Alte Industriegebäude kennen viele Leben. Das Loft von Clive McCarthy ganz besonders. Das Bauwerk entstand im Jahr 1925 und gehört seither zu den prominenten Bauwerken im Mission District von San Francisco. McCarthys Zuhause war ursprünglich Lagerhaus für Lucky-Strike-Zigaretten. Mehrfach wurde das Gebäude im Laufe der Jahrzehnte baulich verändert, um den Anforderungen der jeweiligen Zeit zu genügen beziehungsweise den Bedürfnissen der Mieter gerecht zu werden. Nachdem hier auch noch Autos repariert und umgebaut worden waren, zog ab Mitte der 1980er Jahre die Kreativszene mit ihrer stadtbekannten Capp Street Project Gallery ein, um mit Kunst zu experimentieren. Mit dem Internetboom mietete sich dann eine Softwarefirma ein, bevor Clive McCarthy das Gebäude 2006 kaufte und zeitgemässe Wohn- und Arbeitsräume darin einrichtete. «Als ich das Gebäude kaufte, war es nicht mehr als eine riesengrosse Arbeitsfläche aus Beton», sagt der Brite.
Spiel von Leere und Struktur. Das heruntergekommene Industriegebäude entsprach genau seinen Vorstellungen: fast endlos hohe Räume und mit 900 Quadratmeter Innenfläche viel Platz für seine kreative Entfaltung. «Zudem liebe ich diese Gegend», so McCarthy. «Die Mischung aus edler Klasse und bunter Kultur im Mission District ist unbeschreiblich, denn jeder Block dieses Viertels hat ein anderes Gesicht.»
Der ehemalige Elektroingenieur war einst eine Schlüsselfigur im Bereich Softwaredesign im Silicon Valley. Trotz erfolgreicher Karriere entschied er sich für einen Neuanfang. 1997 beschloss er, sein Leben ganz der Kunst zu verschreiben. Mit 51 Jahren absolvierte Clive McCarthy die Kunsthochschule und produziert heute unter anderem «Videoskulpturen», indem er alte Fernsehgeräte oder Monitoren in Kunstobjekte verwandelt.
«Wir wollten ein Spiel von Leere und Struktur generieren, einen Nährboden für Clives Experimente und die vielen Dinge, mit denen er sich gleichzeitig beschäftigt», sagt seine Frau Tricia Bell. Ziel war es, den offenen, aber auch industriell geprägten Charakter der Räumlichkeiten zu erhalten. Schliesslich stecke die einzigartige Atmosphäre bereits in den Mauern. Man müsse nur das richtige Konzept finden, um den vorhandenen Platz in bewohnbare Räume zu unterteilen.
RÜCKZUGSORT. Das Schlafzimmer überzeugt durch eine klare Design-Sprache. Thematisch passend: Die LC4-Chaiselongue von Le Corbusier und der Eames-Bürostuhl der Aluminium Group.
Für den aufwendigen Umbau beauftragte das Paar den erfahrenen Architekten Stanley Saitowitz. Überflüssige Wandbekleidungen und Trennwände wurden eliminiert sowie sämtliche heruntergehängten Decken und unwillkommenen Elemente aus den 1990er Jahren entfernt. Unter Beibehaltung der originalen Oberlichter, welche die Räume mit viel Tageslicht durchfluten, liessen die Eigentümer in einem nächsten Schritt eine grosszügige Galerie einbauen. Von dort aus hat man einen umfangreichen Überblick über das Studio im Erdgeschoss, das alleine 600 Quadratmeter einnimmt. Der riesige Raum ist McCarthys Kunstobjekten gewidmet – eine Sammlung von Monitoren, Skulpturen und Arbeitsutensilien, die durch ihre scheinbar willkürliche Anordnung eine spezielle Wirkung erzielen. Diese künstlerisch-ästhetische Kulisse soll den Eindruck bestärken, dass hier nicht nur gewohnt, sondern auch mit viel Engagement gearbeitet wird, dass der kreative Prozess zum Lebenskonzept von McCarthy gehört. «Es ist sehr angenehm, wenn man das Haus gar nicht verlassen muss, um zur Arbeit zu gehen», schwärmt er.
Das wohl wichtigste und zugleich neuste architektonische Element ist die Erschliessung der zwei Etagen. Saitowitz plante eine skulpturale Wendeltreppe, die elegant von der Decke hängt. Die Treppe gibt dem Besucher immer wieder neue Aspekte preis. Das Wechselspiel zwischen Weite und Enge, zwischen hell und dunkel sowie zwischen den verschiedenen Funktionsebenen erzeugt ein spannendes Ambiente. Erlesene Materialien wie die mit Edelholz aufgefrischten Eichenholzböden kontrastieren bewusst mit der harten Formgebung des Industrielofts. Die Wände wurden in schlichtem Grau gestrichen, um den Mix unterschiedlichster Materialien und Elemente hervorzuheben.
Verschwindende Grenzen. Clive McCarthy vereinigt seinen Wohntraum geschickt mit einem inspirierenden Arbeitsumfeld, das zum kreativen Schaffen anregt – nach dem Motto «Hier wird überall gewohnt und gearbeitet». Er erklärt: «Das Hauptstudio befindet sich in einem abgetrennten Raum in der zweiten Etage. Meistens benötige ich jedoch mehr Platz, und ich breite mich mit meiner Arbeit über die ganze Wohnung aus.» Besonders im Essbereich verschwinden die Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten. Dank dem schnörkellosen Arrangement von Tisch und Marcel-Breuer-Stühlen in der rauen Lagerhausatmosphäre wähnt man sich erst in einem stimmungsvollen Künstleratelier, später in einem experimentellen Restaurant und am Ende in einer Bibliothek.
KUNSTGALERIE. Hier wird auch ausgestellt: Im 600 Quadratmeter grossen Studio präsentiert Clive McCarthy seine Kunstobjekte.
Zwischen Eames und Ikea. Passend zu den rot gefärbten Fensterrahmen dominieren die roten Expedit-Bücherregale von Ikea den überdimensional grossen Raum. Sie agieren gleichzeitig als Raumteiler, welche die Ess-, Wohn- oder eben Arbeitsbereiche optisch voneinander abtrennen. Gemütliche Stunden verbringt Clive McCarthy am liebsten auf dem Eames Lounge Chair des Herstellers Herman Miller oder neben dem Kamin auf den schwarzen Ledersofas vom lokalen Designshop Design Within Reach. Die mit hochwertigen Geräten von Gaggenau ausgestattete Küche wurde entlang der Galeriebalustrade eingebaut. Die zwölf Meter lange Kochinsel dient gleichzeitig als Tisch.
Auf der Rückseite des Lofts befindet sich das Schlafzimmer der Eigentümer. Hier bringt eine bepflanzte Wand Wärme und Behaglichkeit ins sonst zumeist funktionale Ambiente. Das geräumige Badezimmer mit präzise gefertigten Armaturen von Dornbracht wurde als private Spa-Oase angelegt. Sie garantiert McCarthy Momente der Erholung von seinen kreativen Entwicklungsprozessen.