Links und Downloads zum Artikel:
Beim Begriff «Shooting Star» winkt sie ab. Nein, diese Etikettierung passe wohl nicht ganz, wehrt sich Pamela Rosenkranz. Sie sei keine von Marketingüberlegungen befeuerte Sternschnuppe: «Beruflich gab es für mich nie eine Alternative zur Kunst», bekennt die in Sils Maria geborene Künstlerin. «Und wenn ich mich selbst am Firmament platzieren könnte, dann wüsste ich bestimmt einen soliden Stern zu wählen.»
Rosenkranz, Jahrgang 1979, interessiert sich für die Bedeutung von Begriffen und Zeichen und deren Verschiebungen in der menschlichen Wahrnehmung. Ihre Installationen, Objekte und Fotogramme zeichnen sich durch philosophische Tiefe und eigensinnig-ironischen Witz bei gleichzeitiger kompositorischer Strenge aus. Mit Spiegelungen, Faltungen und Drehungen umkreist Rosenkranz ihr eigentliches Motiv: die leere Mitte. Mit ihrem erkenntnistheoretischen Ansatz steht die junge Künstlerin für eine gesellschaftliche Tendenz, die – durch die Wirtschaftskrise akzentuiert – in der zeitgenössischen Kunst heute vermehrt ihren Niederschlag findet: die Abkehr vom leeren Konsumhedonismus zurück zu inhaltlicher Relevanz und wieder belebter Ernsthaftigkeit.
KRITISCHE POSITIONEN. Wie Pamela Rosenkranz, die 2009 erstmals den Sprung unter die 50 «wichtigsten» lebenden Künstler der Schweiz geschafft hat, setzt sich auch die Künstlerin Ingrid Wildi (neu auf Rang 47) mit sprachlichen Phänomenen auseinander – wenn auch vor einem ganz anderen Hintergrund: Als Tochter eines Schweizers und einer Chilenin wurde Wildi 1963 in Chile geboren. Nach dem Sturz von Salvador Allende und einigen Jahren unter dem diktatorischen Regime von Augusto Pinochet emigrierte sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder in die Schweiz, genauer in den Kanton Aargau. Ihre Mutter und deren Sprache, das Spanische, liess Ingrid Wildi in Lateinamerika zurück. In der Schweiz lernte sie mit den Jahren Schweizerdeutsch – ein Dialekt, in dem sie sich nach eigenem Bekunden nie wohlgefühlt hat. In ihren dokumentarisch angelegten Videoarbeiten reflektiert die Künstlerin diesen Verlust, thematisiert das Vergangene und das Entwurzeltsein, das Überschreiten von Grenzen und den Umgang mit der Fremde.
«In Krisenzeiten sind kritische Positionen gefragt. Das war in der Geschichte immer so», sagt die Zürcher Galeristin Eva Presenhuber, die neben aufstrebenden Talenten wie Urs Fischer oder Valentin Carron auch die Nummer eins im aktuellen Künstlerrating der BILANZ vertritt: die Zürcher Neodadaisten Peter Fischli und David Weiss (siehe Rating-Tabelle links). Was die Umsätze ihres vor Jahresfrist noch florierenden Kunsthandelshauses angeht, sieht sich Presenhuber derzeit ebenfalls in die Geschichte zurückversetzt: «Wir sind jetzt wieder dort, wo wir uns von 2001 bis 2003 befanden», erklärt sie. Im Klartext: Die Umsätze der Galerie sind in den letzten Monaten um zwei Drittel eingebrochen. Die Inhaberin hat rasch reagiert und ihre Belegschaft um nahezu die Hälfte reduziert. Illusionslos rechnet Presenhuber mit einer längeren Phase, in der im Primärhandel kein Geld zu verdienen sei: «Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten zwei Jahren keinen Profit machen werden.»
Die gebürtige Österreicherin ist kein Einzelfall. Wohin man auch blickt, die Geschäfte mit der zeitgenössischen Kunst laufen harzig. «Die Leute überlegen unendlich lange hin und her. Sie kommen fünfmal in die Galerie, bevor sie sich zu einem Kauf entschliessen können», berichtet Meta Kenworthy-Ball, die ihren bis anhin selbständig betriebenen Ausstellungsraum unlängst mit der Galerie Lange & Pult fusioniert hat. Andrea Caratsch von der gleichnamigen Zürcher Galerie spricht gar von einem «Marktstillstand zwischen Oktober und Ende März»: «Wer behauptet, er habe keinen Einbruch zu verzeichnen, der beschönigt die Lage», so Caratsch. Die Nachfrage nach zeitgenössischer Kunst sei «schlagartig» in sich zusammengefallen, bestätigt auch der Basler Galerist Nicolas Krupp. Bis im September letzten Jahres sei das Geschäft noch relativ gut gelaufen. Nach dem Lehman-Kollaps im Oktober, so Krupp, sei der Markt dann «von einem Tag auf den anderen total eingebrochen».
Wurde in den letzten fünf Jahren so viel Kunst gekauft wie niemals zuvor, ist die Luft jetzt erst einmal draussen. Viele Firmen haben ihre Ankaufsbudgets auf Eis gelegt oder zumindest markant reduziert, womit für manch eine Schweizer Galerie ein substanzieller Teil des Umsatzes wegfällt. Insbesondere die Banken hatten die Branche der Bildervermittler in der Vergangenheit tatkräftig unterstützt. Jetzt, da es mit der Herrlichkeit der Geldmanager ein Ende hat, trifft die Finanzkrise die Schweizer Galerieszene umso härter. Weil im Moment niemand weiss, wie tief die Krise noch geht, halten sich auch langjährige, nichtspekulative Privatsammler vorerst mit Kaufen zurück. Diese Zögerlichkeit hat auch ihr Gutes, zumal die Stimmung am Markt bis vor ein paar Monaten als ungesund überhitzt, ja fast schon hysterisch zu bezeichnen war. «Jetzt sind wir ins andere Extrem zurückgeschleudert worden», bezeugt Nicolas Krupp: «Dorthin, wo gar nichts mehr geht.»
KÄUFERSTREIK. Je länger der Käuferstreik andauern wird, desto eher scheint ein Galeriesterben vorgezeichnet. Vor allem kleinere Kunsthandelsbetriebe verfügen oft über keine nennenswerten Reserven. Aber auch die Schwergewichte der Branche, die im Boom mit der grossen Kelle angerichtet haben, müssen jetzt über die Bücher. Häufigste Folge: Entlassungen und/oder Kurzarbeit beim Assistenzpersonal. Allerorten wird derzeit versucht, die Fixkosten so tief wie möglich zu halten. So können Marina Leuenberger und Karolina Dankow, die seit Anfang Jahr im Zürcher Seefeldquartier die Galerie Karma International betreiben, von Glück reden, dass sie sich für einen überschaubaren Ausstellungsraum mit entsprechend moderater Mietzinsbelastung entschieden haben. Die beiden Junggaleristinnen vertrauen darauf, dass ein knappes Budget erfinderisch macht: «Low-Budget-Lösungen führen oft zu einer direkteren Einbindung in alle Prozesse der Galerietätigkeit und damit zu maximalem Engagement», erklärt Marina Leuenberger.
Wo Sammler ihre Risiken minimieren und Ausstellungsbudgets reihum zusammengestrichen werden, gerät vor allem das junge, experimentelle Segment unter Druck. Demgegenüber erweisen sich etablierte, international anerkannte Positionen als relativ krisenresistent. Andrea Caratsch, der mit John Armleder (Rang 4) und Olivier Mosset (Rang 10) zwei «Klassiker» der Schweizer Gegenwartsszene vertritt, kann dies bestätigen: Für «Contemporary Blue Chips», beteuert Caratsch, bestehe im Unterschied zu ganz junger Gegenwartskunst nach wie vor eine nennenswerte, wenn auch deutlich gedämpfte Nachfrage.
Auch Iwan Wirth, mit Galeriestandorten in Zürich und London, scheint von der Krise bis dato nur am Rand betroffen zu sein. Aus dem Segment der zeitgenössischen Klassiker führt das von ihm geleitete Kunsthandelshaus Hauser & Wirth nur die Crème im Programm, das heisst den Ostschweizer Beschleunigungsvirtuosen Roman Signer (Rang 2), die weltweit erfolgreiche Videokünstlerin Pipilotti Rist (Rang 3) und den Basler Installations-Maniac Christoph Büchel (Rang 5).
«Die Verkaufspreise für Künstler, die stark installativ und ortsspezifisch arbeiten, hängen nur teilweise vom Markt ab», sagt Wirth. Die Höhe der Ausstellungsbudgets respektive die jeweiligen Ankaufssummen bestimmten stattdessen über Umfang und Preis der betreffenden Arbeiten. Im Fall der aufsehenerregenden Videoinstallation etwa, die Pipilotti Rist vergangenes Jahr für das Moma in New York realisieren konnte, verrät der Schweizer Stargalerist, «war diese Summe deutlich höher als die 600 000 Franken, die wir als Preisobergrenze in der BILANZ-Liste angeben». Pipilottis rekordverdächtige Ausstellungskadenz – allein diesen Herbst werden ihre Arbeiten in zehn Gruppenausstellungen von Karlsruhe über Krakau bis nach Dallas zu sehen sein – treibt die Budgets weiterer Institutionen tendenziell in die Höhe. Insofern könne man zwar nicht unbedingt von steigenden Preisen sprechen, aber doch von einem «sehr grossen Interesse an ihren Arbeiten und Ausstellungen weltweit». Das Gleiche, sagt Wirth, gelte für Christoph Büchel.
Für junge, international noch vergleichsweise schlecht verankerte Kunstschaffende haben sich die Produktionsbedingungen klar verschlechtert. Immerhin verschafft der krisenbedingte Nachfragerückgang gerade auch dem Nachwuchs wieder grössere Freiräume: «Viele Künstler standen zuvor so unter Druck, dass sie viel zu viel produzieren mussten. Der Nachfrageeinbruch wirkt sich positiv auf die Qualität aus», bemerkt Galerist Bob van Orsouw. Positive Auswirkungen auf die Qualität erhofft sich auch Wirth: «Die Arbeiten sind wieder vermehrt persönlich, präziser und irgendwie authentischer.»
REVIVAL DER «KLASSIKER». Mit Blick auf die Verschiebungen im Ranking zeigt sich 2009 eine interessante Tendenz. Eine Reihe von älteren Künstlern, die in den Boomjahren tendenziell in Vergessenheit geraten waren, sind erneut in den Fokus unserer Juroren gerückt: Urs Lüthi, Miriam Cahn, Manon und Silvie Defraoui. Nicht zu vergessen der begnadete «Illusionist» Markus Raetz und die beharrliche Zeichnerin Silvia Bächli (Rang 6), der mit 53 Jahren die Ehre zuteil wird, den Schweizer Pavillon an der Kunstbiennale von Venedig mit ihren schwarz-weissen «Rätselbildern» zu bespielen. Erstellt wurde das Rating wie immer unter Einbezug einer kompetenten Fachjury. In diesem Jahr waren insgesamt 38 Persönlichkeiten aus der Schweizer Kunstszene daran beteiligt (siehe «Die Jury» im Anhang).
Angesichts der wiedergewonnenen Popularität von Künstlerinnen und Künstlern, die bereits in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts von sich reden machten, kann heute mit Fug und Recht von einem Revival der Generation der über 50-Jährigen gesprochen werden. «Die alten Künstler sind die neuen jungen Künstler», kommentiert Iwan Wirth diese bemerkenswerte Entwicklung. Umbruchphasen in Wirtschaft und Gesellschaft haben sich für das zeitgenössische Kunstschaffen schon oft als richtungsweisend erwiesen. «Die Verwechslung von Kunst und Markt, das heisst das Missverständnis, dass teure Kunst gleich gute Kunst sei, verschwindet», orakelt der in London residierende Ostschweizer. «Die kommenden Jahre werden Bedeutungsumschichtungen bringen», prophezeit auch Wirths frühere Geschäftspartnerin Eva Presenhuber. Wo Qualität und Substanz vermehrt im Vordergrund stehen und Preisexzesse verschwinden, wird die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst wieder zur Lust. Insofern könnte es sich durchaus lohnen, gerade jetzt mit dem Aufbau einer Sammlung zu beginnen.