BILANZ: Sie waren soeben für längere Zeit in London, dem Epizentrum der zeitgenössischen Kunst. Was machen Sie für Tendenzen in der aktuellen Kunst aus?

Beatrix Ruf: London hat sich seit der Welle der Young British Artists (YBA) enorm verändert. Diese gross angelegte, von Damien Hirst und Charles Saatchi initiierte Strategie der Provokation ist nicht die Realität der britischen Kunst. Künstler wie Liam Gillick, Angela Bulloch, Rebecca Warren oder Eva Rothschild, mit denen ich schon früher zusammengearbeitet habe, waren schon immer schwer unter dieses Label zu packen. Ihre Arbeiten bieten keine spektakuläre Oberfläche an, sie sind weniger auf das Wiedererkennungsmoment ausgerichtet und somit komplexer.

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Es fällt auf, dass die jüngere Generation von Künstlern Stile früherer Kunst zitiert. Wie erklären Sie sich diese Tendenz zum Recycling? Eine kulturelle Ermüdungserscheinung?

Die ganz jungen Künstler, etwa Lucy McKenzie, Mark Leckey, Ryan Gander und Jonathan Monk, sind in der Tat interessiert an einer Wiederschau des historischen Formenvokabulars, aber auch von Themen. Sie blicken in ihrer Kunst etwa auf den Beginn der Moderne Anfang des vorigen Jahrhunderts zurück, als mit Collage experimentiert wurde und die Alltagskultur Eingang in die Kunst fand. Ich glaube, dass die Kunst sehr an einer Reevaluierung ihrer Position interessiert ist. Es werden vermehrt vergessene, ernsthaftere Inhalte reaktiviert, beispielsweise Feminismus und politische Themen oder Fragen der Bildproduktion.

Was ist neu daran?

Das Neue liegt darin, dass diese unterschiedlichen Ansätze des Wiederholens von einem grundlegend anderen Hintergrund ausgehen. Das Internet hat uns daran gewöhnt, dass man sich ohne jegliche Kontrolle Material aneignen kann. Damit drängen sich Fragen nach der Autorschaft auf. Es wird auch wieder vermehrt über kollektive Kreativität nachgedacht.

Was halten Sie vom erwachten Interesse an der Malerei an den Kunstmessen?

Was in der Kunstszene geschieht und was man an einer Messe sieht, klafft teilweise stark auseinander. Im Kunstbetrieb hat man es mittlerweile mit einem Massenphänomen zu tun. Die neunziger Jahre bescherten der Gegenwartskunst ja einen unglaublichen Markterfolg. Selbst wenn man sich etwas mühsam durch diesen Wald der offensichtlich nicht gleich interessanten kleinformatigen Gemälde arbeiten muss, sehe ich es positiv, dass die Malerei Ende der neunziger Jahre wieder einen selbstverständlicheren Status erreicht hat. Es ist zweifellos das am leichtesten zu handhabende Medium. Dies zieht offensichtlich eine Gruppe von Sammlern an, die nur an bestimmten Aspekten der Kunst interessiert sind.

Welche Aspekte sprechen Sie an?

Ihnen geht es vielleicht mehr um den Wiedererkennungseffekt, um die richtigen Namen, um die Repräsentation eines Hypes. Wer sich nur für diese Aspekte der Kunst interessiert, hat es am einfachsten mit der so genannten «Flachware», die auch im privaten Rahmen präsentierbar ist. Die zeitgenössische Kunst ist in die populäre Sphäre gerückt. Sie ist heute Lifestyle.

Welche anderen Funktionen hat die Kunst – ausser die der Repräsentation?

Kunst ermöglicht uns im Idealfall eine Art Reflexion über unsern Jetztzustand. Sie kann nicht einfach so schwups hinuntergehen. Sonst wäre sie lediglich Illustration.

Welche Konsequenzen hat die gewachsene Popularität denn für die Kunst?

Sie führt dazu, dass wir viel mehr wissen müssen, wie man auswählt, viel mehr sehen müssen und uns noch intensiver um Kriterien von Qualität kümmern müssen. Es gibt massenhaft Galerien, die sehr viel und nicht immer interessante Kunst zeigen. Es wird sehr viel Geld umgesetzt, auch ohne dass wir von grandiosen Auktionsergebnissen oder Kunstmesse-Erfolgen hören. Das war zwar schon immer so. Neu ist, dass ein Teil der Massenproduktion jetzt in den elitären Bereich überschwappt. Von der Kunstproduktion hat aber letztlich immer nur ein kleiner Teil überhaupt Bestand. Da sehe ich ein Korrektiv.

Der Markt spiegelt das Kunstgeschehen also nicht korrekt wider?

Er ist momentan weniger selektiv.

Es ist noch nicht so lange her, da galt Gegenwartskunst als schwierig, sperrig, unverständlich für die Masse. Warum hat sich das geändert?

Man kann dieses Phänomen nicht getrennt sehen von andern gesellschaftlichen Entwicklungen. Es gibt mehr Geld, mehr Freizeit, mehr Konsummöglichkeiten, und die Kunst ist ein Teil davon geworden. Kunst ist auch eine Art anspruchsvolle gesellschaftliche Betätigung. Man möchte ja nicht nur am Strand liegen.

Auffällig im Markt sind auch die verstärkten narrativen Tendenzen, sowohl in Malerei als auch in Fotografie.

Ja, es gibt wieder dieses Interesse an der Realität. Aber ich glaube, dass sich dies nicht wie in den neunziger Jahren in Fotografie und Film ausdrückt. Es finden auch wieder verstärkt Dokumente Eingang in die Kunst, die aus allen möglichen Alltagsbereichen stammen. Dabei werden die Mittel der Kunst reflektiert und die Bildproduktion erforscht. Letztlich geht es um eine Verantwortung gegenüber dem Bildermachen. Man ist viel weniger subjektiv, dafür stärker gesellschaftlich verantwortlich.

Verstärkt sich der Produktionsdruck auf einen Künstler, wenn seine Galerie zu sechs, sieben Messen im Jahr jettet?

Dies kann tatsächlich ein grosses Problem sein. Deshalb ist es entscheidend, wie jeder Künstler damit umgeht. Wilhelm Sasnal zum Beispiel macht das hervorragend. Viele Bilder zu produzieren, gehört zu seinem Werk. Er trifft gute Entscheidungen über seine Präsenz in Kunstinstitutionen und kann so auch gut mit den Anforderungen des Marktes umgehen. Auch den Galerien kommt eine wichtige Rolle zu. Sie sind in einem viel grösseren Masse gefordert, zu entscheiden, wer wann was kaufen kann. Das sind schwierige Fragen. Denn jeder neue Sammler könnte ja ein Grosssammler werden.

Sie sind Kuratorin der Kunsthalle Zürich, Kunstberaterin für Michael Ringier und sitzen sowohl in der Kunstkommission der Swiss Re als auch immer wieder in den Jurys für renommierte Kunstpreise. Ist es mit dieser Ämterkumulation einfacher, gewisse Künstler durchzusetzen?

Natürlich hinterlässt man Spuren, wenn man eine Ausstellung oder einen Katalog macht oder in einer Kommission zustimmt, dass ein Werk angekauft wird. Aber ich nehme meine Arbeit sehr ernst. Ich habe ja keinen persönlichen Nutzen davon. Das Kunstsystem ist, seit es sich in den siebziger Jahren stark professionalisiert hat, ein hochmoralisches System
geworden.

Aber Sie sind zweifellos zu einer sehr einflussreichen Stimme im Kunstbetrieb geworden.

Die Leute haben immer diese Verschwörungstheorien. Das System hat aber seine eigenen Selbstkorrektive. Natürlich will man Spuren hinterlassen. Ich glaube wirklich an die Künstler, die ich ausstelle. Es wäre dumm, wenn mich ein Sammler fragt, ob ich einen Künstler gut finde, zu antworten: «Dazu kann ich nichts sagen.» Ich bin nämlich dagegen, dass sich schlechte Kunst verbreitet. Ich finde, man muss zu seinen Qualitätskriterien stehen.

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Zwei eigenwillige Künstler in Herzog & de Meurons Schaulager: Das Verfliessen der Zeit thematisieren die magischen Filme und Zeichnungen der 41-jährigen Britin Tacita Dean. Der Belgier Francis Alÿs (47) zeigt sein Projekt mit mexikanischen Reklamemalern.

Tacita Dean / Francis Alÿs, Schaulager, Basel. 13.5. bis 24.9. www.schaulager.ch