gerade die Globalisierung innerhalb der Kunstszene bei, die sie zum Teil kritisch kommentieren. International tätige Kuratoren schauen sich für Biennalen wie diejenigen von Venedig, Moskau oder Gwangju (Südkorea) nach Künstlern um, die von ausserhalb des euro-amerikanischen Umfelds stammen. In den letzten Jahren präsentierten auch Kunstmuseen in Paris, London und Turin Übersichtsausstellungen über die indische Gegenwartskunst.
Schon wittern Puristen die übermässige westliche Beeinflussung der indischen Kunst. Als ob Kultur sich nicht immer durch gegenseitige Impulse entwickelt hätte. Die Frage danach, wie genuin und pur eine Kultur ist, hat sich im Falle Indiens schon vor 500 Jahren erledigt: Schon die Mogulmalerei war von der italienischen Renaissancemalerei beeinflusst.